Großer Streit um einen größeren Bullenstall Landwirtschaft
Anwohner eines Hofs im Burgauer Stadtteil Oberknöringen fürchten eine stärkere Belastung. 40 Bürger haben sich gegen die Erweiterung ausgesprochen. Bauern und Behörden weisen Vorwürfe zurück. Hier zeigt sich ein Grundsatzproblem
Burgau Sie haben mehrere landwirtschaftliche Betriebe in der Nähe, die Anwohner der Wettenhauser Straße und der angrenzenden Straßen im Burgauer Stadtteil Oberknöringen. Doch vor allem eines stört einige: Die Familie Schneider will ihren Bullenmaststall auf dem Grundstück zwischen Ziegelstraße und Feldweg erweitern. Gut 40 Bürger hätten dagegen unterschrieben, sagen Anja und Andreas Müller, Gudrun und Ulrich Strehle sowie Lorenz Albrecht im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn für sie ist klar: Sollte der Stall erweitert werden, würde nicht nur ihre Gesundheit noch mehr geschädigt, sondern auch der Wert ihrer Häuser weiter rapide abnehmen. Das wollen sie verhindern.
Wie die Strehles sagen, seien sie 1995 eingezogen, „da war hier noch gar nichts“. Familie Albrecht kam 2011, Familie Müller 2012. Doch erst 2013 sei der erste neue Stall errichtet worden. Dass nun mancher sage, die Landwirtschaft habe Bestandsschutz und wenn ihnen das nicht passe, könnten sie ja wegziehen, empfinden sie als Frechheit.
Alleine die Landwirtsfamilie Schneider habe gut 180 Tiere – doch mit der geplanten Erweiterung würden noch mal so viele auf dem dortigen Hof dazukommen. Schon jetzt sei ein ständiges Schreien der Bullen zu hören. Familie Müller spielt ein Handyvideo mit einer Tonaufnahme vor, um das zu unterstreichen. „Wir mussten unser Schlafzimmer zur Straßenseite verlegen“, sagt Anja Müller. Sonst sei an Schlaf gar nicht mehr zu denken.
Es ist aber nicht nur der Lärm, um den es ihnen geht, sondern auch der Verkehr. Schon jetzt würden landwirtschaftliche Fahrzeuge und Maschinen zu schnell vorbeifahren. Mit der Stallerweiterung und mehr Tieren würde sich die Belastung weiter steigern, fürchten sie. Dabei werde das Areal der Familie Schneider nicht über die Ziegelstraße angefahren, sondern über einen in die Wettenhauser Straße mündenden Feldweg auf der anderen Seite des Hofes, was gar nicht erlaubt sei und eine enorme Staubbelastung mit sich bringe. Zu allem Übel werde die Nachtruhe nicht eingehalten, da Fütterung und Transport der Tiere oft schon um 4 Uhr begännen. Und Gülle werde auch auf Felder ausgebracht, wenn der Boden gefroren ist und sie gar nicht aufnehmen könne.
Verärgert sind die Bürger zudem, weil sie von den Erweiterungsplänen nur nebenbei erfahren hätten. Und die Zustimmung des Burgauer Bauausschusses sowie die weitere Bearbeitung des Bauantrags durch das Landratsamt seien unrechtmäßig. In der öffentlichen Bekanntmachung der Sitzung im Oktober 2017 „ging es nur um eine Errichtung statt eine Erweiterung des Bullenmaststalls“, so Andreas Müller.
Die Behörden würden sich die Verantwortung gegenseitig hin- und herschieben, nicht auf jede Anfrage an das Landratsamt habe es eine Antwort gegeben und die Situation vor Ort habe sich keiner angeschaut, der über den Bauantrag zu entscheiden habe. Auch der Hinweis an das Landratsamt, der Ursache für das Geschrei der Tiere auf den Grund zu gehen, sei ignoriert worden. Anstatt dass das Landratsamt als unabhängige Behörde selbst ein Lärm-Gutachten erstellen lasse, habe es das aus Geldgründen an Landwirt Schneider delegiert. Doch wenn ein Antragsteller ein Gutachten machen lässt, sei das Ergebnis vorher klar. Ebenso vermuten die Anwohner einen Zusammenhang zwischen dem vermehrten Ausbringen von Gülle und steigenden Wasserpreisen.
Die Anwohner hatten das Thema auch bei der Bürgerversammlung in Oberknöringen angesprochen und betont, dass sie grundsätzlich Ver- für die Bauern hätten. So seien sie auch von der Biogasanlage der Familie Kaltenegger in der Nachbarschaft nicht begeistert, doch mit diesen Landwirten könne man reden, loben sie. Bürgermeister
Konrad Barm (Freie Wähler) betonte bei der Versammlung das Recht zum Betriebserhalt, zumal der Hof der Familie Schneider, um den es den Anwohnern eben in erster Linie geht, schon lange bestehe und dann die Wohnbebauung näher gerückt sei. Und wenn es Baurecht gebe, hätten Bauausschuss und Stadt keine andere Möglichkeit, als grünes Licht zu geben. Im Außenbereich sei die Landwirtschaft zudem privilegiert. Die Anwohner hätten aber natürlich die Möglichkeit zur Klage.
