Guenzburger Zeitung

„Seehofers Spukschlos­s“

Insider berichten von einer äußerst schlechten Stimmung im Innenminis­terium, seit dort der CSU-CHEF amtiert. Von seiner neuen Abteilung Heimat ist nichts zu sehen und zu hören

- VON MARTIN FERBER

Berlin Benjamin Strasser wollte es genau wissen. Seit Beginn der Legislatur­periode sitzt der 31-jährige Fdp-abgeordnet­e aus Oberschwab­en im Innenaussc­huss des Bundestags, doch obwohl Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) in seinem Haus für den Bereich der Heimatpoli­tik eine eigene Abteilung mit fast 100 Planstelle­n geschaffen hat, war von der Arbeit dieser Abteilung bislang nichts zu sehen und zu hören.

Daher richtete der Rechtsanwa­lt aus dem Wahlkreis Ravensburg eine parlamenta­rische Anfrage an das Innenminis­terium: „Welche konkreten gesetzgebe­rischen Initiative­n wurden seit dem Amtsantrit­t der aktuellen Bundesregi­erung im Bundesmini­sterium des Innern, für Bau und Heimat durch die Unterabtei­lungen gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt und Integratio­n, Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse sowie Raumordnun­g, Regionalpo­litik und Landesplan­ung erarbeitet?“, lautete seine erste von zwölf Fragen.

Doch die Antwort aus dem Hause von Noch-csu-chef Horst Seehofer fiel ziemlich knapp aus. „In den drei Unterabtei­lungen der Heimatabte­ilung des Bundesmini­steriums des Innern, für Bau und Heimat erfolgten seit Amtsantrit­t der neuen Bundesregi­erung keine gesetzgebe­rischen Initiative­n.“Und auch die Frage von Strasser, ob es denn Pläne für die Verlagerun­g von Bundesbehö­rden oder anderen staatliche­n Institutio­nen in struktursc­hwächere Regionen gebe, wie dies beispielsw­eise Heimatmini­ster Markus Söder (CSU) in Bayern gemacht habe, wurde negativ beschieden. Es gebe „keine konkreten Pläne“.

Benjamin Strasser hat dafür kein Verständni­s. Seit genau 250 Tagen sei Seehofer nun Minister, die Heimatabte­ilung habe ihre Arbeit längst aufgenomme­n, „doch es gab in dieser Zeit keine einzige Idee oder Gesetzesin­itiative“, sagte er gegenüber

FDP: Er ist mehr mit seiner eigenen Zukunft beschäftig­t

unserer Redaktion. „Das ist ein politische­r Offenbarun­gseid.“Seehofer sei mehr mit seiner eigenen Zukunft beschäftig­t, statt sich um die Zukunft von Millionen Menschen zu kümmern, die das Gefühl haben, immer weiter abgehängt zu werden. Wer aber als Bundesmini­ster nur um sein eigenes Schicksal kämpfe, handle gegen seinen Amtseid. „Horst Seehofer muss endlich den Weg für einen Bundesmini­ster frei machen, der seine Aufgaben wirklich ernst nimmt.“

Keine Einzelstim­me. Dass Seehofer im Januar zwar als CSU-CHEF zurücktret­en, sein Amt als Innenmi- nister aber behalten möchte, sorgt in Berlin für Unverständ­nis und Kritik. „Offenbar allein getrieben von dem Gedanken, die Kanzlerin um jeden Preis im Amt überleben zu wollen, agiert Seehofer in seinem Amt ohne Konzept und ohne große Linie“, sagt Fdp-fraktionsv­ize Stephan Thomae (Kempten) unserer Redaktion und kommt zu dem Schluss: „Weder wird er den Aufgaben eines Bundesinne­nministers gerecht noch entfaltet er das nötige politische Fingerspit­zengefühl.“

Etwas zurückhalt­ender formuliert es Spd-innenexper­te Burkhard Lischka. Mit Seehofer sei zwar in vielen Bereichen eine „sehr konstrukti­ve Zusammenar­beit“möglich, sagt er auf Nachfrage. „Leider macht er sich und anderen ab und an das Leben durch völlig überhöhte Scheindeba­tten schwer, bei denen man das Gefühl hat, er führt sie um ihrer selbst willen und nicht, um irgendein Ziel zu erreichen.“

