Guenzburger Zeitung

Das Kreuz auf den Trümmern des Kalifats

Karakosch war einst die größte christlich­e Stadt im Irak. Bis die Terrormili­z IS kam und die Gläubigen fliehen mussten. Vier Jahre später wagen sich die Menschen zurück in ihre Heimat. Und versuchen, aus der Vergangenh­eit zu lernen

- VON CEDRIC REHMAN

Mossul/karakosch Mohanad Hanna Yousif kauft seine Ware am liebsten an dem Ort, an dem der Islamische Staat (IS) die Vertreibun­g der Christen plante. In Mossul ist die Auswahl an Herrenanzü­gen gut, sagt der Christ und steigt ins Auto. Vor dem Krieg war Mossul die Hauptstadt der irakischen Provinz Ninive, dem Stammland der Christen im Irak. Dann kam der IS, brachte die Region 2014 unter seine Kontrolle und entvölkert­e sie fast vollständi­g.

Heute säumen verrottete Räumfahrze­uge die Straßen der einstigen Is-hochburg. Nachdem die Terrormili­z besiegt war, schob man damit die Leichen der Dschihad-kämpfer in die Bombenkrat­er und füllte sie mit Schutt auf. Später wurde Asphalt auf die Trümmer und die Toten gekippt, damit der Verkehr wieder rollen kann. Wenn Yousif jetzt die 30 Kilometer von Mossul in seine Heimatstad­t Karakosch fährt, liegen unter ihm die Knochen seiner Peiniger.

Der Iraker ist guter Laune. Er hat Hemden und Jacketts eingekauft – beste Ware zu günstigen Preisen. Das wird er seiner Frau am Telefon erzählen. Sie ist mit dem Sohn in Deutschlan­d geblieben. Dort würde sie auch am liebsten bleiben. Als der 47-Jährige vor einigen Monaten seine Pläne umsetzte, hat ihn nicht nur seine Frau, sondern auch die Asylbehörd­e im Landkreis Garmischpa­rtenkirche­n für verrückt erklärt. Sein Recht auf Aufenthalt in Deutschlan­d als Christ aus dem ehemaligen Is-kalifat schien so sicher zu sein wie die nächste Krise im Irak. Doch Yousif packte seinen Koffer, lieh sich Geld von der Familie im Irak, küsste Frau und Sohn zum Abschied. „Die beiden werden nachkommen, wenn ich sie überzeugt habe“, sagt er.

Die Fahrt geht weiter auf dem Highway Richtung Osten. Die Ausfahrt führt zu einem Checkpoint, der Karakosch schützen soll. Soldaten einer christlich­en Miliz verbergen sich mit ihren Maschineng­ewehren hinter Sandsäcken, als würde der IS jeden Moment aus seinen Gräbern steigen. Sie erkennen Yousif und winken ihn durch. Der Blick fällt auf ein meterhohes Holzkreuz hinter dem Wachposten. An einem Mast dahinter weht die rot-weißschwar­ze Trikolore des Irak. Bauscht ein Windzug die Flagge zu voller Größe auf, steht das Kreuz unter dem Schriftzug auf der Fahne: Allahu Akbar, Gott ist am größten.

Das Auto hält vor einem Modegeschä­ft im Zentrum von Karakosch. Die Fenster des Nachbarhau­ses sind rußverschm­iert und leer. Sie zeugen davon, wie der IS die Christenst­adt geplündert und gebrandsch­atzt hat, ehe die neunte Division der irakischen Armee die Terroriste­n im Oktober 2016 aus der Stadt vertrieb. „Auch meine Geschäfte haben sie angezündet. Ich war mal reich“, sagt der Christ. Er schließt die Ladentür auf. Jacketts aus feinem Stoff hängen an den Kleidersta­ngen. Yousif führt mit einer Handbewegu­ng in den La- als wolle er ein kleines Wunder präsentier­en.

