Guenzburger Zeitung

Die Geschichte einer Flucht

Literatur Autor Olivier Guez erlebt in Günzburg eine bewegende Lesung aus seinem Bestseller „Das Verschwind­en des Josef Mengele“. Der Roman erzählt, wie der KZ-Arzt auch mit Unterstütz­ung aus seiner Heimat fliehen konnte

- VON WALTER KAISER

Günzburg Geht das? Einen Roman zu schreiben über Josef Mengele, einen der großen Verbrecher des Nazi-Regimes? Ein Buch also, in dem Historisch­es und Literarisc­hes zumindest teilweise ineinander verwoben sind. Der mehrfach preisgekrö­nte französisc­he Journalist und Autor Olivier Guez hat es getan. Mit großem Erfolg. „Das Verschwind­en des Josef Mengele“ist nicht nur in Frankreich ein Bestseller. Vorgestell­t hat Guez seinen Roman am Montagaben­d in der mit etwa 150 Besuchern voll besetzten Aula des Maria-Ward-Gymnasiums – im Gespräch mit Nathalie Charlet, Mitarbeite­rin der veranstalt­enden Volkshochs­chule, und der in Günzburg geborenen Journalist­in Lisa Welzhofer. Einige Passagen aus dem Buch las der Schauspiel­er und GZMitarbei­ter Helmut Kircher. Josef Mengele verkörpert das, was die Philosophi­n Hannah Arendt die „Banalität des Bösen“nannte. Er war kein Monster, kein Satan in Menschenge­stalt. Der spätere Lagerarzt des Konzentrat­ionslagers Auschwitz, der Hunderttau­sende in die Gaskammern schickte, war wie so viele ein Kind seiner Zeit – aus gutem Hause, opportunis­tisch und karrierege­il, im Grunde ein kalter und berechnend­er Spießer. Und ein uneinsicht­iger Rassist und Antisemit bis ans Ende seiner Tage. „Ich habe nur meine Pflicht getan als Soldat und Wissenscha­ftler“, erklärte er seinem Sohn Rolf, als der ihn in seinem brasiliani­schen Zufluchtso­rt besucht hatte.

Mengele steht nach Überzeugun­g von Olivier Guez symbolisch für einen Bruch der europäisch­en Geschichte. Ein Bruch, der sich derzeit in nicht mehr für möglich gehaltener Weise erneut auftut. Rassisten und Antisemite­n, Nationalis­ten und Demokratie­verächter führen wieder das große Wort. Es ist ein Verdienst des Buches, diese Brücke zwischen einst und heute zu schlagen. „Nehmen wir uns in Acht, der Mensch ist ein formbares Wesen“, schreibt Guez gegen Ende seines Romans. Eines unschönen Tages könnte es zu spät sein.

Der Autor folgt in seinem Buch akribisch den Spuren von Josef Mengele. Rechtzeiti­g vor der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz hatte er sich abgesetzt. Mit Glück und Geschick, mit List und Tücke war es Mengele gelungen, sich unter dem falschen Namen Helmut Gregor nach Südamerika abzusetzen. Dort traf er auf ein hilfreiche­s Netzwerk – bestehend aus gleichfall­s geflüchtet­en Nazis, unterstütz­t vom argentinis­chen Präsidente­n Juan Peron und dem deutschstä­mmigen Staatschef Paraguays, Alfredo Stroessner – beide Bewunderer des deutschen und des italienisc­hen Faschismus.

Die Nazis lebten wie die Made im Speck. Josef Mengele nicht zuletzt dank der opulenten finanziell­en Unterstütz­ung seiner Günzburger Familie, die sich das kraft ihrer blühenden Firma problemlos leisten konnte. Von jeglicher Verfolgung deutscher oder anderer Behörden keine Spur. Die Opfer konnten nicht, die Täter wollten in den 1950er Jahren nicht sprechen. Aus naheliegen­den Gründen.

Die Wende kam 1960. Adolf Eichmann, gewisserma­ßen der Buchhalter der millionenf­achen Judenverni­chtung, war vom israelisch­en Geheimdien­st aus Argentinie­n entführt und in einem Prozess zum Tod verurteilt worden. Danach folgten auch für Josef Mengele unsichere Zeiten. Er setzte sich in abgelegene Gefilde Brasiliens ab. Aus dem Pascha, so schreibt Guez, war die Ratte geworden. Lichtscheu und – das ist einer der literarisc­hen Teile – geplagt von Zweifeln und Albträumen. Andere waren offenbar freier von Sorge. Hans-Ulrich Rudel, ein gleichfall­s in Südamerika abgetaucht­er Nazi, war Gast der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft, als diese 1978 in Argentinie­n um den WM-Titel kickte.

Josef Mengele entkam seiner Strafe. Erst ein Schlaganfa­ll setzte seinem Leben 1979 beim Schwimmen im brasiliani­schen Badeort Bertioga ein Ende. Fast 40 Jahre war Mengele abgetaucht. Es ist wohl mit dieser Umstand, der zu seinem bis heute währenden Mythos beigetrage­n hat.

Ins Gästebuch der Volkshochs­chule Günzburg hat Olivier Guez am Ende des zweistündi­gen Abends eingetrage­n: „In Erinnerung an eine Lesung, die anders war als die anderen – bewegend“. Nämlich in Günzburg, der Heimatstad­t von Josef Mengele. Eine Stadt, die ihn einst beschützte, eine Stadt, die inzwischen auch diesen Teil ihrer Geschichte in vielfältig­er Weise aufgearbei­tet hat.

 ?? Foto: Kaiser ?? Sein Buch „Das Verschwind­en des Josef Mengele“hat der französisc­he Autor Olivier Guez (Zweiter von rechts) in Günzburg vorgestell­t. Im Gespräch mit Nathalie Charlet (rechts) und Lisa Welzhofer hat er seinen Bestseller erläutert. Helmut Kircher (links) las in der Aula des Maria-Ward-Gymnasiums Passagen des Buches vor.
Foto: Kaiser Sein Buch „Das Verschwind­en des Josef Mengele“hat der französisc­he Autor Olivier Guez (Zweiter von rechts) in Günzburg vorgestell­t. Im Gespräch mit Nathalie Charlet (rechts) und Lisa Welzhofer hat er seinen Bestseller erläutert. Helmut Kircher (links) las in der Aula des Maria-Ward-Gymnasiums Passagen des Buches vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany