Ein Pflegefall produziert bereits den nächsten
Zum Artikel „Pflegekräfte händeringend gesucht“und zum Wochenkommentar „Problemfall Pflege“von Peter Bauer vom 17. November:
Oft wird im Zusammenhang mit dem Pflegenotstand auf die Situation in Heimen und Krankenhäusern hingewiesen. Der eigentliche Pflegenotstand ist aber nicht nur in diesen Einrichtungen, sondern in der sogenannten häuslichen Pflege zu suchen. Zahlen für den Landkreis sind mir nicht bekannt. Grob gesagt, werden aber zweimal mehr Patienten daheim gepflegt als in Heimen. Selbst die bundesweite Zahl ist meist von 2015, dürfte aber mittlerweile bei über drei Millionen Pflegefällen liegen. Wenn ich also sehr pauschal auf eine 20 000-Einwohner-stadt wie Günzburg vier Prozent rechne, gibt es allein in und um Günzburg 800 Pflegefälle! Und das an 365 Tagen im Jahr. Ein mit dem örtlichen Pflegedienst von Patientenzahl und Stadtgröße vergleichbarer Pflegedienst in Baden hat die vierfache Mitarbeiterzahl. Sprich – in Günzburg arbeitet man anscheinend nur mit einer Notbesetzung. Die Storys von Überstundenzahlen bei den Pflegekräften und vom Umgang mit den Minijobbern oder potenziell Arbeitswilligen häufen sich und lassen ganz klar ein Muster erkennen, das auf ein massives Organisationsversagen bei den Arbeitgebern bzw. Organisationen vor Ort deutet. Die mir bekannten Pflegekräfte tun dagegen ihr Bestes. Ich selbst pflege meine Frau zu Hause und bin vom rechtlichen Status aus betrachtet eine Pflegeperson. Bei einem Pflegefall des Grades IV kann ich, obwohl es mir theoretisch zur Verfügung steht, das monatliche Pflegesachleistungsbudget bei Weitem nicht abrufen (das ist der wirkliche Pflegenotstand!), weil das Angebot aufseiten der Dienstleister, die mich als Angehörigen unterstützen sollen, einfach nicht ausreicht. Ich fühle mich da ziemlich alleine gelassen und habe mich als Pflegeperson sowohl körperlich als auch psychisch aufgerieben. Für die Sozialsysteme wie für die Pflegekasse ist häusliche Pflege eine „billige“Lösung, die zulasten der Angehörigen geht. Untersuchungen häufen sich, die besagen, dass ein schwerer Pflegefall die betroffenen Angehörigen nach wie vor Job, Vermögen (unter anderem Erbe) und Gesundheit kosten. Das bedeutet: Ein Pflegefall produziert bereits den nächsten …
Rainer Doering, Günzburg