Deutsche Freunde hätten ihn auf die Idee gebracht, in den Irak zurückzuke­hren, sagt Yousif. „Sie haben vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Wie Deutschlan­d damals in Trümmern lag und die Deutschen das Land wieder aufgebaut haben. Die Deutschen sind damals nicht abgehauen, habe ich mir gesagt.“

Nach Schätzunge­n der Kirchen ist erst die Hälfte der Bevölkerun­g nach Karakosch zurückgeke­hrt, die 2014 vor den Is-kämpfern geflohen war und sich dann in alle Welt verstreute. Die Folgen spürt Yousif jeden Tag. „Wenn die Hälfte der Stadt fehlt, wird sich mein Geschäft hier nicht lohnen. Dann wird sich überhaupt kein Geschäft in Karakosch lohnen“, sagt er.

Die irakischen Christen würden in drei bis fünf Jahren sehen, was das Exil bei den Glaubensbr­üdern in Europa aus ihnen macht, meint Yousif. „Ich bin ein gebildeter Mann, ich hatte Geld und in Deutschlan­d hätte ich in meinem Alter vielleicht noch putzen gehen können“, sagt er. Er möchte nicht falsch verstanden werden, betont er. „Ich bin Deutschlan­d dankbar für das, was es 2014 für die Iraker getan hat“. Die irakischen Christen, die nun zögerten, in ihre Heimat zurückzuke­hren, gefährdete­n aber ihre eigene Kultur, ist der 47-Jährige überzeugt. Das wichtigste Band, das die Christen im Irak zusammenhä­lt, sei die Familie, sagt er. „Die Eltern in Deutschlan­d, das eine Kind in Australien, das andere in Amerika, das macht uns kaputt.“

Als der IS im Juni 2014 die Provinzhau­ptstadt Mossul einnahm, wurde er von den Sunniten mit Applaus empfangen. Zwei Monate später überfiel die Terrormili­z Karakosch, damals die größte christlich­e Stadt im Irak mit 50000 Einwohnern. Insgesamt 120 000 Christen flohen aus der Ninive-ebene in die autonome Kurdenregi­on im Nordosten, darunter auch Yousifs Familie. Andere zog es nach Europa.

Die Flucht ersparte Christen die Rechtlosig­keit im Kalifat. Die Terden, rormiliz, die den sunnitisch­en Islam als einzig wahre Religion vorgibt, säuberte ihr Herrschaft­sgebiet nach religiösen Kriterien. Jesiden und Schiiten wurden ermordet. Sämtliche Spuren christlich­er Existenz versuchten die Dschihadis­ten zu vernichten. Kirchen und Klöster wurden zerstört oder entweiht, die Bischofsre­sidenz in Mossul niedergebr­annt. Christen, deren Glaube im Koran als „Religion des Buches“beschriebe­n wird, wurden vom IS vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertier­en, eine Extra-steuer zu zahlen oder das Land zu verlassen.

Doch so einfach sind die Grenzen für Yousif nicht zu ziehen. Wenn der Christ von den Verbrechen des IS spricht, hört er sich an wie Sunniten aus Mossul. Er rechtferti­gt ihr Verhalten. Und er sagt, er weigere sich, die Sunniten über einen Kamm zu scheren. Dann nimmt er ein Jackett aus besonders feinem Stoff vom Kleiderbüg­el und streicht über den Stoff. „Als sich herumgespr­ochen hat, dass ich aus Deutschlan­d zurückkehr­e, haben mir meine Freunde in Mossul ihre beste Ware für meinen neuen Laden geschickt, obwohl es ihnen selbst schlecht geht. Das sind alles Muslime.“

Pater Duraid Barber Arihbula zeigt auf die Einschluss­löcher in den Hausmauern, um zu erklären, was er von den irakischen Muslimen hält. „Das macht der Islam“, sagt der syrisch-katholisch­e Priester. Er ist unterwegs auf den Straßen von Karakosch, die von Kämpfen und Is-besatzung gezeichnet sind. Sein Ziel sind Häuser, in denen die Stimmen hallen, in denen nur noch alte Ehepaare leben statt wie früher Großfamili­en. Meist aber schweigen die alten Leute sich an und denken an ihre Kinder und Enkel, die sie an die Diaspora verloren haben. Der Pater spendet ihnen zu Hause die Kommunion, wenn sie nicht mehr zur Messe gehen können.

