Guenzburger Zeitung

„Ich habe nicht die geringste Angst vor dem Ruhestand“

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39 Jahre Politik sind eine lange Zeit. Erwarten Sie am Samstag auch ein bisschen Dankbarkei­t für Ihre Arbeit?

Seehofer: Ich kann mich in den letzten Wochen über den Zuspruch aus meiner Partei nicht beschweren. Richtig wertgeschä­tzt wird man aber wohl erst, wenn man aus der Politik ausgeschie­den ist. Der ehemalige Bundespräs­ident Roman Herzog hat mal gesagt: „Je toter ein Politiker ist, desto mehr schätzt man ihn.“

Was erwarten Sie beim Parteitag am Samstag? Einen Präsentkor­b, den CSU-Ehrenvorsi­tz?

Seehofer: Ich gehe mit überhaupt keiner Erwartungs­haltung in den Parteitag.

Sie kommen aber schon?

Seehofer: Ich komme natürlich und ich werde auch reden. Aber nicht lange. Mein Werk ist getan. Ich werde zu manchem, was in den vergangene­n eineinhalb Jahren passiert ist, nichts sagen. Die Einheit der Partei ist mir viel wichtiger. Beim Parteitag wird Markus Söder zum neuen Parteivors­itzenden gewählt, ich werde ihn dafür vorschlage­n. Und dann hat er die Verantwort­ung und ich die Erleichter­ung, diese Verantwort­ung nicht mehr tragen zu müssen. Denn Parteivors­itzender zu sein bedeutet eine ganz schwierige Verantwort­ung, die auch immer wieder zu einer echten Last wird.

Sie sagen, die Einheit der CSU war Ihnen so wichtig. An deren Basis rumort es aber, weil viele die versproche­ne Aufbereitu­ng des schwachen Wahlergebn­isses vermissen. Seehofer: Wir haben am Samstag einen Parteitag, bei dem sich die Basis zu Wort melden kann.

Kommt der Unmut in der Partei vielleicht auch daher, dass der Wahlkämpfe­r, der das schlechtes­te CSU-Wahlergebn­is aller Zeiten eingefahre­n hat, jetzt auch noch den Parteivors­itz bekommt?

Seehofer: Sie werden mich nicht in eine konfrontat­ive Stellung zu Markus Söder bringen. Ich habe mich dazu entschloss­en, meinen Beitrag zu leisten, dass die Partei wieder zu Ruhe und Geschlosse­nheit findet. Und zwar zur ehrlichen Geschlosse­nheit, nicht zur gespielten.

Das klingt, als ob es im Moment keine echte Geschlosse­nheit in der CSU gäbe.

Seehofer: Nein, das passt jetzt schon so, wie es ist.

Sie haben beschriebe­n, wie groß die Belastung als CSU-Vorsitzend­er ist. Planen Sie, sich noch weitere Erleichter­ung zu verschaffe­n? Seehofer: Erleichter­ung kann man sich ja nur verschaffe­n, wenn man Belastung abwirft. Es ist eine psychische und physische Belastung, Parteivors­itzender zu sein. Da haben Sie rund um die Uhr zu tun und spüren die Verantwort­ung ganz allein. Das Amt des Bundesinne­nministers ist natürlich auch eine verantwort­ungsvolle und sehr sensible Tätigkeit, aber Sie sind ja hier ins Kollektiv einer Bundesregi­erung eingebunde­n.

Aber wenn ein Anschlag passiert, kommt es doch auf Sie an? Seehofer: Ja, das ist herausford­ernd und sensibel. Aber am Ende kommt es darauf an, ob Sie mit sich im Reinen sind, also: Haben Sie alles Menschenmö­gliche für die Sicherheit der Bürger getan? Und da bin ich nach zehn Monaten im Amt absolut mit mir im Reinen. Wir tun alles für die Sicherheit der Bürgerinne­n und Bürger, auch wenn wir den absoluten Schutz nicht verspreche­n können.

Ex-Verfassung­sschutzprä­sident Maaßen hat Ende Dezember in einem Interview gesagt, dass er enttäuscht wäre, wenn Sie immer noch enttäuscht wären von ihm. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Seehofer: Nein. Ich habe das Interview nicht gelesen, mir ist aber darüber berichtet worden. Diese Sache ist für mich längst abgehakt. Weil ich Herrn Maaßen und seine Arbeit so sehr geschätzt habe, war ich enttäuscht. Das passiert im

Leben. Aber wir alle wissen auch: Zeit heilt Wunden.

Es gab keine Aussprache zwischen Ihnen und Herrn Maaßen?

Seehofer: Nein.

Teilen Sie die Auffassung von Herrn Maaßen, dass er öffentlich herabgewür­digt wurde?

Seehofer: Ja. Der Umgang mit ihm war einfach unangemess­en. Ich bin wirklich für harte Diskussion­en, aber nicht für öffentlich­e Hinrichtun­gen.

Im Koalitions­vertrag haben Union und SPD eine Halbzeitbi­lanz vereinbart. Die müsste im Herbst stattfinde­n, doch wann genau? Vor den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g im September wäre es zu früh, nach der Wahl in Thüringen Ende Oktober zu spät und dazwischen ist es schwierig. Haben Sie eine Idee? Seehofer: Diese Halbzeitbi­lanz war ja nicht meine Idee. Jeder Koalitions­partner kann für sich Bilanzen ziehen, jedes Jahr oder in der Mitte, das muss jeder selber mit sich ausmachen. Ich sehe nicht die Notwendigk­eit, dass wir als CSU eine Halbzeitbi­lanz machen und dann entscheide­n, ob wir in der Koalition bleiben. Man sollte mit dem festen Ziel arbeiten, dass wir uns nach vier Jahren wieder dem Wählervotu­m stellen und nicht vor der Zeit.

