Guenzburger Zeitung

So geht’s auf der Überholspu­r zum Abi

Wer will, kann in Bayern auch nach der Rückkehr zum G9 in acht Jahren Abitur machen. Die Schüler finden das gut. Andere fürchten eine „Billigvers­ion“des alten Modells

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Als die Entscheidu­ng nach monatelang­em Hin und Her im Landtag endlich gefallen und das neunstufig­e Gymnasium nach Bayern zurückgeke­hrt war, ging die Arbeit für die Lehrplan-Macher in München erst los. Denn im neuen Modell soll es gewisserma­ßen ein Gymnasium im Gymnasium geben: Wer auch künftig nach acht Jahren das Abitur in der Tasche haben will, kann die sogenannte Überholspu­r nehmen und ein Jahr überspring­en.

Jetzt, eineinhalb Jahre nach dem Reformbesc­hluss, hat Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) das Konzept in München vorgestell­t. Wer die elfte Jahrgangss­tufe einsparen möchte, soll künftig in den Klassen neun und zehn pro Woche zwei Schulstund­en zusätzlich haben – abwechseln­d in Mathematik, Deutsch und einer Fremdsprac­he. Im zehnten Lernjahr sollen zwei Stunden in einem weiteren Fach hinzukomme­n, auf das sich jede Schule mit ihren Schülern indi- viduell einigt. Generell setzt das Ministeriu­m beim Turbo-Abi eine Extra-Motivation der Schüler und „Studierzei­ten“zu Hause voraus. Am Ende der zehnten Klasse sollen die Schüler dann entscheide­n, ob sie gleich in die zwölfte Jahrgangss­tufe vorrücken möchten oder doch lieber den herkömmlic­hen Weg wählen. Hochbegabt­e Schüler haben wie bisher die Möglichkei­t, ohne Zusatzstun­den ein Jahr zu überspring­en.

Speziell als Mentoren ausgebilde­te Lehrer sollen die Schüler durch die zwei Intensiv-Jahre begleiten. Gerade bei diesem Punkt wird die bayerische Landes-Eltern-Vereinigun­g ganz genau hinsehen. Deren Vorsitzend­e Susanne Arndt mahnte am Mittwoch in München, dass jeder Mentor „maximal drei Schüler“unterstütz­en sollte. Aus dem Kultusmini­sterium hieß es, das sei eine „sinnvolle Richtgröße“. Bildungsmi­nister Piazolo versprach auch, mit dem Finanzmini­ster zu verhandeln, falls für die Überholspu­r mehr Lehrerstel­len an bayerische­n Gymnasien nötig werden.

Bayerns Schüler finden das G8 im G9 gut. Ihr Sprecher Florian Schwegler ist der Meinung, dass die Lernzeitve­rkürzung für Schulen „gut umzusetzen“und auch „pädagogisc­h schlüssig“ist.

Nach Schätzunge­n des Philologen­verbands könnten am Anfang bis zu 15 Prozent eines Jahrgangs die Überholspu­r einschlage­n. Walter Baier, Landesvors­itzender der bayerische­n Direktoren, nimmt an, dass es im Lauf der Jahre mehr werden. „Es wird aber eine Weile dauern, bis sich die Vorteile bei Schülern und Eltern rumgesproc­hen haben.“

Die bayerische­n Grünen finden im neuen Konzept keine Vorteile – im Gegenteil. Der bildungspo­litische Sprecher Thomas Gehring aus dem Allgäu sieht statt einer Überholspu­r eine „Billigvers­ion des früheren CSU-G8“, ja einen „ganz schwachen Aufschlag“des neuen Kultusmini­sters. Bei diesem einseitige­n Blick auf die Kernfächer blieben „wichtige Inhalte wie Sozialkund­e, Berufsorie­ntierung und Naturwisse­nschaften auf der Strecke“. Tatsächlic­h ist gerade die elfte Klasse, die für Überholer entfällt, auch für nicht-schulische Erfahrunge­n vorgesehen. Gymnasiast­en sollen neben dem Unterricht Praktika machen oder in Studiengän­ge hineinschn­uppern können.

Genau dafür hatte im alten achtstufig­en Gymnasium oft die Zeit gefehlt, Schüler hatten den mangelnden Realitätsb­ezug ihrer Ausbildung beklagt und das Gefühl, Inhalte nur „durchzupau­ken“statt sie zu vertiefen. Diese Kritik hatte beträchtli­ch zur Abschaffun­g des G8 beigetrage­n – nach einem rund 13 Jahre schwelende­n Streit. Bayerns langjährig­er Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) hatte während seiner Amtszeit selbst mehrfach bedauert, wie seine eigene Partei zu Beginn der Nullerjahr­e das G8 eingeführt hatte. Mit einem Wort: „Suboptimal.“

Einführung des G8 lief damals „suboptimal“

 ?? Foto: Bernd Wüstneck, dpa ?? Die Startposit­ion ist für alle Gymnasiast­en in Bayern gleich. Regulär gehen sie neun Jahre lang auf die weiterführ­ende Schule. Künftig aber kann sich jeder Schüler in der achten Klasse entscheide­n, ob er die Überholspu­r wählen und ein Jahr früher Abschluss machen will.
Foto: Bernd Wüstneck, dpa Die Startposit­ion ist für alle Gymnasiast­en in Bayern gleich. Regulär gehen sie neun Jahre lang auf die weiterführ­ende Schule. Künftig aber kann sich jeder Schüler in der achten Klasse entscheide­n, ob er die Überholspu­r wählen und ein Jahr früher Abschluss machen will.

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