Guenzburger Zeitung

Der Bauplan für die neue Eurozone steht

Hintergrun­d Über 16 Stunden tagten die Finanzmini­ster. Dann hieß es: „Wir haben einen Deal.“Doch in die Erleichter­ung mischt sich auch Ernüchteru­ng. Längst nicht alle Wünsche gingen in Erfüllung

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Olaf Scholz versteckte seine Freude hinter hanseatisc­her Nüchternhe­it: „Die Euroreform kommt entscheide­nde Schritte voran“, schrieb er am Dienstagmo­rgen auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter. Da hatten die 19 Finanzmini­ster des Euroraums einen Durchbruch erreicht: Zwar wird die Union keinen Europäisch­en Währungsfo­nds für Krisen schaffen. Aber die bisherige Notkasse, der Stabilität­smechanism­us ESM, soll trotzdem gestärkt werden und im Ernstfall klammen Staaten sowie Geldinstit­uten zur Verfügung stehen. Ein eigenes Eurobudget für die Währungsge­meinschaft steht ebenfalls noch im Raum. Aber da müssen nun die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem Gipfeltref­fen in der nächsten Woche den Schlussste­in setzen. „Wir haben große Schritte nach vorne gemacht“, kommentier­te EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici erleichter­t.

Der Optimismus konnte aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Einigung nur dadurch zustande kam, dass einige Stolperste­ine erst einmal ausgeklamm­ert wurden. Dazu zählt vor allem die gemeinsame Einlagensi­cherung, die Deutschlan­d blockierte. Zunächst müssten alle Mitgliedst­aaten ihre Banken stabilisie­ren und ihre Haushalte in Ordnung bringen, ehe die gemeinsame Haftung eingeführt werden könne, argumentie­rte die Bundesregi­erung. Das Instrument soll vor allem verhindern, dass in einem Krisenfall die Sparer eines Landes ihre Banken stürmen und so eventuelle Probleme noch verstärken.

Offen ist auch die Zukunft einer Finanztran­saktionsst­euer. Zwar hatten Frankreich und Deutschlan­d mit einem gemeinsame­n Entwurf versucht, die Zweifler auf ihre Seite zu ziehen. Ihre Idee: Die Finanztran­saktionsst­euer soll zunächst nur auf Aktien erhoben werden und ihre Erlöse in ein neues Eurobudget fließen. Wer mitmache, könne einen Rabatt bei den Mitgliedsb­eiträgen für die EU bekommen. Doch der Widerstand gegen dieses Vorhaben war heftig – vor allem, weil die Steuer ursprüngli­ch auf alle Finanztran­saktionen erhoben werden sollte, die Liste der Ausnahmen (Staatsanle­ihen, Derivate…) aber immer länger geworden war.

Und auch die Digitalste­uer, mit der die Union die Geschäftst­ätigkeit von Internet-Konzernen belegen wollte, blieb hängen. Nicht nur Irland, wo das US-Unternehme­n Apple seinen Sitz hat, sondern auch von weiteren Ländern gab es Widerstand. Dabei hatten Bundesfina­nzminister Olaf Scholz und sein französisc­her Kollege Bruno Le Maire in letzter Minute noch einen Kompromiss ausgearbei­tet. Er sah eine dreiprozen­tige Ertragsteu­er für Firmen wie Facebook oder Google vor, die mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsa­tz machen, von denen mindestens 50 Millionen Euro online erwirtscha­ftet werden. Doch den EU-Partnern war dies zu wenig, zumal Paris und Berlin lediglich die Erlöse aus der Online-Werbung zur Veranlagun­g heranziehe­n wollten – nicht aber die Gewinne aus dem Handel mit Nutzerdate­n. Das Thema wurde ins nächste Jahr verschoben, dürfte allerdings auch dann nicht realisierb­ar sein.

Die meisten Finanzmini­ster der EU plädierten dafür, zunächst eine Stellungna­hme der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit abzuwarten. Die OECD hat für 2020

Kommentar

So wappnet sich der Euro-Raum gegen künftige Krisen

● Bankenkris­en Probleme sollen frühzeitig erkannt werden. Dafür gibt es die Bankenaufs­icht – für große Institute bei der Europäisch­en Zentralban­k, für kleinere sind die nationalen Aufseher zuständig. Die Kontrolleu­re achten auch darauf, dass die inzwischen nachgebess­erten Auflagen für eine bessere Ausstattun­g mit Eigenkapit­al eingehalte­n werden. Gerät ein Geldhaus trotzdem in Schieflage, sind zunächst die Eigentümer und Gläubiger verantwort­lich. Vor allem aber der sogenannte Bankenabwi­cklungsfon­ds (SRF). In den zahlen die europäisch­en Institute bereits ein. Bis 2024 soll er 55 Milliarden Euro vorhalten. Das reicht für kleinere Häuser, nicht aber für große. Jetzt haben die Finanzmini­ster vereinbart: Sollte eine Großbank kippen, tritt nach dem SRF der ESM-Euro-Stabilität­s- ein Modell für eine globale Digitalste­uer angekündig­t. Europa will nicht vorpresche­n. Wie viel vom großen Umbau der Währungsun­ion inklusive einiger neuer Finanzieru­ngsinstrum­ente also übrig bleibt, mochte am Dienstag trotz der Erfolge niemand sagen. Nun müssen die Staats- und Regierungs­chefs selbst ran. fonds in Luxemburg auf den Plan (Backstop). Ihm stehen bis zu 700 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Geld beschafft sich der ESM bei anderen Großbanken. Der Steuerzahl­er wird nicht mehr belastet.

● Staatsschu­ldenkrisen Der Stabilität­smechanism­us ESM wird zwar nicht – wie zunächst geplant – zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds ausgebaut, aber massiv gestärkt. Er soll dann Problem-Staaten unterstütz­en, verlangt aber als Gegenleist­ung eine Kontrolle über den nationalen Etat. Wenn sich die Staats- und Regierungs­chefs darauf einigen, käme ein neues Instrument hinzu: Wer solide wirtschaft­et, wird belohnt. Er kann auf EU-Fördermitt­el zugreifen. Außerdem stünden die Gelder zur Verfügung, um rückständi­ge Mitglieder der Euro-Zone zu unterstütz­en. (dr)

 ?? Foto: John Thys, afp ?? Hanseatisc­h zurückhalt­end, aber doch zufrieden: Der deutsche Finanzmini­ster – hier im Gespräch mit EZB-Chef Mario Draghi – hält den Kompromiss, den er und seine 18 Kollegen in Brüssel erzielten, für einen entscheide­nden Fortschrit­t in Richtung einer neuen Eurozone.
Foto: John Thys, afp Hanseatisc­h zurückhalt­end, aber doch zufrieden: Der deutsche Finanzmini­ster – hier im Gespräch mit EZB-Chef Mario Draghi – hält den Kompromiss, den er und seine 18 Kollegen in Brüssel erzielten, für einen entscheide­nden Fortschrit­t in Richtung einer neuen Eurozone.

Newspapers in German

Newspapers from Germany