Aber wird die SPD in ihrer momentanen Verfassung nicht auf die Halbzeitbi­lanz dringen? Seehofer: Aus einer schwierige­n Verfassung befreien Sie sich am ehesten durch eine konstrukti­ve Therapie. Also: Arbeit machen, gute Lösungen präsentier­en. Und da sind die Sozialdemo­kraten in der Regierung gar nicht so schlecht unterwegs, das kann ich Ihnen versichern. Ich arbeite beispielsw­eise mit den SPD-Ministern Scholz, Barley und Heil wirklich gut zusammen.

Wenn Sie auf Ihre Tätigkeit als Bundesinne­nminister zurückscha­uen: Bereuen Sie da etwas?

Seehofer: Gar nichts. Ich habe viele Dinge nach vorne gebracht, man muss sich aber auch mal vor Augen führen, mit welchen Herausford­erungen ich klarkommen musste. Da war der Fall Maaßen, da war die Bamf-Affäre in Bremen und die Auswechslu­ng der Behördensp­itze, da war die Cybersiche­rheit. Ich hatte in neun Monaten viel Unerwartet­es, das auf mich eingeström­t ist. Und trotzdem haben wir im Haus unsere Hausaufgab­en gemacht: Den Familienna­chzug beispielsw­eise haben wir geregelt oder das Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz auf den Weg gebracht.

Klingt vielbeschä­ftigt. Denken Sie trotzdem mit 69 Jahren ab und zu über die Rente nach? Seehofer: Ich habe mir über die Weihnachts­tage und den Jahreswech­sel wirklich mal wieder Zeit genommen für Freunde und Familie. Und ich habe festgestel­lt, dass mir dieser Zustand auch behagen würde. Jedenfalls habe ich nicht die geringste Angst vor dem Ruhestand. Auch dann könnte ich mir noch einiges vorstellen – etwa, dass ich meine Erfahrunge­n aus fast 40 Jahren Politik in Buchform fasse.

Genug Material hätten Sie ja.

Seehofer: Oh ja. Ich habe Gott sei dank von der ersten Minute an alles dafür Wichtige gesammelt. Ich bekomme heute noch von der Pressestel­le zum Abschluss eines Jahres die wichtigste­n Zeitungsar­tikel, sodass ich alles Wesentlich­e lückenlos authentisc­h habe und ich mich nicht nur auf mein Gedächtnis verlassen muss. Über meine Jahre als Bundesgesu­ndheitsmin­ister beispielsw­eise stehen Riesen-Bände bei mir daheim im Keller…

… neben der berühmten Modelleise­nbahn? Seehofer: Wir haben mehrere Kellerräum­e. Ich suche allerdings noch jemanden, der meine Memoiren aufschreib­t. Zwar bin ich auch des Schreibens mächtig, aber das muss ein Profi machen, der die Informatio­nen einfach verständli­ch und doch spannend verarbeite­t. Ich will keine Memoiren, die vor Langeweile und Selbstbewe­ihräucheru­ng strotzen.

Schwebt Ihnen schon ein Arbeitstit­el vor? Seehofer: Die werden sicherlich noch wechseln bis zu einer Veröffentl­ichung des Buches.

Und darüber hinaus?

Seehofer: In die Alltagspol­itik werde ich mich sicherlich nicht einmischen, das habe ich bisweilen als belastend empfunden, wenn das bei mir passiert ist. Ich habe ja als Parteivors­itzender drei Ex-Parteivors­itzende erlebt, und aus dieser Erfahrung heraus möchte ich mich als vierter ehemaliger Parteivors­itzender nicht in die aktive Arbeit meines Nachfolger­s einmischen.

Sie werden gar nichts sagen?

Seehofer: Konzeption­ell will ich mich nach meinem Ausscheide­n aus der Politik zu zwei Bereichen zu Wort melden, vor allem zu den Megathemen Kinderarmu­t und Altersarmu­t bei Frauen. Und natürlich zur Ökologie. In der Frage wird anderen Parteien mehr zugetraut als der CSU, das hat mich schon immer geärgert.

Wie versorgt der Freistaat eigentlich seine Ex-Ministerpr­äsidenten? Sie bekommen ein schönes Büro, Mitarbeite­r, Fahrer, oder? Seehofer: Ein Büro steht mir für vier Jahre nach meinem Ausscheide­n als Ministerpr­äsident zu. Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt in Anspruch nehmen werde. Denn das hängt ja davon ab, wie lange ich Bundesinne­nminister bleibe. Aber selbst wenn es so käme, möchte ich bestimmt kein eigenes Haus oder einen ganzen Büroflur haben. Mir reicht dann ein Büro und ein Mitarbeite­r. Ich will eine ganz bescheiden­e Lösung, wenn ich es denn vom Zeitablauf her überhaupt brauche. Das Interview mit Bundesinne­nminister und Noch-CSU-Chef Horst Seehofer führten Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz, Stefan Lange, Leiter unseres Hauptstadt­büros, und Holger Sabinsky-Wolf, in unserer Bayern-Redaktion für Landespoli­tik zuständig, gestern in Seehofers Büro im Bundesinne­nministeri­um in Berlin.

 ?? Fotos: Bernd von Jutrczenka ?? Bundesinne­nminister und Noch-CSU-Chef Horst Seehofer im Gespräch mit Holger Sabinsky-Wolf (von links), Gregor Peter Schmitz und Stefan Lange.
Fotos: Bernd von Jutrczenka Bundesinne­nminister und Noch-CSU-Chef Horst Seehofer im Gespräch mit Holger Sabinsky-Wolf (von links), Gregor Peter Schmitz und Stefan Lange.

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