Guenzburger Zeitung

Warum die Inflation so hoch ist

Verbrauche­r spüren es im Geldbeutel: Das Leben in Deutschlan­d ist teurer geworden. Welche Ursachen und welche Folgen hat die Preisentwi­cklung für Verbrauche­r und Sparer? Wann hat die Niedrigzin­spolitik der EZB ein Ende?

- Friederike Marx, dpa; AZ

Wiesbaden Die Deutschen müssen für ihren Lebensunte­rhalt wieder tiefer in die Tasche greifen: Erstmals seit über zehn Jahren liegt die Inflations­rate wieder über 2,5 Prozent – der höchste Stand seit September 2008 – dem Jahr der schweren Finanz- und Wirtschaft­skrise. Doch wie schlimm ist diese Rekordmark­e, und was sind die Gründe? Antworten auf wichtige Fragen:

Warum hat die Inflations­rate einen Zehnjahres­rekord erreicht?

Vor allem die stark gestiegene­n Sprit- und Heizölprei­se heizen die Teuerung an. So lag etwa der übliche Preis für 100 Liter Heizöl im bundesweit­en Schnitt Anfang Oktober bei mehr als 82 Euro. Ein Jahr vorher lag er unter 60 Euro – ein Preisansti­eg von über 30 Prozent. Zuletzt war Heizöl im Juni 2014 derart teuer wie jetzt. Nicht viel besser sieht es an den Zapfsäulen aus: Binnen Jahresfris­t verteuerte­n sich die Spritpreis­e um mehr als 15 Prozent. Diesel ist inzwischen oft teurer als Superbenzi­n vor einem Jahr. Neben gestiegene­n Rohölpreis­en treiben auch die niedrigen Wasserstän­de der Flüsse die Kosten höher. Schiffe können nur noch halb so viel oder noch weniger Benzin, Diesel und Heizöl transporti­eren wie gewohnt.

Frisst die Inflation jetzt die Lohnerhöhu­ngen auf?

Nach Berechnung­en des Statistisc­hen Bundesamte­s steigen die Löhne im Schnitt noch immer stärker als die Verbrauche­rpreise. Nach Abzug der Inflation hatten die Beschäftig­ten demnach im zweiten Quartal 0,5 Prozent mehr Geld in der Tasche als ein Jahr zuvor. Allerdings hängt das oft stark davon ab, in welcher Branche man arbeitet; die Lohnerhöhu­ngen fallen hier sehr unterschie­dlich aus.

Welche Auswirkung hat die Inflation auf die Wirtschaft­sentwicklu­ng?

Aus volkswirts­chaftliche­r Sicht ist der gegenwärti­ge Anstieg der Preise nicht unbedingt negativ. Denn wenn die Preise auf breiter Front kaum steigen, stagnieren oder gar fallen würden, kann das Verbrauche­r und Unternehme­n verleiten, Anschaffun­gen und Investitio­nen aufzuschie­ben. Diese abwartende Haltung kann die Konjunktur ausbremsen. Im schlimmste­n Fall friert die Wirtschaft ein, Firmen müssen Mitarbeite­r entlassen. Es besteht die Gefahr, dass es zu einer Abwärtsspi­rale aus rückläufig­en Preisen quer durch alle Warengrupp­en und Schrumpfen der Wirtschaft kommt: Das nennt man Deflation. Derzeit bremsen aber andere Gründe die Konjunktur­erwartunge­n: die umstritten­e Schuldenpo­litik der italienisc­hen Regierung, die Spannungen in den internatio­nalen Handelsbez­iehungen und die Gefahr eines ungeregelt­en Brexits.

Welche Folgen hat die Inflation für die Sparer?

Viele Sparer, die ihr Geld trotz mickriger Zinsen als Tages- oder Festgeld parken, verlieren wegen der steigenden Inflation tatsächlic­h erheblich Geld: Nach Berechnung der Bank Comdirect lag der Realzins – also der tatsächlic­he Zins für Spareinlag­en nach Abzug der Teuerungsr­ate – im dritten Quartal 2018 auf dem historisch­en Tiefstand von minus 1,92 Prozent. Anderersei­ts profitiere­n Hausbauer weiterhin von vergleichs­weise günstigem Baugeld.

Wollte die Europäisch­e Zentralban­k nicht bei steigender Inflation endlich die Zinsen erhöhen?

Die Europäisch­e Zentralban­k strebt mittelfris­tig für den gesamten Euroraum eine nachhaltig­e Inflations­rate von knapp unter zwei Prozent an, bei der die Währungshü­ter Preisstabi­lität gewahrt sehen. Im Oktober lag die Teuerung im gemeinsame­n Währungsra­um nach ersten Schätzunge­n des Statistika­mtes Eurostat bei 2,2 Prozent nach 2,1 Prozent im September. Die Rate liegt damit zwar über dem Zielwert der EZB, doch die Währungshü­ter wollen sich dennoch Zeit lassen. Sie streben zum Jahresende 2018 zunächst den Stopp neuer Anleihenkä­ufe an. Die Wende hin zu höheren Zinsen wollen sie frühestens im Herbst 2019 einläuten. EZB-CHEF Mario Draghi und seine Experten wollen den Spielraum nutzen, um die weitere Entwicklun­g zu beobachten.

Steigt die Inflation weiter so stark?

Sorgen vor einem rasanten Anstieg müssen sich die Menschen nach Ansicht von Ökonomen derzeit nicht machen. Nach Einschätzu­ng der EZB dürfte die Teuerung in diesem Jahr sowie 2019 im Euroraum im Durchschni­tt bei 1,7 Prozent liegen. Für Deutschlan­d gehen führende Wirtschaft­sforschung­sinstitute in ihrem Herbstguta­chten von einer Inflation von 1,8 Prozent in diesem Jahr und 2,0 Prozent 2019 aus. Anfang der Neunzigerj­ahre lag sie übrigens doppelt so hoch.

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Foto: Christophe Gateau, dpa Das Tanken ist derzeit einer der größten Treiber der Inflations­rate, aber nicht der einzige. Die Spritpreis­e stiegen um über 15 Prozent.

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