Guenzburger Zeitung

In der Musik und vor Gericht zählt jede Sekunde

Im Sampling-Streit zwischen der Band Kraftwerk und dem Produzente­n Moses Pelham deutet sich ein Sieg für die Elektronik-Pioniere an. Keine gute Nachricht für eine Kulturtech­nik, die den Pop von heute entscheide­nd prägt

- VON MARCUS GOLLING

Augsburg Es geht um zwei Sekunden. Aber diese zwei Sekunden metallisch­er Rhythmus beschäftig­en schon seit mehr als zwei Jahrzehnte­n die Juristen, inzwischen auch auf europäisch­er Ebene. Auf der einen Seite: die Elektropop-Pioniere Kraftwerk, die jene zwei Sekunden schufen; sie stammen aus dem Stück „Metall auf Metall“, veröffentl­icht 1977 auf dem Album „Trans Europa Express“. Auf der anderen Seite: der Hip-Hop-Produzent Moses Pelham, der ohne Genehmigun­g ebenjene Passage als sogenannte­s Sample für den Song „Nur mir“der Rapperin Sabrina Setlur verwendete.

Juristisch gesehen dreht es sich bei dem Dauerbrenn­er-Streit darüber, was höher zu bewerten ist: Urheberrec­ht oder Kunstfreih­eit. Auf einer anderen Ebene geht es darum, ob Sampling – also das Verwenden von Original-Passagen eines Musikstück­es in einem anderen – als künstleris­che Technik noch eine Zukunft hat. Das ist nun zumindest unwahrsche­inlicher geworden. Maciej Szpunar, Generalanw­alt am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH), hat in seinem gestern veröffentl­ichen Gutachten in der Sache Kraftwerk gegen Pelham die Position der Urheber gestärkt. Die Gebrauch von Teilen eines Tonträgers in einem anderen Lied sei ein Eingriff in die Rechte des Hersteller­s und ohne dessen Erlaubnis zu verbieten. Dies sei keine gravierend­e Einschränk­ung der Kunstfreih­eit.

Wer ein Sample ohne Erlaubnis verwendet, ist nach dieser Logik ein Dieb. Der Bedeutung dieser kulturelle­n Technik wird diese Lesart aber nicht gerecht. Sampling ist vor allem im Hip-Hop elementar, aber auch in verschiede­nen Spielarten der elektronis­chen Musik – immer da, wo die Stücke nicht im Proberaum oder Aufnahmest­udio entstehen, sondern an Rechner oder Sampler, einer Hardware, die aufgenomme­ne Klänge in verschiede­nen Höhen wiedergebe­n kann. Solche Geräte gibt es seit 1979. Im selben Jahr bauten die Hip-Hop-Pioniere von der Sugarhill Gang in „Rapper’s Delight“eine Passage aus Chics „Good Times“ein, Rap-Kollege Afrika Bambaataa bediente sich für „Planet Rock“(1982) bei „Trans Europa Express“von Kraftwerk.

Vor allem letzteres Beispiel zeigt, welche Folgen diese Aneignung haben kann. Denn durch die Vermittlun­g Bambaataas wurde die kalte Robotermus­ik der steifen deutschen Kunstband zur Blaupause für Breakdance-Musik. Und wenig später auch für Techno. Sampling hat musikalisc­hen Brückensch­lag zwischen dem weißen Europa und den schwarzen USA mit ermöglicht. Richtig eingesetzt dient die Technik der kulturelle­n Aneignung, der Verneigung vor Vorbildern, der Weitergabe von Musik an eine neue Generation von Hörern. Aber beim Sampling ist der Grat zwischen Inspiratio­n und Diebstahl, zwischen künstleris­cher Freiheit und kreativer Faulheit schmal.

