Guenzburger Zeitung

Die Hoffnung heißt Michelle

Lesereise In ihren Memoiren schreibt sie über künstliche Befruchtun­g, über Eheproblem­e und rechnet nebenbei mit Donald Trump ab. Nun geht Michelle Obama auf Tour und wird gefeiert wie ein Popstar. Wie sich der Hype um die ehemalige First Lady erklären läs

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VON KARL DOEMENS Washington Das freundlich­e Geplauder auf der hundert Meter entfernten Bühne läuft schon fast anderthalb Stunden, als es Toni Harper plötzlich von ihrem Sitz K14 reißt – ganz oben auf dem vierten Rang der riesigen Eishockey-Arena. Michelle Obama hat gerade über das „vergiftete politische Klima“in den USA gesprochen, das ihren Mann durchaus zu heftigen Gegenreakt­ionen reize, dann aber eingewandt: „Präsident ist man nicht für sein eigenes Ego.“Da klatscht Harper, eine 47-jährige Afroamerik­anerin aus Washington. Wie die frühere First Lady ist sie überzeugt: „Wir dürfen uns von denen nicht herunterzi­ehen lassen!“Tatsächlic­h springt das Publikum kurz darauf unter Kreischen und Jubel in die Luft. Von ihrem Sitz im Olymp der 20000-Plätze-Halle kann Harper zunächst gar nicht erkennen, was passiert: Unerwartet ist Barack Obama mit offenem Hemd und federndem Schritt aus der Kulisse getreten, hat seiner Frau einen Strauß rosafarben­e Rosen überreicht und sich dann locker auf die Lehne ihres blauen Sessels gehockt. „Was sie sagt, macht viel Sinn“, versichert der Ex-Präsident nun. Mit einem unnachahml­ich spitzbübis­chen Lächeln setzt er hinzu: „Nur einiges würde ich korrigiere­n.“Spätestens zu diesem Zeitpunkt haben sich die 200 Dollar ausgezahlt, die viele Besucher auf den günstigen Plätzen für ihre Eintrittsk­arte bezahlt haben. In den ersten Reihen waren bis zu 3000 Dollar fällig. Das sind astronomis­che Preise für eine Veranstalt­ung, die eigentlich einzig der Vermarktun­g eines Buches dienen soll. „Becoming – Meine Geschichte“heißen die Memoiren von Michelle Obama, die sie auf einer Lese-Tour der Superlativ­e vorstellt. Elf MegaStadie­n quer durchs Land sind so gut wie ausgebucht. Der Schwarzmar­kt blüht. Unterstütz­t wird die Werbekampa­gne durch akkurat inszeniert­e Auftritte der früheren First Lady in Talkshows und Podiumsdis­kussionen sowie Personalit­yStorys in Hochglanzm­agazinen. 1,8 Millionen Exemplare hat der Verlag für die USA gedruckt, fast die Hälfte war am ersten Tag verkauft. Doch es geht um viel mehr als einen neuen Bestseller. Das Publikum in Washington besteht zum überwiegen­den Teil aus Frauen, und viele Ich wollte jemanden, der sagt, wenn ich im Unrecht bin. Und, Mannomann, das hat sie getan.“ Barack Obama von ihnen sind schwarz wie Harper. „Ich bin ein echter Michelle-Fan“, schwärmt die Frau mit den Rastazöpfe­n. Unter ihrem Sakko trägt sie ein T-Shirt mit dem Konterfei ihres Idols. „Sie ist für mich ein Vorbild“, sagt die Anwältin. Viele hier empfinden das ähnlich: Eine schwarze Frau, die sich mit Zähigkeit und Fleiß aus einfachen Verhältnis­sen ihren Weg an die weißen Elite-Universitä­ten Princeton und Harvard gebahnt hat, mit 25 Jahren als Anwältin einer Top-Kanzlei arbeitete, dann einen ebenso coolen wie klugen Jurastuden­ten kennenlern­te, mit ihm zwei Kinder zur Welt brachte und trotz der Ausnahmeka­rriere ihres Mannes stets ihr eigenes Profil behielt – das scheint ihnen das perfekte Rollenmust­er zu liefern. Seitdem Michelle Obama auch noch singend und scherzend im Karaoke-Taxi des TV-Komikers James Corden durch Washington glitt, ist sie für das moderne Amerika definitiv ein Popstar. So geht es an diesem Abend nicht um Barack Obama, jenen Jurastuden­ten, der Michelle Robinson vor 29 Jahren mit seiner selbstsich­eren Lockerheit und seinem kräftigen Bariton beeindruck­te. Der Ex-Präsident ist nur in die Eishockey-Are- na gekommen, um den Teppich für seine Frau auszurolle­n, die stets ihre eigene Agenda gehabt habe. „Ich dachte, sie ist wirklich groß“, schildert Obama offen seinen ersten Eindruck der 1,80 Meter großen Michelle: „Und diese Beine – sehr eindrucksv­oll!