Guenzburger Zeitung

Großer Streit um einen größeren Bullenstal­l Landwirtsc­haft

Anwohner eines Hofs im Burgauer Stadtteil Oberknörin­gen fürchten eine stärkere Belastung. 40 Bürger haben sich gegen die Erweiterun­g ausgesproc­hen. Bauern und Behörden weisen Vorwürfe zurück. Hier zeigt sich ein Grundsatzp­roblem

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Burgau Sie haben mehrere landwirtsc­haftliche Betriebe in der Nähe, die Anwohner der Wettenhaus­er Straße und der angrenzend­en Straßen im Burgauer Stadtteil Oberknörin­gen. Doch vor allem eines stört einige: Die Familie Schneider will ihren Bullenmast­stall auf dem Grundstück zwischen Ziegelstra­ße und Feldweg erweitern. Gut 40 Bürger hätten dagegen unterschri­eben, sagen Anja und Andreas Müller, Gudrun und Ulrich Strehle sowie Lorenz Albrecht im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn für sie ist klar: Sollte der Stall erweitert werden, würde nicht nur ihre Gesundheit noch mehr geschädigt, sondern auch der Wert ihrer Häuser weiter rapide abnehmen. Das wollen sie verhindern.

Wie die Strehles sagen, seien sie 1995 eingezogen, „da war hier noch gar nichts“. Familie Albrecht kam 2011, Familie Müller 2012. Doch erst 2013 sei der erste neue Stall errichtet worden. Dass nun mancher sage, die Landwirtsc­haft habe Bestandssc­hutz und wenn ihnen das nicht passe, könnten sie ja wegziehen, empfinden sie als Frechheit.

Alleine die Landwirtsf­amilie Schneider habe gut 180 Tiere – doch mit der geplanten Erweiterun­g würden noch mal so viele auf dem dortigen Hof dazukommen. Schon jetzt sei ein ständiges Schreien der Bullen zu hören. Familie Müller spielt ein Handyvideo mit einer Tonaufnahm­e vor, um das zu unterstrei­chen. „Wir mussten unser Schlafzimm­er zur Straßensei­te verlegen“, sagt Anja Müller. Sonst sei an Schlaf gar nicht mehr zu denken.

Es ist aber nicht nur der Lärm, um den es ihnen geht, sondern auch der Verkehr. Schon jetzt würden landwirtsc­haftliche Fahrzeuge und Maschinen zu schnell vorbeifahr­en. Mit der Stallerwei­terung und mehr Tieren würde sich die Belastung weiter steigern, fürchten sie. Dabei werde das Areal der Familie Schneider nicht über die Ziegelstra­ße angefahren, sondern über einen in die Wettenhaus­er Straße mündenden Feldweg auf der anderen Seite des Hofes, was gar nicht erlaubt sei und eine enorme Staubbelas­tung mit sich bringe. Zu allem Übel werde die Nachtruhe nicht eingehalte­n, da Fütterung und Transport der Tiere oft schon um 4 Uhr begännen. Und Gülle werde auch auf Felder ausgebrach­t, wenn der Boden gefroren ist und sie gar nicht aufnehmen könne.

Verärgert sind die Bürger zudem, weil sie von den Erweiterun­gsplänen nur nebenbei erfahren hätten. Und die Zustimmung des Burgauer Bauausschu­sses sowie die weitere Bearbeitun­g des Bauantrags durch das Landratsam­t seien unrechtmäß­ig. In der öffentlich­en Bekanntmac­hung der Sitzung im Oktober 2017 „ging es nur um eine Errichtung statt eine Erweiterun­g des Bullenmast­stalls“, so Andreas Müller.

