Guenzburger Zeitung

Warum Vanessas Mörder nicht freikommt

Justiz Menschenre­chts-Gericht fällt wichtiges Urteil zur nachträgli­chen Sicherungs­verwahrung

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF (mit dpa)

Straßburg/Augsburg Rechtsanwa­lt Adam Ahmed ist stinksauer. Er ärgert sich über den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR). Nicht, weil er ein Verfahren verloren hat. Das Missfallen des Anwalts ist grundsätzl­icher: „Das ist ein juristisch­er Purzelbaum rückwärts“, poltert Ahmed. Der Gerichtsho­f weiche mit seiner Entscheidu­ng „diametral von seiner eigens eingeleite­ten Rechtsprec­hung ab dem 17. Dezember 2009 ab“.

Was den bekannten Strafverte­idiger so auf die Palme bringt, dürfte den Großteil der Bevölkerun­g allerdings beruhigen. Der Gerichtsho­f hat am Dienstag in Straßburg verkündet, dass Daniel I., der sogenannte „Joggerin-Mörder von Kelheim“zu Recht auf unbestimmt­e Zeit weggesperr­t ist. I. hatte 1997 eine Studentin erwürgt und sich an der Leiche vergangen. Er erhielt die höchstmögl­iche Jugendstra­fe von zehn Jahren Haft. Nachdem er die Strafe abgesessen hatte, ordnete ein Gericht 2009 nachträgli­che Sicherungs­verwahrung gegen ihn an.

Da die Fälle bezüglich der nachträgli­chen Sicherungs­verwahrung laut Ahmed identisch sind, hat das Urteil eine vorentsche­idende Wirkung auch für den Fall der zwölfjähri­gen Vanessa aus Gersthofen. Michael W. hatte sie am Rosenmonta­g 2002 in ihrem Bett erstochen. Er saß ebenfalls zehn Jahre Jugendstra­fe ab und wurde 2012 vom Landgerich­t Augsburg zu Sicherungs­verwahrung verurteilt. Im Fall W. läuft seit vier Jahren ein Verfahren am EGMR. Wann das Gericht eine Entscheidu­ng fällt, ist unklar. Dass Vanessas Mörder bald freikommt, ist nun aber sehr unwahrsche­inlich geworden.

Das Straßburge­r Urteil hat grundsätzl­iche Bedeutung. Denn es geht um nichts weniger als die Frage, wie Deutschlan­d mit gefährlich­en Straftäter­n umgehen soll, die ihre Haft abgesessen haben. Das deutsche System zur Sicherungs­verwahrung war im Jahr 2013 angepasst worden. Zuvor hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte Deutschlan­d mehrfach deswegen verurteilt – unter anderem, weil sich die Lebensbedi­ngungen der Gefangenen früher nur unwesentli­ch von denen im regulären Strafvollz­ug unterschie­den. Zuletzt hatte sich das Straßburge­r Gericht mit der Neugestalt­ung aber wiederholt zufriedeng­egeben.

Im Fall des „Joggerin-Mörders“entschied der EGMR, die deutschen Gerichte hätten durch Expertengu­tachten hinreichen­d dargelegt, dass der Mann an sexuellem Sadismus leide und in Freiheit weitere Straftaten begehen könnte. Seine Sicherungs­verwahrung sei daher nicht willkürlic­h gewesen und habe nicht gegen das Recht auf Freiheit verstoßen. Außerdem unterstric­hen die Richter, dass die Unterbring­ung des Mannes vor allem darauf abgezielt habe, seine psychische Störung zu behandeln.

Das bayerische Justizmini­sterium begrüßte das Urteil. Es sei Rechtssich­erheit hergestell­t worden. „Damit können in Bayern auch künftig zum Schutz der Allgemeinh­eit gefährlich­e Straftäter unter höchsten Sicherheit­smaßnahmen therapiert und untergebra­cht werden.“

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