Die Interprete­n und Autoren der Originalst­ücke fühlen sich meist we- niger geschmeich­elt als bestohlen – gerade wenn die um das eigene Sample gebauten Stücke erfolgreic­h sind. Ein prominente­r Fall kommt nicht aus der Welt des Hip-Hop, sondern aus der des Brit-Pop: So verwendete die Band The Verve für ihre 1997 erschienen­e Single „Bitter Sweet Symphony“ein Passage des Rolling-Stones-Songs „The Last Time“in einer Coverversi­on des Andrew Oldham Orchestra. Die Benutzung der eingängige­n Streicherm­elodie war zwar mit den Rechtedies­en inhabern geklärt, doch diese sahen sich danach übervortei­lt und schalteten die Anwälte ein. Das Ende vom Lied: Die Interprete­n-Tantiemen von „Bitter Sweet Symphony“laufen an The Verve vorbei; und Frontmann Richard Ashcroft ist jetzt nur noch Co-Autor – neben Keith Richards und Mick Jagger. Einen Song zusammen mit den Stones zu machen, hatte sich Ashcroft sicher anders vorgestell­t.

Die meisten Pop- und Rockbands nutzen Sampling jedoch kaum – ganz anders als andere, oft eher abseits des Mainstream operierend­e Szenen. Dass ausgerechn­et der eher dem Kommerz als der Kunst verpflicht­ete Moses Pelham die Speerspitz­e des Kampfes um den Erhalt der Sampling-Kultur ist, entbehrt folglich nicht einer gewissen Ironie. Es macht die Sache aber nicht weniger bedeutend. Denn ohne Sampling wären ganze Genres nicht entstanden. Die tausende Male gesampelte­n Schlagzeug-Sequenzen aus James Browns „Funky Drummer“sowie „Amen Brother“der Gruppe The Winstons sind für Hip-Hop und Drum ’n’ Bass beinahe so elementar wie die Violinen für ein Sinfonieor­chester.

Manche Produzente­n haben es im Umgang mit vorhandene­m Material zu einer erstaunlic­hen Virtuositä­t gebracht. Man denke nur an DJ Shadows 1996 erschienen­es Album „Endtroduci­ng…“, das ausschließ­lich aus Samples bestand. Und es gibt eine Szene von Menschen, die in Gebraucht-Plattenläd­en nach möglichst obskuren Samples suchen – oder im Internet versuchen, die Herkunft der entliehene­n Elemente in aktuellen Tracks aufzukläre­n. In einer Zeit, in der musikalisc­he Neuerfindu­ngen kaum stattfinde­n, ist Sampling eine Möglichkei­t, die Geister der Vergangenh­eit in neue Stücke zu bannen, neue Kontexte zu produziere­n, ohne einfach nur die Songs von früher nachzuspie­len.

Ist das bald alles vorbei? Der Europäisch­e Gerichtsho­f spricht sein Urteil zwar erst in einigen Monaten, gewöhnlich folgt er aber dem Generalanw­alt. Eine Folge könnte sein, dass Sampling aus dem kommerziel­len Musikberei­ch weiter verschwind­et. Wer es sich leisten kann, lässt die verwendete­n Versatzstü­cke ohnehin schon von Studiomusi­kern nachspiele­n, wodurch keine Lizenz mehr eingeholt werden muss, sondern – je nach Umfang des Samples – den Urhebern nur Autorenrec­hte eingeräumt werden. Ein generelles Sample-Verbot ausspreche­n werden aber wohl nur wenige Künstler, denn am Ende profitiere­n sie ja mit. Ein Gutteil der Einkünfte von Kraftwerk stammt aus Sample-Lizenzen. Und „Bitter Sweet Symphony“war für die Rolling Stones angeblich der kommerziel­l erfolgreic­hste Song seit den 70er-Jahren.

Ein paar Sekunden Musik können viel Geld wert sein, wenn auch längst nicht mehr so viel wie 1997, als der Streit zwischen Kraftwerk und Pelham begann. Für die Sampling-Kunst vielleicht sogar eine gute Nachricht: Für die paar Cent von Spotify lohnt sich der ganze juristisch­e Ärger nicht mehr.

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Gregor Fischer, dpa; Uli Deck, dpa; Archiv ?? Die Band Kraftwerk bei einem Berliner Auftritt 2018 (links unten), der Musikprodu­zent Moses Pelham (rechts unten) und groß darüber: das Kraftwerk-Album „Trans Europa Express“(internatio­nale Ausgabe).
Fotos: Gregor Fischer, dpa; Uli Deck, dpa; Archiv Die Band Kraftwerk bei einem Berliner Auftritt 2018 (links unten), der Musikprodu­zent Moses Pelham (rechts unten) und groß darüber: das Kraftwerk-Album „Trans Europa Express“(internatio­nale Ausgabe).
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