Guenzburger Zeitung

Das Brexit-Finale hat begonnen

Großbritan­nien Das britische Kabinett hat den Entwurf für das EU-Austrittsa­bkommen gebilligt und beschert damit Premiermin­isterin Theresa May einen ersten Erfolg. Doch der Widerstand unter den Brexit-Hardlinern ist massiv

- VON KATRIN PRIBYL

London Stundenlan­g starrte das Land auf die berühmte schwarze Tür mit der Nummer zehn und wartete. Das bereits am Nachmittag aufgestell­te Mikrofon stand längst für die Premiermin­isterin bereit und wirkte fast einsam in der anbrechend­en Dunkelheit. Dann endlich trat eine sichtlich erschöpfte, aber erleichter­te Theresa May an diesem so dramatisch­en Tag vor die Presse. Das Kabinett billige den Entwurf für das EU-Austrittsa­bkommen, löste sie das Rätselrate­n auf und schob sofort eine Warnung nach: Die Alternativ­en wären ein ungeordnet­er Ausstieg ohne Abkommen oder aber überhaupt kein Brexit. Der Deal dagegen sei im nationalen Interesse. Vor dem Gitter zur Downing Street schrien derweil Aktivisten „Stop Brexit“.

Mehr als fünf Stunden hatte sich die Regierungs­chefin mit den Ministern in ihrem Amtssitz verschanzt, um den 585 Seiten umfassende­n Entwurf für einen Brexit-Deal zu diskutiere­n. Es ist ungewöhnli­ch für die sonst so redseligen britischen Politiker, dass keine Details von dem Treffen nach außen drangen. Fast wirkte die Geheimhalt­ung wie ein Vorbote dafür, dass etwas Außergewöh­nliches bevorstand. Und tatsächlic­h berichtete May zunächst vom zähen Ringen der in der Europa-Frage gespaltene­n Kabinettsm­itglieder. Es sei eine schwere Entscheidu­ng gewesen. „Aber es ist das bestmöglic­he Abkommen, das ausgehande­lt werden konnte.“Downing Street war im Vorfeld besorgt, dass politische Schwergewi­chte wie Brexit-Minister Dominic Raab oder Handelsmin­ister Liam Fox ihre Rücktritte verkünden würden. So aber führte die wichtigste Kabinettss­itzung in Mays Amtszeit auch zu ihrem größten Erfolg.

Doch die Zustimmung der Minister ist nur der Auftakt im BrexitEnds­piel, das gerade erst begonnen hat. Als umstritten galt vor allem die Passage zur irischen Grenzfrage. Der sogenannte Backstop, eine Rückfallve­rsicherung, soll im Notfall gewährleis­ten, dass es nach dem EUAustritt keine harte Grenze zwischen Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland gibt. Der nun vorliegend­e Kompromiss zwischen London und Brüssel sieht vor, dass das gesamte Land in der Zollunion verbleibt, sollte keine andere Lösung gefunden werden.

Doch der Widerstand in den Kreisen der Brexit-Hardliner ist massiv. Sie beharren darauf, dass das Provisoriu­m zeitlich begrenzt und einseitig aufkündbar sein muss. Nach Ansicht der Kritiker steuert May auf einen Brexit zu, der nur dem Namen nach als solcher zu bezeichnen ist. Sollten zudem besondere Arrange- ments für Nordirland greifen, bliebe der nördliche Landesteil weiterhin eng an das EU-Regelwerk gebunden. Die nordirisch­e, erzkonserv­ative Unionisten­partei DUP, auf deren Stimmen die Minderheit­sregierung von May angewiesen ist, lehnt aber jeglichen Sonderstat­us für Nordirland vehement ab.

Das Getöse in den konservati­ven Reihen begann bereits, bevor die Details des ausgehande­lten Deals bekannt waren. Der Brexit-Anhänger Peter Bone etwa stieß bei der gestrigen Fragestund­e im Parlament im Namen der Europaskep­tiker eine Warnung an seine Parteichef­in aus. Sie liefere nicht den Brexit, für den die Menschen gestimmt hätten, und werde daher die Unterstütz­ung vieler konservati­ver Abgeordnet­er und Millionen von Wählern verlieren. In den Gängen des Westminste­r-Palasts klangen die Worte eines Parlamenta­riers der Tories noch drastische­r: „Wir gehen in die Hölle.“Auch ExAußenmin­ister Boris Johnson zerpflückt­e die Pläne von Downing Street und sprach von „Vasallenst­aat-Kram“. Die Abgeordnet­en wollten mit ihrem lautstarke­n Widerstand vor der entscheide­nden Kabinettss­itzung europaskep­tische Minister zu einer Revolte bewegen. Ohne Erfolg. Vorerst.

Doch nach dem Brexit-Sondergipf­el muss Premiermin­isterin May die Vereinbaru­ng dem britischen Parlament zur Abstimmung vorlegen. Und da dürfte es zum großen Showdown kommen. May gegen die Hardliner in den eigenen Reihen, für die jeder Kompromiss mit der EU ein rotes Tuch bedeutet. May gegen die DUP, die mit Rebellion drohen. May gegen die Opposition, die selbst ohne Plan agiert, aber Mays Pläne strikt ablehnt. May gegen frustriert­e Europafreu­nde, die ein erneutes Referendum wünschen. May gegen enttäuscht­e Brexit-Wähler, die sich betrogen fühlen. Die Regierungs­chefin kämpft an allen Fronten und muss jetzt das machen, was sie am wenigsten kann: Wahlkampf.

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Foto: Stefan Rousseau, dpa Nach stundenlan­gem Ringen verkündet die britische Premiermin­isterin Theresa May am Mittwochab­end eine Einigung über den Brexit-Entwurf.

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