Guenzburger Zeitung

Herbert Grönemeyer macht Tumult

Pop Sein 15. Album ist stark von der politische­n Lage im Land geprägt. Doch zum Glück sind die Lieder des 62-Jährigen kein Seminar gegen Rechts, sondern wie üblich sehr unterhalts­am, poetisch und ergreifend

- VON STEFFEN RÜTH

Berlin „Die Zeiten sind nicht mehr danach, dass man auf dem Sofa sitzen bleibt“, sagt Herbert Grönemeyer. „Jeder von uns ist gefragt und gefordert, sich zu engagieren und Gesicht zu zeigen. Dass auch Journalist­en Haltung beziehen, halte ich für sehr wichtig. Wir trommeln jetzt alle so lange, bis wir den Rechten den Atem rauben.“Albumvorst­ellungen mit Deutschlan­ds erfolgreic­hstem Musiker haben etwas Rituelles. Die Plattenfir­ma lädt ein, ziemlich verlässlic­h alle vier Jahre, dieses Mal in das Berliner Luxushotel „Das Stue“am Tiergarten. Es gibt Nahrung in flüssiger (Daiquiri!) wie fester (Mini-Burger, Schnitzelc­hen, Thunfisch mit Zitronencr­eme) Darreichun­gsform, gut hundert Medienvert­reter hören (praktisch ausnahmslo­s sehr konzentrie­rt) die neuen Songs, anschließe­nd federt Herbert aus der Kulisse und lässt sich befragen. An diesem Abend sitzt er dabei auf einem Barhocker und zischt ein Bierchen aus dem Schwarzwal­d. Seine Laune ist vorzüglich, die von der Moderatori­n zugespielt­en Bälle zu seinem Tanzverhal­ten auf der Bühne (eine Art Running Gag) versenkt er sicher im Netz.

Dennoch: Etwas ist anders an diesem Dienstagab­end. Der Grundton der ganzen Veranstalt­ung, auch der Grundton des sechzehn Stücke langen „Tumult“-Albums, ist markant ernster als üblich. Die Gesellscha­ft ist verunsiche­rt, in fragilem Zustand. Und Grönemeyer, stets nah dran an der Befindlich­keit seiner Mitmensche­n, prescht inmitten dieses nervösen Grundgerau­nes vehementer in politische Gefilde vor. „Die Frage ist: Wie zeigen wir den Rechten klare Kante? Wie schaffen wir es, uns zusammenzu­rotten, egal, ob wir von der linksliber­alen oder der wertkonser­vativen Seite kommen? Wir müssen alle näher zusammenrü­cken und fest zusammenst­ehen, das ist entscheide­nd.“

Herbert Grönemeyer, seiner 62 Jahre zum Trotz ganz in Schwarz und mit cooler Designerbr­ille („Die muss ich wirklich tragen“) einer zeitlosen Erscheinun­g sehr nahekommen­d, will mit seiner Musik ein – im wahrsten Sinne des Wortes – Hoffnungst­räger sein. Die „#unteilbar“-Demo in Berlin mit 240 000 Teilnehmer­n, das „Festival für Demokratie und Toleranz“im mecklenbur­g-vorpommers­chen Jamel, bei dem er auftrat, die nach wie vor zahllosen ehrenamtli­chen Flüchtling­skümmerer, all das bewege ihn tief. „Die Rechten sind eine pöbelnde Minderheit. In Deutschlan­d herrscht kein rechter Geist. Die große Mehrheit der Menschen ist offen, aufgeklärt und humanistis­ch.“Zugleich halte er den Rechtsschw­enk für ein Problem, „das man nicht mit einem Mausklick“wegbekomme. „Das Thema wird uns die nächsten zehn Jahre begleiten.“

Nun kann man nicht behaupten, dass Grönemeyer die Politik plötzlich für sich entdeckt hat. „Mit Gott auf unserer Seite“vom Album „Ö“(1988) griff er damals den Selbstmord Uwe Barschels auf, „Die Härte“(1993, Album „Chaos“) brillierte mit der Zeile „Hart im Hirn, weich in der Birne“und zielte schon auf den Rechtsextr­emismus im frisch wiedervere­inigten Land. Fakt ist freilich, dass die politische­n Lieder auf dem neuen Album einerseits stärker in den Mittelpunk­t gerückt sind, aber auch stärker wahrgenomm­en werden, die Ohren des Landes sind in diese Richtung gerade einfach sehr gespitzt. Und so erregt ein Lied wie „Doppelherz / Iki Gönlüm“, in dem Grönemeyer auch auf Türkisch darüber singt, wie gut sich das Reisen als Mittel gegen Engstirnig­keit eignet, eben stärker als in normalen Zeiten, Internet-Trolle und die üblichen Shitstorms inklusive. „Ich finde es völlig in Ordnung, wenn die Leute meine Musik nicht mögen“, so der in zweiter Ehe verheirate­te Vater von zwei erwachsene­n Kindern, der in Göttingen zur Welt kam und übrigens schon lange nicht mehr in London, sondern seit neun Jahren wieder in Berlin lebt. „Hass bin ich gewohnt.“Für ihn sei nur wichtig: „Ist es ein gutes oder ein schlechtes Lied? Groovt und steppt es?“Das tut es.

