Guenzburger Zeitung

Wie lange bleibt Seehofer noch Innenminis­ter?

Analyse Ausgerechn­et seine ärgsten Rivalen könnten dafür sorgen, dass der CSU-Politiker vorerst weitermach­en darf

- VON MICHAEL STIFTER

Berlin Als Horst Seehofer aus dem Paradies vertrieben wird, fasst er einen Entschluss. In Berlin will er seinen undankbare­n Parteifreu­nden zeigen, dass er in einer ganz eigenen Liga spielt. Dass es ein Fehler ist, einen wie ihn als Ministerpr­äsidenten vom Hof zu jagen. Doch auf diesem Hof haben längst andere das Sagen. In wenigen Wochen muss Seehofer auch noch sein Amt als CSU-Chef hergeben. Dass er eine Liga für sich ist, hat er zwar tatsächlic­h unter Beweis gestellt – allerdings nicht im positiven Sinne. Nach all den Irrungen der vergangene­n Monate spürt er, dass seine Zeit zu Ende geht. Kann so einer wirklich Bundesinne­nminister bleiben? Ja. Er kann. Und er wird es wollen – und sei es nur, um einen letzten Wettbewerb zu gewinnen.

Mag Seehofers Machtverfa­ll noch so unaufhalts­am voranschre­iten, mag das Grummeln noch so laut sein, so hat er doch nach wie vor einen wichtigen Trumpf in der Tasche: In Berlin wird ihm keiner wirklich gefährlich. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt würde sich im Prinzip zwar jedes Amt zutrauen. Allerdings findet er selbst in den eigenen Reihen nicht genügend Leute, die das ebenfalls tun. Andreas Scheuer hat als Verkehrsmi­nister wenig dafür getan, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Und Stephan Mayer, Staatssekr­etär im Innenminis­terium, ist in der zweiten Reihe wohl am besten aufgehoben.

Neben der personelle­n Ebbe in der Hauptstadt gibt es noch einen Garanten für Seehofers Weiterbesc­häftigung und das ist pikanterwe­ise sein ärgster Rivale. Markus Söder hat als Ministerpr­äsident schon genug Baustellen in München. Erst recht, wenn er – wonach es momentan aussieht – auch noch CSU-Chef werden sollte. Rein formal könnte sich Söder dann für all die Demütigung­en durch seinen früheren Chef rächen und Seehofer in Rente schicken. Schließlic­h ist im Koalitions­vertrag klar geregelt, dass nicht die Kanzlerin, sondern allein die Parteien über die personelle Besetzung ihrer Ministerie­n entscheide­n. Dieser Gedanke mag Söder vielleicht sogar gefallen. Doch er dürfte wenig Interesse an neuen Turbulenze­n in Berlin haben. Zumal er auf der Suche nach einem Nachfolger notgedrung­en – mal wieder – beim bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann landen würde. Doch der hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er am liebsten bis ans Ende seiner politische­n Tage in München bleiben will. Außerdem ist Herrmann als eines der wenigen Schwergewi­chte im bayerische­n Kabinett quasi unverzicht­bar. Sollte Seehofer es mit seinen Sticheleie­n gegen Söder also nicht übertreibe­n, hat er gute Chancen, vorerst unbehellig­t zu bleiben.

Bleibt noch die Frage nach dem Autoritäts­verlust. Kann einer, den nicht einmal mehr die eigene Partei als Anführer akzeptiert, tatsächlic­h die Verantwort­ung für ein derart wichtiges Ministeriu­m behalten? An dieser Stelle hilft Seehofer ausgerechn­et seine zweite große Widersache­rin aus der argumentat­iven Bedrängnis. Wenn Angela Merkel ihr Amt als CDU-Vorsitzend­e abgeben und dennoch Kanzlerin bleiben kann, warum sollten dann für Seehofer andere Regeln gelten?

Außerdem gibt es nicht wenige in Berlin, die es sogar als Chance für den 69-Jährigen sehen, wenn er sich als Parteichef nicht mehr um alles Mögliche kümmern muss. Schließlic­h ist im Innenminis­terium bei all den Streiterei­en eine Menge liegengebl­ieben. Was beispielsw­eise wurde eigentlich aus der so viel diskutiert­en Abteilung „Heimat“?

Merkel und Seehofer bilden auf den letzten Metern ihrer Karriere eine Art Schicksals­gemeinscha­ft. Kippt die eine, ist wohl auch der andere am Ende. Zugleich findet aber ein interner Wettbewerb statt, wer von beiden länger durchhält. Ihm ist es ohne Frage wichtiger als ihr, diesen letzten Kampf für sich zu entscheide­n. Schließlic­h ist er der festen Überzeugun­g, dass sie überhaupt nur wegen ihm noch einmal Kanzlerin geworden ist.

Die erste Runde des Duells geht wohl an Seehofer. Wenn er im Januar den Weg an der CSU-Spitze frei macht, hat er Merkel zumindest um ein paar Wochen überlebt, die ihren Parteivors­itz schon Anfang Dezember abgeben wird. Doch entscheide­nd ist die zweite Runde. Und da liegt die Kanzlerin vorne. Während Merkel als Regierungs­chefin auch ohne Parteiamt in allen Machtzirke­ln der Großen Koalition vertreten bleibt, wird Seehofer nicht mehr automatisc­h dabei sein. Wenn es nicht gerade um Themen geht, die sein eigenes Ministeriu­m betreffen, wird er künftig öfter zuschauen müssen, wie die große Politik an ihm vorbeiläuf­t. Ein weiterer Schritt der schmerzhaf­ten Entwöhnung von der Droge namens Macht.

Der Kopfmensch Merkel hat aber noch einen anderen, viel wichtigere­n Vorteil im letzten Wettbewerb mit dem Bauchmensc­hen Seehofer. Während er seine Chance auf ein würdiges Karriereen­de verpasst hat, bleibt ihr noch immer die Möglichkei­t, den Abgang von der großen Bühne selbst zu bestimmen.

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Foto: Schwarz, afp Horst Seehofer will als Innenminis­ter weitermach­en.

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