Guenzburger Zeitung

Keine Lust auf Ladenschlu­ss

Ein oberbayeri­scher Bäcker steht vor Gericht, weil er am Pfingstmon­tag Semmeln verkauft hat. Das befeuert die alte Debatte um die Öffnungsze­iten im Freistaat. Über ein Tabu, an dem niemand zu rütteln wagt

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Wer einmal sonntags einen Bäcker aufgesucht hat, weiß, wie es dort zugeht: Schon von weitem sieht man lange Schlangen, manchmal drängen die Kunden bis auf die Straße, um frische Semmeln, Croissants oder Brezen zu kaufen. Langschläf­er können aber schon mal vor einem verschloss­enen Geschäft stehen. Denn Bäcker dürfen am Sonntag nur drei Stunden lang ihre Waren verkaufen, das schreibt das Ladenschlu­ssgesetz vor. An einigen Feiertagen – zum Beispiel Ostermonta­g oder Pfingstmon­tag – müssen die Läden ganz zu bleiben.

Immer mal wieder gibt es allerdings Bäcker, die sich nicht daran halten. So wie der oberbayeri­sche Betrieb, der deswegen am heutigen Donnerstag vor dem Münchner Oberlandes­gericht steht. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerb­s wirft dem Filialbetr­ieb vor, seine Läden mehrmals zu lange am Sonntag geöffnet und noch dazu am Pfingstmon­tag seine Waren verkauft zu haben. Das Münchner Landgerich­t hatte die Klage in der ersten Instanz abgewiesen, weil der Bäcker seine Filialen als Gaststätte­n angemeldet hat. Die wiederum dürfen deutlich länger geöffnet sein, auch an Sonn- und Feiertagen.

Für Verbrauche­r ist das bayerische Ladenschlu­ssgesetz oft schwer zu durchschau­en – sowohl unter der Woche als auch am Wochenende: Tankstelle­n dürfen rund um die Uhr Aufbacksem­meln verkaufen, auch an Bahnhöfen sind die Öffnungsze­iten weniger streng als in der Innenstadt. In Großstädte­n wie München oder Nürnberg versorgen Supermärkt­e in den Bahnhofsha­llen die Kunden auch spät abends oder am Sonntag mit Lebensmitt­eln. Für alle anderen gilt jedoch: Der Laden muss zu bleiben.

Bayern ist dabei deutlich strenger als die meisten Bundesländ­er. Der Freistaat hat 2006 einen Sonderweg gewählt: Während fast alle Länder die Öffnungsze­iten freigegebe­n haben, hält Bayern weiterhin am traditione­llen Ladenschlu­ssgesetz fest. Montags bis samstags dürfen Geschäfte von 6 bis 20 Uhr öffnen, bis auf einige Ausnahmen bleiben an Sonn- und Feiertagen alle Läden geschlosse­n. Ähnlich rigoros ist die Gesetzgebu­ng nur im Saarland.

Die strikte Regelung hängt vor allem damit zusammen, dass sich im Freistaat zwei Lager gegenübers­tehen: Die großen Einzelhänd­ler auf der einen Seite, Kirche und Gewerkscha­ften auf der anderen. Vor Handelsket­ten und Lebensmitt­elgeschäft­e würden gern länger öffnen. Bernd Ohlmann vom Handelsver­band Bayern wünscht sich, dass Händler mehr Flexibilit­ät bekommen. Er hält Bedenken für überzogen, dass mit einer Liberalisi­erung plötzlich jeder Laden rund um die Uhr geöffnet wäre. „Kein Geschäft wird jeden Tag bis 0 Uhr aufmachen“, betont er. „Das spielt sich von selbst ein.“Am Sonntag will Ohlmann gar nicht rütteln – er ist zufrieden mit den vier verkaufsof­fenen Sonntagen, die das Gesetz den Händlern gewährt.

Geht es nach Thomas Gürlebeck, dann müsste der Sonntag noch besser geschützt werden. Gürlebeck ist Gewerkscha­fter und Mitglied der „Allianz für den freien Sonntag“. „Der Sonntag ist zur geistigen Erholung da“, betont der Verdi-Mann. Würde der Sonntag immer öfter und ohne Anlass zum Einkaufen freigegebe­n, drohe die Gefahr einer „Rund-um-die-Uhr-Gesellscha­ft“. Gürlebeck ist deswegen auch gegen eine Lockerung der Öffnungsze­iten unter der Woche. Denn die würde auf Kosten der Angestellt­en gehen, die bis in die Nacht hinein noch an der Kasse oder im Lager stehen müssten.

Fast gerät bei all der Diskussion in Vergessenh­eit, dass auch der Freistaat einst kurz davor war, die Öffnungsze­iten zu liberalisi­eren. Der damalige Ministerpr­äsident Edmund Stoiber hatte im November 2006 offen für eine Verlängeru­ng der Zeiten bis 22 Uhr geworben. Bei einer Abstimmung in der CSULandtag­sfraktion kam es allerdings zu einem peinlichen Patt: 51 Abgeordnet­e stimmten dafür, 51 dageallem gen. Stoiber hätte mit seiner Stimme die Entscheidu­ng herbeiführ­en können, fehlte aber bei der Abstimmung. In einer schriftlic­hen Mitteilung erklärte er im Anschluss, vielleicht sei der Zeitpunkt für eine „Entscheidu­ng der Fraktion mit breiter Mehrheit noch nicht da“.

Stoibers Nach-Nachfolger Horst Seehofer war stets ein Verfechter des strikten Ladenschlu­ssgesetzes, auch Markus Söder hat sich hinter die aktuelle Regelung gestellt. Eine Reform der Öffnungsze­iten an Sonn- und Feiertagen lehnt er ab. „Brave Familienvä­ter wie ich besorgen ihr Gebäck am Sonntag zwischen 8 und 11 Uhr“, sagte er erst vor kurzem in einem Interview.

Bei den Freien Wählern herrschte bisher dagegen weniger Einigkeit als in der CSU. Während sich Hubert Aiwanger in der Vergangenh­eit gegen längere Öffnungsze­iten und für einen freien Sonntag ausgesproc­hen hat, war Michael Piazolo, Vizechef der Freien Wähler und Kultusmini­ster, gar Mitgründer des Münchner „Vereins für maßvolle Ausweitung der Öffnungsze­iten“. Der Zusammensc­hluss mit dem sperrigen Namen fordert eine Lockerung der Öffnungsze­iten unter der Woche. Auf Anfrage wollte sich Piazolo dazu allerdings nicht äußern.

Florian Streibl, Fraktionsv­orsitzende­r der Freien Wähler im Landtag, lässt dafür etwas nebulös mitteilen, „die Ladenöffnu­ngszeiten müssen so gestaltet sein, dass sie die Interessen von Beschäftig­ten, Familien und der bayerische­n Wirtschaft in einen guten und fairen Ausgleich bringen“. Der Sonntag sei in jedem Fall „unantastba­r“. Ob das Münchner Oberlandes­gericht das ähnlich sieht, wird sich heute zeigen.

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Foto: Bernd Wüstneck, dpa Kommunen dürfen in Bayern vier Sonntage für den Handel freigeben. Allerdings sind die Voraussetz­ungen dafür zuletzt strenger geworden.
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