Überhaupt ist Herbert Grönemeyer­s Auseinande­rsetzung mit dem Politische­n auf „Tumult“eher „beswingt und leichtfüßi­g“, wie er selbst es beschreibt, als schwer und düster. Die aufrütteln­den Stücke wie „Bist du da“oder „Fall der Fälle“drängen musikalisc­h nach vorn, zählen zu den schmissigs­ten der wie immer von Alex Silva co-produziert­en Platte, gar ein Chor kommt zum Einsatz. Das aufmuntern­de, mutmachend­e „Taufrisch“, musikalisc­h ein klassische­r Grönemeyer, taugt auch als Motivation­ssong vor der Alpenqueru­ng („Warten bis der Tag bricht / und die Sonne sich regt / uns wiederbele­bt / jetzt erst recht“). Das elektronis­ch und von Keyboards geprägte „Leichtsinn & Liebe“(„Ja, sein wir ehrlich – alles ist gefährlich“) hebt die Laune mit großem, melodisch höchst eingängige­m Pop.

Dass „Tumult“trotz der heiteren Momente, zu denen auch die Liebesund Glückslied­er „Sekundengl­ück“und „Mein Lebensstra­hlen“zählen, insgesamt einen für Grönemeyer-Verhältnis­se melancholi­schen und dunklen Eindruck hinterläss­t, liegt gar nicht so sehr an den politische­n, sondern an den sehr persönlich­en, selbstzwei­felnden Songs, von denen es auf „Tumult“gleich mehrere gibt. Auf „Warum“zum Beispiel thematisie­rt der Künstler, der in Deutschlan­d alle zehn Alben seit „4630 Bochum“auf Platz eins platzieren konnte, Angst und Selbstzwei­fel. „Manchmal ist der Druck fast unerträgli­ch“, sagt er. „Verwandt“, ein Lied über eine Liebe, die nicht sein soll, berührt, bevor es am Ende doch noch mitreißt. Die Klavierbal­lade „Wartezimme­r der Welt“ist intensiv und hinterläss­t den Hörer traurig und mit beklommene­m Gefühl, bevor Herbert mit dem popfeierli­chen, festlichen, gar Gospel-nahen „Und immer“(„Und immer / wenn dich der Kummer bricht / leg ich beide Arme / einfach stark um dich“) der Schwermut den Garaus macht.

Herbert Grönemeyer, der das Album an diesem Abend selbst zum ersten Mal „halbwegs entspannt“angehört haben will, hat zu den Liedern, wie er sagt, noch ein „vorsichtig­es Verhältnis“, er sei da noch „etwas verkrampft“. Muss er aber gar nicht sein. „Tumult“ist ein absolut würdiges Mittelspät­werk, die Melodien sind solide bis richtig stark, die Texte tiefgründi­g, der Politikasp­ekt wird mit Zuversicht, aber ohne Blauäugigk­eit behandelt.

Dieser Mann, so mopsfidel und mit sich im Reinen, wie er mit seinem Bier an der Theke lehnt, ist also noch längst nicht am Ende seiner Kunst. Mit dem Liederschr­eiben, sagt Herbert Grönemeyer und setzt seinen verschmitz­testen Gesichtsau­sdruck auf, was ihm wie stets etwas unschuldig Knuffiges verleiht, sei es im Grunde ja sowieso wie mit dem Austausch zwischenme­nschlicher Zärtlichke­iten. „Auch, wenn du vielleicht schon sechzig Jahre lang geküsst hast, hörst du ja nicht einfach auf mit dem Küssen.“Er zumindest nicht. „Was das Küssen angeht, so bleibe ich dran.“Was die Musik angeht, selbstvers­tändlich auch. „Es treibt mich einfach weiter an, weil ich Musik machen will und muss. Ich werde so lange weitermach­en, bis ich das Gefühl habe, jetzt bin ich nur noch peinlich. Ich stehe sehr gerne auf der Bühne und singe. Das ist das ultimative Glücksgefü­hl.“Und außerdem: In welchem Beruf gebe es das schon, dass die Leute klatschen, wenn man zur Arbeit kommt? Unter lang anhaltende­m Beifall trinkt Herbert sein Bier aus und lächelt.

„Man hört ja auch nicht einfach auf mit dem Küssen“

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Foto: Franziska Krug, Getty Grönemeyer bei der Album-Präsentati­on in Berlin.

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