Entgegen der Behauptung der Anwohner dürfe der Feldweg von jedem befahren werden, sagt Barm auf Nachfrage unserer Zeitung, in der Tat steht dort kein Verbotsschild. Man habe mit einem neuen Belag die Staubbelastung reduziert und ein Tempolimit erlassen, das bald mit einer Smiley-Tafel überprüft werde. Eine Sperrung des Wegs nach dem „St.-Florians-Prinzip“sei nicht möglich. Auch bestehe kein Zusammenhang von Gülle und Wasserpreis, der von einem externen Sachverständigen kalkuliert worden sei. Der Polizei sind nach eigener Aussage keine Beschwerden zur Verkehrssituation in dem Gebiet bekannt, erklärt der Burgauer Inspektionsleiter Stefan Eska dazu.
Die Anwohner sehen Rat und Verwaltung in der Pflicht, die Allgemeinheit zu schützen und ein Zusammenleben aller zu ermöglichen, wozu eine vorausschauende Stadtplanung gehöre, die in Burgau fehle. Die Ratsmitglieder hätten wohl im Gegensatz zur Verwaltung die „Missstände“nicht gekannt. Die Anwohner mussten sich bei der Bürgerversammlung aber Kritik von anderen Einwohnern anhören. Einer meinte, früher sei hier jeder Zweite Landwirt gewesen, er empfinde keine Lärmbelästigung. „Wir sind hier auf dem Land, da gehört das dazu.“Die Autobahn sei viel schlimmer. Ein anderer sagte, wer ein Problem mit Landwirten und ihren Tieren habe, solle wegziehen. Wieder ein anderer betonte, „Tiere sind besser als Menschen. Die werden nur laut, wenn was los ist im Stall.“Die betroffenen Nachbarn entgegneten, wer in Autobahn-Nähe wohne, bekomme Schallschutzfenster, und sie wohnten im Gegensatz zu anderen Bürgern eben „in der ersten Reihe“und bekämen das Geschrei der Tiere direkt ab. Wenn die alte Ziegelei mal abgerissen werde, wären auch andere betroffen. Barm sagte, dass es in Baugebieten in Autobahnnähe durchaus Einschränkungen und Vorgaben für die Bauherren gebe. Der Geschäftsführer des Bauernverbands im Kreis Günzburg, Matthias Letzing, kennt den Fall. Er nahm am Runden Tisch mit Anwohnern, Stadt und Landwirtsfamilie teil – was die Nachbarn kritisieren. Sie seien nicht vorab informiert worden, dass er dabei ist. Der Bürgermeister versteht die Kritik nicht, Letzing sei als Experte dabei gewesen. Dieser selbst betont, in fast 30 Jahren habe er „solche Widerstände von Anwohnern und eine solche Argumentation noch nie erlebt“. Was er sagte, sei beim Runden Tisch von Andreas Müller ins Lächerliche gezogen worden, der sein Auto auf öffentlichen Feld- und Waldwegen abstelle und die Durchfahrt blockiere. Müller sagt auf Nachfrage unserer Zeitung, dass er dort nur geparkt habe, was aber erlaubt sei, ein Landwirt sei nicht vorbeigekommen. Letzing: „Mit so jemandem kann ich nicht vernünftig reden“, weitere Gespräche mit ihm lehne er ab.
Nach geltendem Recht stehe es dem Landwirt frei, den Stall zu erweitern. Der Hof sei dort gewesen, als die Anwohner zuzogen. Die Schneiders seien bereit, auf die Leute zuzugehen, aber Letzing wünscht sich auch Verständnis für die Belanständnis
ge der Bauern und dass Höfe zu einem Dorf gehören. Die Rücksicht gegenüber Bauern nehme ab; dass sie sich mit den Betrieben entwickeln müssten, werde nicht akzeptiert. Nur durch Wachstum könnten sie überleben, und schließlich pflegten sie die Kulturlandschaft. Man müsse sich von der idyllischen Vorstellung verabschieden, dass es eine Heimatfilm-Landwirtschaft gebe.
