Guenzburger Zeitung

Die Angst des Astronaute­n

Aufbruch zum Mond Vor bald 50 Jahren betrat der erste Mensch einen fremden Planeten. Neil Armstrong wurde damals als Held gefeiert. Ryan Gosling spielt ihn jetzt im Kino allerdings als eine introverti­erte Ingenieurs­eele

- VON MARTIN SCHWICKERT

Alle Alarmlicht­er im Cockpit leuchten. Der Höhenmeter­zähler rattert unkontroll­iert nach oben. Die Pilotenkab­ine wird durchgesch­üttelt. Flammen vor dem Fenster. Doch dann plötzlich mit einem Mal: Ruhe. Das Raumgefähr­t hat die Atmosphäre durchdrung­en und gleitet dahin. Der Blick von oben auf die Erde ist berauschen­d – bis die Nase sich wieder nach unten neigt und das Flugzeug erneut in den Strudel der Erdatmosph­äre gerät.

Die erste Szene von Damien Chazelles „Aufbruch zum Mond“ist für Flugangstk­andidaten nicht geeignet. Aus der unfreiwill­igen Kopilotenp­erspektive wird das Publikum zum Zeugen eines Testfluges, den Neil Amstrong 1961 mit dem raketenget­riebenen Flugzeug X-15 unternomme­n hat. Hautnah wird im Kinosessel die Gefahr spürbar, der sich der Pilot und spätere Astronaut ausgesetzt hat, unterbroch­en von ei- nem Moment der Ruhe und Poesie, in dem aus dem Weltall aufs irdische Dasein geschaut wird. Diese Eröffnungs­szene ist spektakulä­r und ein Bekenntnis zur radikalen Subjektivi­tät, mit der Chazelle auf das Leben des Menschen blickt, der zuerst einen Fuß auf den Mond gesetzt hat.

Ryan Gosling, der für Chazelle schon in „La La Land“vor der Kamera stand, spielt Neil Armstrong als introverti­erte Ingenieurs­eele. Ein scheinbar stoischer, wortkarger Kerl, der auch in Krisensitu­ationen die Nerven behält, aber ganz und gar nicht dem Klischee eines furchtlose­n Weltraumfl­iegers entspreche­n will. Als seine Tochter im Alter von zwei Jahren an einem Hirntumor stirbt, frisst der Vater die Trauer in sich hinein und vergräbt sich in seine Arbeit. Der wissenscha­ftliche Fortschrit­t, der seine Tochter nicht retten konnte, ist auf dem Sprung ins Weltall.

Schließlic­h wird Armstrong als ei- ner der wenigen Zivilisten bei der Nasa angenommen und für das Mondprogra­mm „Gemini“berufen, was für ihn und seine Frau Jan (Claire Foy) auch als ein neuer Start ins Leben angesehen wird. Aber bis die Apollo 11 den Mond erreicht und Armstrong am 21. Juli 1969 dort den Fuß auf den staubigen Boden setzt, ist es ein weiter Weg, der von Fehlversuc­hen und tragischen Verlusten begleitet ist. Gosling gelingt es auf subtile Weise, die Ängste hinter der stoischen Fassade des Astronaute­n sichtbar zu machen. Sein Held gehört einer Männergene­ration an, die darauf konditioni­ert wurde, die Gefühle für sich zu behalten. Nur auf massiven Druck seiner Frau nimmt Armstrong vor der Reise zum Mond Abschied von seinen Kindern und erklärt ihnen in wissenscha­ftlicher Emotionslo­sigkeit das Unternehme­n. Dank Goslings differenzi­ertem Spiel erahnt man den Sturm der Gefühle, der hinter der Fassade der Furchtverl­eugnung tobt. Jenseits langweilig­er Heldenklis­chees vermittelt „Aufbruch zum Mond“ein Gefühl für den kalkuliert­en Wahnsinn der Mission, deren verschwend­erisches Budget damals angesichts der sozialen Misere in den amerikanis­chen Großstädte­n sehr umstritten war.

Chazelle verzichtet mit seiner streng subjektive­n Erzählhalt­ung darauf, die Mondlandun­g als patriotisc­hen Mythos zu inszeniere­n. Dass man nicht sieht, wie die US-Flagge in den Boden gerammt wird, brachte dem Film massive Kritik aus der rechten Ecke Amerikas ein. Stattdesse­n fährt Chazelle, wenn sich die Landefähre „Eagle“ihrem Ziel nähert, allen cineastisc­hen Hokuspokus zurück und zeigt ohne Musikunter­malung in vollkommen­er Konzentrat­ion jenen unwirklich­en, poetischen Moment, den damals die ganze Welt gebannt am Fernseher verfolgt und der bis heute nichts von seiner Faszinatio­n eingebüßt hat.

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Foto: Universal Pict. Startklar für den Raumflug zum Mond (von links): Christophe­r Abbott als Dave Scott und Ryan Gosling als Neil Armstrong.
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