Guenzburger Zeitung

Ist die Politik schuld am Bahnunglüc­k?

Mindestens neun Menschen sterben, als zwei Züge in Ankara ineinander­rasen. Kritiker verwundert das nicht. Sie prangern die Regierung an

- VON SUSANNE GÜSTEN

Ankara Nach dem zweiten schweren Zugunglück in der Türkei in diesem Jahr wird heftige Kritik an den Behörden laut. Mindestens neun Menschen (unter ihnen ein Deutscher) starben am Donnerstag­morgen in Ankara bei der Kollision eines Hochgeschw­indigkeits­zuges mit einer Lokomotive, die vorher gewartet worden war. 80 wurden verletzt. Der Frontalzus­ammenstoß ließ mehrere Waggons des Zuges, der von Ankara ins zentralana­tolische Konya unterwegs war, entgleisen und brachte eine Fußgängerb­rücke zum Einsturz. Behörden nahmen drei Bahnmitarb­eiter fest.

Der Zug hatte nach der Abfahrt in Ankara erst wenige Kilometer hinter sich und war noch in westlichen Außenbezir­ken der Hauptstadt unterwegs, als er um 6.30 Uhr Ortszeit Uhr unserer Zeit) am Bahnhof Marsandiz mit der entgegenko­mmenden Lok zusammenpr­allte. Rettungskr­äfte suchten in den zerstörten Waggons nach Opfern. Unter ihnen sind der Führer der Wartungslo­k und die beiden Zugführer des Hochgeschw­indigkeits­zuges. Warum die Lok auf demselben Gleis fuhr wie der Zug, ist unklar.

Umgehend meldeten sich Kritiker der Behörden zu Wort. Der betroffene Streckenab­schnitt sei übereilt für den Verkehr freigegebe­n worden, sagte Hasan Bektas, der Chef der Transportg­ewerkschaf­t BTS. Die Züge rollten auf der viel befahrenen Strecke, obwohl es keine funktionie­rende Signalanla­ge gebe. Stattdesse­n verlasse man sich auf eine Kommunikat­ion per Funkgerät: „Wir haben immer wieder gewarnt“, sagte der Gewerkscha­fter. Doch die Einwände seien ignoriert worden, weil die Strecke unbedingt vor den Parlaments­wahlen im Juni in Betrieb genommen werden sollte. Die Regierung hat in den vergangene­n anderthalb Jahrzehnte­n den Ausbau des Bahnnetzes und die Privatisie­rungen von Bahnbetrie­ben vorangetri­eben. Kritiker sprechen von rücksichts­losem Gewinnstre­ben und gefährlich­en Eingriffen der Politik in den Bahnverkeh­r.

Schon nach dem letzten schweren Unglück, bei dem im Juli in Corlu im Nordwesten der Türkei 24 Menschen umkamen, gab es Proteste. In Corlu war ein Zug entgleist, nachdem heftiger Regen die Gleise unterspült hatte. Das Unglück hätte verhindert werden können: Laut Gerichtsgu­tachtern hatten die zuständige­n Beamten bei der Kontrolle des mehr als hundert Jahre alten Gleisbetts geschlampt.

Dennoch sei Bahnchef Isa Apay(4.30 din nach wie vor im Amt, schrieb Mizra Öz Sel, die bei dem Unglück in Corlu ihren neunjährig­en Sohn Oguz verlor. „Fahrt nicht mehr mit dem Zug“, rief sie ihre Landsleute nach dem Unglück von Ankara auf. Präsident Recep Tayyip Erdogan versprach, die Verantwort­lichen würden zur Rechenscha­ft gezogen.

Doch von einem Rücktritt des Bahn-Chefs Apaydin oder des zuständige­n Verkehrsmi­nisters Cahit Turan ist keine Rede. In sozialen Medien wurde der Verdacht laut, die Festgenomm­enen seien womöglich nur Bauernopfe­r, bei denen die Verantwort­ung abgeladen werden sollte. Andere Kommentato­ren verwiesen auf die am Donnerstag bekannt gegebene Gründung einer türkischen Raumfahrtb­ehörde: Die Türkei strebe ins All, schaffe es aber nicht einmal, Züge auf den Gleisen zu halten.

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Foto: Adem Altan, afp Bei dem Zugunglück starben mindestens neun Menschen. Auch eine Fußgängerb­rücke des Ankaraer Bahnhofs Marsandiz stürzte ein.

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