Was sagt nun die von den Anwohnern kritisierte Familie dazu? Erhard Schneider und sein Sohn Wolfgang betonen, sie müssten sich die Option auf eine Vergrößerung der Stallfläche jetzt sichern, um die Zukunft des Betriebs zu gewährleisten. „Die Kleinen hören auf, die Großen werden größer“, eine Möglichkeit zum Aussiedeln gebe es hier nicht. Und weil ein von ihnen gewünschter Grundstückstausch und somit mehr Abstand zwischen Stall und Häusern nicht zustande gekommen sei, gebe es zum jetzigen Plan keine Alternative. Insgesamt hätten sie 285 Tiere in drei Ställen, wovon mit 190 die meisten in dem leben, um den es den Anwohnern geht. Die Erweiterung ist spiegelbildlich geplant mit Maßen von 20 mal 40 Metern. 180 Bullen könnten untergebracht werden, das sei aber nur ein Plan. Es könnten weniger sein. Damit seien sie weit weg von einer Massentierhaltung.
Den Hof gibt es hier seit den 1950ern, der neue Bullenstall kam 2013 dazu. Der Hauptverkehr dorthin erfolge über die Ziegelstraße, weil dort die Waage ist. Danach werde das Grundstück umfahren und auf der anderen Seite über den öffentlichen Feldweg erreicht. Auf umgekehrtem Weg gehe es zurück. Auch die meisten Felder der Familie lägen auf der ortsabgewandten Seite, nur um zu einer kleineren Fläche zu gelangen, müsse man durch den Ort fahren. Durch die Größe der Maschinen könne vielleicht ein falscher Eindruck des Tempos entstehen. Gülle könne übrigens ausgebracht werden, wenn der Boden am Morgen gefroren ist, aber tagsüber auftaut. Das Problem sei, dass viele nichts von der Arbeitsweise der Landwirte wüssten und es nicht wollten. Berührungspunkte nähmen ab – heute gebe es im Stadtteil fünf bäuerliche Betriebe, früher seien es drei Mal so viele gewesen. Ein von den Anwohnern ebenfalls in Sachen Tempo und Häufigkeit der Fahrten kritisierte Agrardienstleister möchte nicht auf die Vorwürfe antworten.
Das Veterinäramt und das Amt für Landwirtschaft seien auf dem Hof gewesen und hätten sich umgeschaut wegen der Beschwerden über die angeblich dauerhaft zu lauten Tiere. „Es wurde nichts beanstandet“, sagt Erhard Schneider – das
Amt für Landwirtschaft bestätigt auf Anfrage, dass es bei einem gut einstündigen Besuch keine Auffälligkeiten gegeben habe; dem Veterinäramt liegen keine Anzeigen zu einer Lärmbelästigung oder einer möglichen Tierwohlgefährdung vor, bei bisherigen Kontrollen seien aber keine Mängel festgestellt worden, heißt es dort. Die Befürchtung, dass mit mehr Bullen mehr Gülle entstehe, sei so nicht begründet, erklärt Schneider. Da jetzt Gülle zugekauft und künftig komplett selbst erzeugt werde, solle sich unter dem Strich nichts ändern. Gefüttert werde nicht mitten in der Nacht, und Transporte gebe es dann auch nicht, da die Tiere in Ulm so früh nicht angenommen würden. Einen Wechsel im Stall gebe es auch nur an neun Tagen im Jahr. Dass die Tiere schreien, komme dann vor, ansonsten in der Regel nur, wenn Fremde im Stall sind oder dran vorbeigehen. Man sei nicht der Einzige, der Probleme wegen Erweiterungen habe.
In der Tat sagt Landwirt Tobias
Kaltenegger vom Hof in unmittelbarer Nähe, dass Anwohner ebenfalls mit Unterschriften versucht hätten, seine neue Biogasanlage zu verhindern. Und auch hier sei der Vorwurf der Massentierhaltung gekommen. Aber er sei auf die Leute zugegangen und habe ihnen das Vorhaben erklärt. Begeistert gewesen seien sie nicht, doch sie hätten es akzeptiert – wobei der Protest mit dem gegen den neuen Bullenstall der Schneiders nicht zu vergleichen sei.
Dem Landratsamt liegen 37 Unterschriften gegen das Bauvorhaben vor, drei weitere Personen hätten sich per Mail dagegen ausgesprochen. Das Verfahren sei nicht „eingefroren“, wird dort betont, die Belange der Nachbarn würden aber geprüft. Wann entschieden wird, stehe nicht fest. Es werde mit dem Amt für Landwirtschaft zusammengearbeitet, aber Gutachten seien vom Antragsteller gefordert, das Landratsamt messe nicht vor Ort und die Bauaufsicht erstelle bei Genehmigungsverfahren keine Gutachten. Dass in der Einladung zur Ausschusssitzung die Rede von einer Stall-Errichtung war, sei auch »Kommentar nicht zu beanstanden.
„Es ging um eine Errichtung statt eine Erweiterung.“Anwohner Andreas Müller „Solche Widerstände habe ich noch nicht erlebt.“Matthias Letzing, Bauernverband „Die Ämter haben nichts beanstandet.“Landwirt Erhard Schneider