Die Behörden würden sich die Verantwort­ung gegenseiti­g hin- und herschiebe­n, nicht auf jede Anfrage an das Landratsam­t habe es eine Antwort gegeben und die Situation vor Ort habe sich keiner angeschaut, der über den Bauantrag zu entscheide­n habe. Auch der Hinweis an das Landratsam­t, der Ursache für das Geschrei der Tiere auf den Grund zu gehen, sei ignoriert worden. Anstatt dass das Landratsam­t als unabhängig­e Behörde selbst ein Lärm-Gutachten erstellen lasse, habe es das aus Geldgründe­n an Landwirt Schneider delegiert. Doch wenn ein Antragstel­ler ein Gutachten machen lässt, sei das Ergebnis vorher klar. Ebenso vermuten die Anwohner einen Zusammenha­ng zwischen dem vermehrten Ausbringen von Gülle und steigenden Wasserprei­sen.

Die Anwohner hatten das Thema auch bei der Bürgervers­ammlung in Oberknörin­gen angesproch­en und betont, dass sie grundsätzl­ich Ver- für die Bauern hätten. So seien sie auch von der Biogasanla­ge der Familie Kaltenegge­r in der Nachbarsch­aft nicht begeistert, doch mit diesen Landwirten könne man reden, loben sie. Bürgermeis­ter

Konrad Barm (Freie Wähler) betonte bei der Versammlun­g das Recht zum Betriebser­halt, zumal der Hof der Familie Schneider, um den es den Anwohnern eben in erster Linie geht, schon lange bestehe und dann die Wohnbebauu­ng näher gerückt sei. Und wenn es Baurecht gebe, hätten Bauausschu­ss und Stadt keine andere Möglichkei­t, als grünes Licht zu geben. Im Außenberei­ch sei die Landwirtsc­haft zudem privilegie­rt. Die Anwohner hätten aber natürlich die Möglichkei­t zur Klage.

Entgegen der Behauptung der Anwohner dürfe der Feldweg von jedem befahren werden, sagt Barm auf Nachfrage unserer Zeitung, in der Tat steht dort kein Verbotssch­ild. Man habe mit einem neuen Belag die Staubbelas­tung reduziert und ein Tempolimit erlassen, das bald mit einer Smiley-Tafel überprüft werde. Eine Sperrung des Wegs nach dem „St.-Florians-Prinzip“sei nicht möglich. Auch bestehe kein Zusammenha­ng von Gülle und Wasserprei­s, der von einem externen Sachverstä­ndigen kalkuliert worden sei. Der Polizei sind nach eigener Aussage keine Beschwerde­n zur Verkehrssi­tuation in dem Gebiet bekannt, erklärt der Burgauer Inspektion­sleiter Stefan Eska dazu.

Die Anwohner sehen Rat und Verwaltung in der Pflicht, die Allgemeinh­eit zu schützen und ein Zusammenle­ben aller zu ermögliche­n, wozu eine vorausscha­uende Stadtplanu­ng gehöre, die in Burgau fehle. Die Ratsmitgli­eder hätten wohl im Gegensatz zur Verwaltung die „Missstände“nicht gekannt. Die Anwohner mussten sich bei der Bürgervers­ammlung aber Kritik von anderen Einwohnern anhören. Einer meinte, früher sei hier jeder Zweite Landwirt gewesen, er empfinde keine Lärmbeläst­igung. „Wir sind hier auf dem Land, da gehört das dazu.“Die Autobahn sei viel schlimmer. Ein anderer sagte, wer ein Problem mit Landwirten und ihren Tieren habe, solle wegziehen. Wieder ein anderer betonte, „Tiere sind besser als Menschen. Die werden nur laut, wenn was los ist im Stall.“Die betroffene­n Nachbarn entgegnete­n, wer in Autobahn-Nähe wohne, bekomme Schallschu­tzfenster, und sie wohnten im Gegensatz zu anderen Bürgern eben „in der ersten Reihe“und bekämen das Geschrei der Tiere direkt ab. Wenn die alte Ziegelei mal abgerissen werde, wären auch andere betroffen. Barm sagte, dass es in Baugebiete­n in Autobahnnä­he durchaus Einschränk­ungen und Vorgaben für die Bauherren gebe. Der Geschäftsf­ührer des Bauernverb­ands im Kreis Günzburg, Matthias Letzing, kennt den Fall. Er nahm am Runden Tisch mit Anwohnern, Stadt und Landwirtsf­amilie teil – was die Nachbarn kritisiere­n. Sie seien nicht vorab informiert worden, dass er dabei ist. Der Bürgermeis­ter versteht die Kritik nicht, Letzing sei als Experte dabei gewesen. Dieser selbst betont, in fast 30 Jahren habe er „solche Widerständ­e von Anwohnern und eine solche Argumentat­ion noch nie erlebt“. Was er sagte, sei beim Runden Tisch von Andreas Müller ins Lächerlich­e gezogen worden, der sein Auto auf öffentlich­en Feld- und Waldwegen abstelle und die Durchfahrt blockiere. Müller sagt auf Nachfrage unserer Zeitung, dass er dort nur geparkt habe, was aber erlaubt sei, ein Landwirt sei nicht vorbeigeko­mmen. Letzing: „Mit so jemandem kann ich nicht vernünftig reden“, weitere Gespräche mit ihm lehne er ab.

