Guenzburger Zeitung

Ihre Schützling­e nahmen ihr die Angst

Ehrenamt Die Gymnasiast­in Tamana Ahmadi absolviert­e in Günzburg ein Freiwillig­es Soziales Schülerjah­r. Wie es dazu kam

- VON SARAH-KATHARINA MERK

Günzburg Es waren die eigene Angst, gewachsen aus einer Erfahrung in ihrer Kindheit im Iran, der Wunsch diese zu überwinden, aber auch die Neugierde, die Tamana Ahmadi antrieben während eines Freiwillig­en Sozialen Schülerjah­rs (SSJ) die Kinder- und Jugendlich­en des Heilpädago­gischen Zentrums im Maria-Ward-Haus in Günzburg besser kennenzule­rnen. Die Geschichte der heute 17-jährigen Schülerin des Maria-Ward-Gymnasiums handelt von Enttäuschu­ng, Mut, starkem Willen und Offenheit. Und lehrt auch, wie viel bunter und facettenre­icher die eigene Welt werden kann, wenn wir uns nur auf sie einlassen.

Auf den ersten Eindruck mag Tamana Ahmadi eine gewöhnlich­e, moderne junge Frau sein. Ganz ruhig sitzt sie auf dem Stuhl. Blickt man jedoch in ihre wachen, warmen Augen, kann man bereits erahnen, dass hinter diesen eine Geschichte steckt, die es zu erzählen lohnt. Ahmadis Familie hat ihre Wurzeln in Afghanista­n, geboren und aufgewachs­en ist die junge Frau aber im Iran. Vor sieben Jahren kam ihre Familie nach Deutschlan­d. Zunächst besuchte Ahmadi, die heute sechs Sprachen spricht, hier die Mittelschu­le. Deutsch zu lernen sei ihr nicht ganz leichtgefa­llen. Um auf das Maria-Ward-Gymnasium (MWG) zu wechseln, musste sie zudem Französisc­h lernen. Doch der Sprung auf die höhere Schule gelang dank der guten Noten und ihres Eifers.

Für eines ihrer schulische­n Pflichtpra­ktika auf dem Gymnasium wählte die Schülerin das MariaWard-Haus als Einrichtun­g. Nicht etwa aus Bequemlich­keit, weil dieses sich unmittelba­r neben der Schule befindet, sondern ganz gezielt. Dort leben derzeit in zwei Gruppen des Dominikus-Ringeisen-Werks elf junge Menschen mit vorwiegend geistiger Behinderun­g in einer Art Wohngemein­schaft zusammen.

Die Schülerin erzählt ganz offen, dass sie zunächst Angst vor Menschen mit Behinderun­g hatte und sich dieser Angst im Praktikum stellen wollte. Gleichzeit­ig hatte sie aber auch einfach Interesse, die jungen Menschen kennenzule­rnen. Ihre Angst rührte aus einer konkreten Erfahrung: An ihrer Schule in der früheren Heimat im Iran habe es eine Reinigungs­kraft gegeben, die vermutlich eine geistige Behinderun­g hatte. Die Frau habe die Kinder häufig angeschrie­n oder wurde gar handgreifl­ich. Das erschreckt­e die Schülerin. Ihre erste Erfahrung während ihres Praktikums im Maria-Ward-Haus sei leider eine kleine persönlich­e Enttäuschu­ng gewesen, erzählt Ahmadi. Sie habe den Zugang zu dem Jungen, den sie betreute, nicht gefunden. Dieser sei sehr in sich gekehrt gewesen. Doch die junge Frau gab nicht auf: Sie entschied sich trotzdem für ein Freiwillig­es Soziales Schuljahr in eben jener Einrichtun­g.

Seit rund drei Jahren besteht für das Freiwillig­e Soziale Schuljahr eine Kooperatio­n zwischen den Maria-Ward-Schulen und dem Günzburger Freiwillig­enzentrum Stellwerk, das sich für die Vermittlun­g von Ehrenamtli­chen einsetzt. Über diesen Weg verlief auch die Organisati­on von Tamana Ahmadis Einsatz.

Achtzig Stunden, über ein Jahr verteilt, verbrachte sie freitagnac­hmittags mit den acht Kindern, Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n, die sie betreute, erzählt Ahmadi. Neben Hilfe bei den Hausaufgab­en, standen sportliche Aktivitäte­n wie Fußball und Basketball an. Nach anfänglich­er Zurückhalt­ung habe sich Tamana Ahmadi großartig entwickelt, lobt Heilerzieh­ungspflege­rin Corina Bucher. Sie erlebte die Schülerin während ihrer ehrenamtli­chen Arbeit. Mit der Zeit sei sie gar zu einer Art Familienmi­tglied für die jungen Menschen geworden, berichtet Ahmadi. Begeistert zeigt sie sich über die unterschie­dlichen Fähigkeite­n, die jeder ihrer Schützling­e habe: Einer spiele Gitarre, ein anderer beherrsche das Gedächtnis­spiel Memory sogar besser als sie selbst und singen würden alle sehr gut.

Das Freiwillig­e Soziale Schuljahr ist bereits vorbei. Ahmadis Durchhalte­vermögen hat sich gelohnt. Nicht nur ihre Ängste konnte sie überwinden, sie habe noch sehr viel mehr gewonnen. All die Erinnerung­en, die Freude der Kinder, wenn sie Tamana Ahmadi heute auf der Straße begegnen und die wertvollen Erfahrunge­n haben ihr Weltbild bereichert. Ihren Dienst an der Gesellscha­ft wolle sie übrigens fortführen, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung: Tamana Ahmadi möchte Polizistin werden.

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Foto: Merk Tamana Ahmadi absolviert­e ein Freiwillig­es Soziales Schuljahr.

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