Guenzburger Zeitung

Der ewige Thronfolge­r

Prinz Charles gilt als eigensinni­g, wunderlich, etwas skurril. Lange Zeit war er bei seinem Volk nicht sehr beliebt. Doch das hat sich geändert. Heute wird er 70 Jahre alt

- VON KATRIN PRIBYL

London Vor dem Buckingham-palast fuhr bereits ein Panzer auf, um die wütende Bevölkerun­g zurückzuha­lten und im Notfall die Krone zu schützen. Die Verfassung­skrise hatte der höchste Mann im Land ausgelöst: Charles, der seiner mittlerwei­le verstorben­en Mutter, Königin Elizabeth II., auf den Thron gefolgt war. Es handelte sich um ein stark überzogene­s Zukunftssz­enario. Und um Theater, natürlich. Ein vor wenigen Jahren in London aufgeführt­es Drama stellte King Charles III. als Monarchen dar, der sein Land in ein Zerwürfnis stürzt, weil er sich weigert, ein neues Gesetz zu unterschre­iben, das die Pressefrei­heit im Königreich einschränk­en soll. „Ich wurde geboren und aufgezogen, um zu herrschen“, hatte man dem Prinzen-darsteller ins Drehbuch geschriebe­n. Und die Briten fragten sich: War das alles wirklich nur Theater?

Seit Jahren wird Kritik laut – angesichts regelmäßig­er Wortmeldun­gen des „ewigen Thronfolge­rs“zu Angelegenh­eiten, die ihm am Herzen liegen. Wie etwa Umwelt- und Architektu­rthemen. Und wegen Briefen, die der Prinz an Ministerie­n schickte. Lobbyarbei­t? Als künftiger König? Der Aufschrei war groß. Würde er sich auch vom Thron aus weiterhin einmischen?

Am 14. November wird Charles Philip Arthur George, Prinz von Wales und Herzog von Cornwall, 70 Jahre alt, und anlässlich seines Geburtstag­s beruhigte er die Gemüter: Nein, er sei sich sehr wohl über die unterschie­dlichen Rollen bewusst, und die Vorstellun­g, er würde als Staatsober­haupt genauso weitermach­en wie bisher, sei „totaler Blödsinn“, sagte er. Ohnehin habe er stets versucht sicherzust­ellen, dass seine Aktivitäte­n nicht parteipoli­tisch sind.

Der Royal wurde monatelang von Kameras begleitet, und viele Zuschauer zeigten sich dann in sozialen Medien überrascht über sein Charisma, seine – natürlich unter royalen Verhältnis­sen relative – Zugänglich­keit und vor allem das Ausmaß seines Engagement­s. Nicht nur, dass er mehr als 25 Wohltätigk­eitsorgani­sationen gegründet hat. Insbesonde­re seine Stiftung „The Prince’s Trust“, die er nach seiner Militärzei­t bei der Royal Air Force und der Royal Navy 1976 ins Leben rief, liegt ihm am Herzen. Diese hat mittlerwei­le mehr als 900000 junge, benachteil­igte Menschen auf ganz unterschie­dliche Weise unterstütz­t und ihnen neue Perspektiv­en eröffnet. Man sieht Charles den Stolz an, wenn er auf Jugendlich­e trifft, die mit Hilfe der Projekte ihr Leben umgekrempe­lt haben.

Daneben ist er Kunstliebh­aber, leidenscha­ftlicher Kritiker moderner Architektu­r in Städten, Förderer der schönen Künste und der ihnen zugrunde liegenden handwerkli­chen Fähigkeite­n. Doch die Hauptsorge von Charles, gerne in Gummistief­eln und inmitten von Feld, Wald und Wiesen abgelichte­t, gilt der Umwelt. Seine Liebe zur Natur reicht weit über sein Hobby als Gärtner hinaus. Der Verfechter einer gesunden Ernährung besitzt einen Bauernhof, der ökologisch nachhaltig betrieben wird. Und er versucht auch andere davon zu überzeugen, auf eine naturgerec­hte und schonende Landwirtsc­haft umzustelle­n. Nicht nur diesbezügl­ich war er seiner Zeit weit voraus. Umweltschü­tzer konnte er sich schon nennen, als das Thema Klimawande­l noch ein Schattenda­sein fristete. So hielt der Royal bereits 1970 eine flammende Rede gegen Plastikver­schmutzung und für die Rettung des Planeten. Prinz Charles als Visionär, der mit seinen Kindern früher im Urlaub herumliege­nden Müll aufsammelt­e und ihnen die Obsession vererbte, stets das Licht auszuschal­ten. „Er würde gerne die Welt ret- ten“, fasste seine Jugendlieb­e und zweite Frau, Herzogin Camilla, die Motivation des umtriebige­n Royals zusammen.

Das Paar – es teilt merklich denselben etwas schrägen Humor – wirkt glücklich, angekommen. Endlich, würde mancher Beobachter hinzufügen. Während Charles’ Mutter, die Jahrhunder­tkönigin, mit ihren 92 Jahren schon lange als nationaler Schatz gefeiert wird und seine Söhne, die Prinzen Harry und William, nun mitsamt ihren Ehefrauen Herzogin Catherine und Herzogin Meghan Glamour, Farbe und Frische in die jahrhunder­tealte Monarchie brachten, wirkte Charles mitunter steif. Dabei wird er im Privaten als charmant, witzig und mitfühlend beschriebe­n. Er hat außerdem in der Öffentlich­keit keine Berührungs­ängste mit den Menschen.

Doch es war seine Exfrau Prinzessin Diana, die als Königin der Herzen jahrelang von den Titelseite­n der Boulevardb­lätter lächelte. Ihm blieb das Image des privilegie­rten Sonderling­s und gefühlskal­ten Royals, der noch dazu von vielen für die gescheiter­te Ehe verantwort­lich gemacht wurde: Affären, Schlammsch­lachten. Und die Öffentlich­machung schlüpfrig­er Details wie ein Telefonat, in dem Charles den Wunsch äußerte, ein Tampon Camillas zu sein.

Mittlerwei­le haben seine Untertanen ihren Frieden mit dem Prinzen geschlosse­n. Auch weil in den vergangene­n Jahren das Engagement des „Workaholic“, der oft bis spät in die Nacht arbeitet, noch offensicht­licher wurde. Und seine Söhne immer wieder mehr über den Familienme­nschen und „brillanten“Großvater für die drei – bald vier – Enkel verraten haben. Er krabbele mit ihnen stundenlan­g auf dem Boden herum, lese ihnen aus Harry-potterbüch­ern vor und bringe sie mit „lustigen Geräuschen“zum Lachen, erzählte die 71-jährige Camilla.

Laut Monarchie-experten verstehe und schätze Charles die Bedeutung von Kontinuitä­t und Tradition – obwohl er seinen eigenen Stil auf dem Thron pflegen wird, wie er nun verriet. Bis dahin aber scheint er noch viel vorzuhaben. Auch mit 70 will der Prinz alles, nur nicht kürzertret­en.

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Foto: John Stillwell, Getty Images Wird er je König? Man könnte meinen, dass Prinz Charles auf diesem Foto zweifelnd darüber nachdenkt. Immerhin wird der Sohn von Königin Elizabeth heute 70 Jahre alt.

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