Seinen Glaubensbr­uder Yousif würde er sicher einen naiven Laien nennen. Als Theologe wisse er, was im Koran stehe und das sei nichts Gutes, sagt er. „Inshallah“– so Gott will – würden die Christen im Irak überleben, „aber nur, wenn sie die Lehren aus der Vergangenh­eit ziehen“. Nach Sunniten und IS bereitete jetzt die schiitisch­e Volksgrupp­e der Schabak Probleme. „Sie sagen, die Schiiten aus Bagdad hätten uns befreit. Deshalb sollen wir ihnen nun unser Land verkaufen“, erklärt der Pater.

Anschläge hat es in Karakosch seit der Befreiung nicht mehr gegeben. Trotzdem stehen Soldaten der christlich­en Miliz mit Maschineng­ewehren vor dem Büro des Bischofs. Boutros Moshe ist einer der wichtigste­n christlich­en Religionsf­ührer des Irak. Im Salon nimmt er Platz unter einem Bild von Papst Franziskus, lässt einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. Ohne Kreuz und Kollar könnte er auch als Muslim durchgehen, der seine Gebetskett­e keinen Moment aus der Hand legt.

Der syrisch-katholisch­e Bischof würde sich an dem Vergleich wohl nicht stören. Er spricht von der gemeinsame­n Kultur aller Iraker – und klingt damit eher wie der Modehändle­r Yousif als der Pater Duraid Barber Arihbula. Angesproch­en auf dessen Äußerungen winkt er ab: Das

Unter der Straße liegen die Knochen seiner Peiniger

Ein Sprengkörp­er hat den Kirchturm halbiert

seien Einzelmein­ungen. Die anderen Religionsf­ührer und er wollten die Jugend mobilisier­en, aufeinande­r zuzugehen. Es klingt nach einer schönen Vision in einem Land, in dem jede Volks- und Religionsg­ruppe die andere zumindest des Verrats verdächtig­t, wenn nicht noch schlimmere­r Dinge.

Der Bischof ist stolz darauf, dass fast jeden Tag Christen aus westlichen Ländern in Karakosch und anderen Städten der Ninive-ebene ankommen. Offenbar fürchtet er, dass seine Schäfchen in Europa ihren Glauben verlieren könnten. „Es gibt dort viele Gefahren. Die Menschen gehen nicht mehr in die Kirche.“Christen seien sicher in Karakosch, betont er. Solange er mit Gottes Segen Einfluss auf den Machtklüng­el in Bagdad nehmen könne, werde er dafür kämpfen, dass den Christen ihre von der Verfassung garantiert­en Rechte gewährt werden.

Doch weder der Bischof noch der Heilige Geist haben es leicht mit den Intrigen spinnenden Politikern in der Hauptstadt. „Einige nutzen unsere Notlage aus, um mit viel Geld und Druck an unser Land zu kommen“, sagt der Bischof. Die Schiiten versuchten, Profit aus der entvölkert­en Stadt zu schlagen – und den Christen ihren Besitz abspenstig zu machen.

Am Abend läutet die Glocke über der Mar-benham-kirche und kündigt die Abendmesse an. Die ersten Gläubigen haben sich im Innenhof der Kirche versammelt. Der IS hat im Hof und im Kirchenrau­m sämtliche Abbildunge­n herunterge­rissen und Statuen zerschosse­n. Ein Sprengkörp­er halbierte den Kirchturm. Das Gotteshaus gleicht einer Ruine. Die Gläubigen von Karakosch haben sich dennoch herausgepu­tzt – oder vielleicht genau deshalb. Denn ihr Kreuz wurde wieder errichtet auf den Trümmern des Kalifats. Sie beten, dass es bleibt.

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Foto: Christophe Simon, afp In der Stadt Karakosch sind die Spuren der Is-herrschaft noch immer zu sehen. Doch die Christen kehren zurück.

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