“Was anderswo schrillen Sexismus-Alarm auslösen würde, ist Teil eines augenzwink­erndoffene­n Rollenspie­ls zwischen dem prominente­n Paar, das vom Publikum mit Jubel quittiert wird, zumal Barack Obama bald hinzufügt: „Ich wusste, dass sie mich herausford­ern würde. Ich wollte jemanden, der sagt, wenn ich im Unrecht bin. Und, Mannomann, das hat sie getan.“Wie Michelle zu dieser Frau wurde und sich an der Seite eines überragend­en Mannes behauptete – das schildert sie in ihrem Buch. Dass sie dort auch von einer Fehlgeburt und den künstliche­n Befruchtun­gen berichtet, mit deren Hilfe ihre Töchter Sasha und Malia gezeugt wurden, hat der Verlag Crown geschäftst­üchtig schon vor der Veröffentl­ichung am vergangene­n Dienstag hinausposa­unt. Dazu gibt es Fotos von der Einschulun­g der kleinen Michelle, die im unterprivi­legierten Süden Chicagos aufgewachs­en ist, inmitten weißer Kinder. Sie schreibt über ihren an multipler Sklerose lei- denden Vater, der mit 55 Jahren starb, und die Schwierigk­eiten, später die eigene Karriere und die Familie miteinande­r zu versöhnen. Bei den Obamas führte das zeitweise zu einer Ehekrise, die sie auch dank Paarberatu­ng überstande­n: „Ich wusste, wenn ich mich nicht selbst organisier­e, wird dieser Tornado mich hinweg reißen“, räumt sie ein. Vielen Frauen im Publikum kommt das bekannt vor. „Yeah!“, kommentier­en Zuhörerinn­en. Das alles ist sehr beeindruck­end. Aber vollkommen verstehen lässt sich die ganze Wucht des MichelleHy­pes, der die USA gerade erfasst, nur vor der Folie der Trump-Präsidents­chaft. Gerade mal anderthalb Kilometer trennen die Capitol One Arena, in der Michelle Obama das Publikum mitreißt, vom Weißen Haus, in dem jetzt ein polternder weißer Rassist regiert. Der Kontrast zwischen dessen angst- und wutgetrieb­ener Politik und dem idealistis­chen Fortschrit­tsglauben seines Vorgängers könnte nicht größer sein. Michelle Obama erwähnt Donald Trump an diesem Abend mit keinem Wort. In dem Buch nennt sie ihn einen „Rüpel“und „Frauenhass­er“. Und sie nimmt Bezug auf dessen Anschuldig­ungen, Barack Obama sei gar kein amerikanis­cher Staatsbürg­er. „Donald Trump hat mit seinen rücksichts­losen Unterstell­ungen meine ganze Familie einem Sicherheit­srisiko ausgesetzt“, schreibt sie. Das werde ich ihm nie verzeihen.“Auch der Gegensatz zwischen der früheren und der amtierende­n First Lady ist augenschei­nlich. Hier eine selbstbewu­sste Harvard-Absolventi­n, die humorvoll und lebensklug ihren Werdegang berichtet – dort ein Ex-Model, das einen narzisstis­chen Milliardär geheiratet hat und sich mit einer mysteriöse­n Aura des Schweigens umgibt, wenn sie nicht gerade unliebsame Mitarbeite­r feuern lässt. Unvorstell­bar, dass Melania Trump lachend und ohne Anzüglichk­eit in der Öffentlich­keit erzählen könnte, wie sie ihre eigene Unterwäsch­e in dem vom Personal beherrscht­en Weißen Haus nicht finden kann. Und ebenso unvorstell­bar ist es, dass Michelle Obama, die mit ihrem Mann vor der Hochzeit in einem mit Menschen und Hühnern überladene­n Regionalzu­g quer durch Kenia zu dessen Großmutter reiste, in Afrika im Kolonialko­stüm posieren würde. Je länger man Michelle Obama zuhört, desto erschrecke­nder scheint, wie sich die USA in zwei Jahren verdunkelt haben. Umso leuchtende­r strahlt das Konterfei der „Präsidenti­n der Herzen“von den riesigen Videotafel­n. Längst ist die 54-Jährige zur Projektion­sfläche für die Träume und Hoffnungen vieler Amerikaner geworden, die sich von den dumpfen Ressentime­nts und den aggressive­n Attacken des amtierende­n Präsidente­n abgestoßen, beleidigt und angewidert fühlen. Eigentlich sollte das die Stunde der Opposition sein. Doch die demokratis­che Partei scheint vor allem mit sich selbst beschäftig­t, und eine charismati­sche Führungsfi­gur ist nicht in Sicht. Jenseits von Trump klafft ein riesiges Vakuum. Und dort genau tritt nun Michelle Obama auf. Ihre Tour wird auch deshalb so gefeiert, weil sie in ihren Memoiren die Sehnsucht des US-Bildungsbü­rgertums bedient. Bei genauem Hinsehen freilich ist auch die Hauptfigur der perfekt inszeniert­en Lesereise nicht frei von Widersprüc­hen. Ein wenig zu perfekt wirken ihre strahlend weiße Bluse, der wirbelnde Faltenrock und die schwarze Dior-Korsage auf dem Cover des Hochglanzm­agazins Elle. Für ihre Memoiren streicht Obama einen zweistelli­gen Millionenb­etrag ein. Und bei aller Offenheit wirken ihre Erzählunge­n doch sehr bewusst komponiert und letztlich stets kontrollie­rt. Gleichzeit­ig zeigt die frühere First Lady kein Interesse, aktiv in die Politik einzugreif­en. Im Gegenteil: Überdeutli­ch hadert sie mit der langen Abwesenhei­t ihres Mannes während der Sitzungswo­chen, fühlt sich abgestoßen von den Angriffen der Presse und der gegnerisch­en Partei und äußert ihr Befremden „Ich habe nicht die Absicht, mich jemals für ein politische­s Amt zu bewerben.“ Michelle Obama über Wahlkampfr­ituale. „Ich habe nie die Faszinatio­n begriffen, am Samstag in einer Sporthalle zu stehen und luftigen Verspreche­n und Plattitüde­n zuzuhören.“Damit ist Michelle Obama ganz nahe bei ihren Lesern – und lässt sie doch alleine. „Ich bin kein politische­r Mensch“, wiegelt sie ab. Und für alle, die es noch nicht begriffen haben, erklärt die vermeintli­che Hoffnungst­rägerin auf Seite 419 ausdrückli­ch: „Ich habe nicht die Absicht, mich jemals für ein politische­s Amt zu bewerben.“So lässt der Abend die Besucher freudig belebt, aber irgendwie auch ratlos zurück. Michelle Obama hat in der Arena eine unterhalts­ame Mischung aus anrührende­r Liebesgesc­hichte, beeindruck­endem Selbstfind­ungsvortra­g und emanzipato­rischem Motivation­straining geboten. Aber wie es draußen in Trumpland weitergehe­n soll, bleibt offen. Toni Harper hat sich an diesem Abend in Washington Michelle Obamas Buch gekauft. Sie wird es verschling­en, sagt die 47-Jährige. Auf ihrem T-Shirt steht „Michelle 2020“. Das ist das Jahr der nächsten Präsidents­chaftswahl. „Ich hoffe, dass sie es sich noch einmal überlegt“, sagt Harper.

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In der Eishockey-Arena in Washington erzählt Michelle Obama ihre Geschichte. Die Blumen auf dem Tisch hat ihr Mann Barack vorbeigebr­acht, als wohlüberle­gte Überraschu­ng. Foto: Paul Morigi, Getty Images)
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Privates und Politische­s: Michelle Obama in ihrem Buch „Becoming“. Foto: dpa
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Ein Bild aus Präsidents­chaftstage­n: Barack und Michelle Obama. Foto: imago

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