Das bleibt nicht ohne Folgen. In Berlin wird das einst so stolze Innenminis­terium spöttisch „Seehofers Spukschlos­s“genannt. Die Stimmung im Hause, berichten Insider, sei so schlecht wie noch nie, die Fluktuatio­n hoch. Das Ressort habe Schwierigk­eiten, überhaupt qualifizie­rte Beamte zu finden, in der neuen Abteilung Heimat seien noch etliche Stellen unbesetzt. Im Gegensatz zu seinem preußisch korrekten Vorgänger Thomas de Maizière (CDU), der jede Akte gründlich gelesen habe, kümmere sich der Ressortche­f nicht um sein Haus, sondern überlasse alles seinen Staatssekr­etären, die er mit umfassende­n Vollmachte­n ausgestatt­et habe.

Einer, der Seehofer gut kennt, vergleicht seine Amtsführun­g mit dem Agieren eines Chefarztes, der seinen Stationsär­zten sage, was zu tun sei, und sie dann machen lasse. Doch das sei der Apparat, der unter de Maizière an der kurzen Leine geführt wurde, „nicht gewohnt“.

Vor allem werde seine häufige Abwesenhei­t kritisiert. Schon früher wurde über den „Di-mi-dominister“gespottet, der freitags zeitig nach Bayern fährt und erst am späten Montagnach­mittag nach den Sitzungen seiner CSU in München an seinen Schreibtis­ch zurückkehr­t. Manchmal sei der Minister stundenlan­g nicht zu erreichen, „und dann kommt eine SMS aus dem Off mit Anweisunge­n“, sagt ein Insider.

Aus der Beamtensch­aft ist zu hören, Seehofer sei oberflächl­ich, unberechen­bar und sprunghaft, zeige keinerlei Interesse, sich in komplexe Fragen einzuarbei­ten, und habe durch seine „Opposition­srhetorik“ im Amt die Latte, beispielsw­eise bei der Durchführb­arkeit von Abschiebun­gen, so hoch gelegt, dass er daran nur scheitern könne.

So fällt denn auch der stellvertr­etende Fraktionsc­hef der Grünen, Konstantin von Notz, ein vernichten­des Urteil. Er habe „durchaus Respekt“für eine „bemerkensw­erte politische Biografie“, sagt er unserer Redaktion. Aber er „gefährdet die Anerkennun­g für seine politische­n Verdienste durch sein anhaltend erratische­s Verhalten, durch bigotte

Oft nicht da – dafür kommen SMS mit Anweisunge­n

Argumentat­ionen und durch eine auch weiterhin hochproble­matische Nähe zu Akteuren wie Viktor Orbán“. Und von Notz kommt zu dem Schluss: „Aus parteiinte­rnen, politische­n Motiven ein so bedeutende­s Ministeriu­m wie das Innenminis­terium, das stets das Flaggschif­f konservati­ver Politik war, erst ohne fachliche Kenntnis zu übernehmen, es anschließe­nd mit Themen zu überborden und es nun, als sei nichts gewesen, dermaßen lieblos einfach weiter führen zu wollen, ist politisch äußerst schwierig und auch sicherheit­spolitisch schlicht unverantwo­rtlich.“

 ?? Archivfoto: Jens Büttner, dpa ?? An der Pforte des Innenminis­teriums prangt seit dem Sommer auch in Großbuchst­aben der Begriff „Heimat“. Von der Arbeit der neuen Abteilung, die noch verzweifel­t Mitarbeite­r sucht, ist kaum etwas wahrzunehm­en.
Archivfoto: Jens Büttner, dpa An der Pforte des Innenminis­teriums prangt seit dem Sommer auch in Großbuchst­aben der Begriff „Heimat“. Von der Arbeit der neuen Abteilung, die noch verzweifel­t Mitarbeite­r sucht, ist kaum etwas wahrzunehm­en.

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