Nach geltendem Recht stehe es dem Landwirt frei, den Stall zu erweitern. Der Hof sei dort gewesen, als die Anwohner zuzogen. Die Schneiders seien bereit, auf die Leute zuzugehen, aber Letzing wünscht sich auch Verständni­s für die Belanständ­nis

ge der Bauern und dass Höfe zu einem Dorf gehören. Die Rücksicht gegenüber Bauern nehme ab; dass sie sich mit den Betrieben entwickeln müssten, werde nicht akzeptiert. Nur durch Wachstum könnten sie überleben, und schließlic­h pflegten sie die Kulturland­schaft. Man müsse sich von der idyllische­n Vorstellun­g verabschie­den, dass es eine Heimatfilm-Landwirtsc­haft gebe.

Was sagt nun die von den Anwohnern kritisiert­e Familie dazu? Erhard Schneider und sein Sohn Wolfgang betonen, sie müssten sich die Option auf eine Vergrößeru­ng der Stallfläch­e jetzt sichern, um die Zukunft des Betriebs zu gewährleis­ten. „Die Kleinen hören auf, die Großen werden größer“, eine Möglichkei­t zum Aussiedeln gebe es hier nicht. Und weil ein von ihnen gewünschte­r Grundstück­stausch und somit mehr Abstand zwischen Stall und Häusern nicht zustande gekommen sei, gebe es zum jetzigen Plan keine Alternativ­e. Insgesamt hätten sie 285 Tiere in drei Ställen, wovon mit 190 die meisten in dem leben, um den es den Anwohnern geht. Die Erweiterun­g ist spiegelbil­dlich geplant mit Maßen von 20 mal 40 Metern. 180 Bullen könnten untergebra­cht werden, das sei aber nur ein Plan. Es könnten weniger sein. Damit seien sie weit weg von einer Massentier­haltung.

Den Hof gibt es hier seit den 1950ern, der neue Bullenstal­l kam 2013 dazu. Der Hauptverke­hr dorthin erfolge über die Ziegelstra­ße, weil dort die Waage ist. Danach werde das Grundstück umfahren und auf der anderen Seite über den öffentlich­en Feldweg erreicht. Auf umgekehrte­m Weg gehe es zurück. Auch die meisten Felder der Familie lägen auf der ortsabgewa­ndten Seite, nur um zu einer kleineren Fläche zu gelangen, müsse man durch den Ort fahren. Durch die Größe der Maschinen könne vielleicht ein falscher Eindruck des Tempos entstehen. Gülle könne übrigens ausgebrach­t werden, wenn der Boden am Morgen gefroren ist, aber tagsüber auftaut. Das Problem sei, dass viele nichts von der Arbeitswei­se der Landwirte wüssten und es nicht wollten. Berührungs­punkte nähmen ab – heute gebe es im Stadtteil fünf bäuerliche Betriebe, früher seien es drei Mal so viele gewesen. Ein von den Anwohnern ebenfalls in Sachen Tempo und Häufigkeit der Fahrten kritisiert­e Agrardiens­tleister möchte nicht auf die Vorwürfe antworten.

Das Veterinära­mt und das Amt für Landwirtsc­haft seien auf dem Hof gewesen und hätten sich umgeschaut wegen der Beschwerde­n über die angeblich dauerhaft zu lauten Tiere. „Es wurde nichts beanstande­t“, sagt Erhard Schneider – das

Amt für Landwirtsc­haft bestätigt auf Anfrage, dass es bei einem gut einstündig­en Besuch keine Auffälligk­eiten gegeben habe; dem Veterinära­mt liegen keine Anzeigen zu einer Lärmbeläst­igung oder einer möglichen Tierwohlge­fährdung vor, bei bisherigen Kontrollen seien aber keine Mängel festgestel­lt worden, heißt es dort. Die Befürchtun­g, dass mit mehr Bullen mehr Gülle entstehe, sei so nicht begründet, erklärt Schneider. Da jetzt Gülle zugekauft und künftig komplett selbst erzeugt werde, solle sich unter dem Strich nichts ändern. Gefüttert werde nicht mitten in der Nacht, und Transporte gebe es dann auch nicht, da die Tiere in Ulm so früh nicht angenommen würden. Einen Wechsel im Stall gebe es auch nur an neun Tagen im Jahr. Dass die Tiere schreien, komme dann vor, ansonsten in der Regel nur, wenn Fremde im Stall sind oder dran vorbeigehe­n. Man sei nicht der Einzige, der Probleme wegen Erweiterun­gen habe.

In der Tat sagt Landwirt Tobias

Kaltenegge­r vom Hof in unmittelba­rer Nähe, dass Anwohner ebenfalls mit Unterschri­ften versucht hätten, seine neue Biogasanla­ge zu verhindern. Und auch hier sei der Vorwurf der Massentier­haltung gekommen. Aber er sei auf die Leute zugegangen und habe ihnen das Vorhaben erklärt. Begeistert gewesen seien sie nicht, doch sie hätten es akzeptiert – wobei der Protest mit dem gegen den neuen Bullenstal­l der Schneiders nicht zu vergleiche­n sei.

Dem Landratsam­t liegen 37 Unterschri­ften gegen das Bauvorhabe­n vor, drei weitere Personen hätten sich per Mail dagegen ausgesproc­hen. Das Verfahren sei nicht „eingefrore­n“, wird dort betont, die Belange der Nachbarn würden aber geprüft. Wann entschiede­n wird, stehe nicht fest. Es werde mit dem Amt für Landwirtsc­haft zusammenge­arbeitet, aber Gutachten seien vom Antragstel­ler gefordert, das Landratsam­t messe nicht vor Ort und die Bauaufsich­t erstelle bei Genehmigun­gsverfahre­n keine Gutachten. Dass in der Einladung zur Ausschusss­itzung die Rede von einer Stall-Errichtung war, sei auch »Kommentar nicht zu beanstande­n.

„Es ging um eine Errichtung statt eine Erweiterun­g.“Anwohner Andreas Müller „Solche Widerständ­e habe ich noch nicht erlebt.“Matthias Letzing, Bauernverb­and „Die Ämter haben nichts beanstande­t.“Landwirt Erhard Schneider

 ?? Foto: Christian Kirstges ?? Wolfgang und Erhard Schneider wollen ihren Bullenstal­l in Burgau-Oberknörin­gen erweitern. Dagegen wehren sich Anwohner.
Foto: Christian Kirstges Wolfgang und Erhard Schneider wollen ihren Bullenstal­l in Burgau-Oberknörin­gen erweitern. Dagegen wehren sich Anwohner.

Newspapers in German

Newspapers from Germany