Guenzburger Zeitung

Der Herr der Geigen

Rolf Eckstein fördert junge Musiker mit Instrument­en, die wunderbar klingen, aber auch von einer furchtbare­n Zeit erzählen. Wie im Landkreis Neu-Ulm einer Musikerfam­ilie gedacht wird

- VON ANGELA BACHMAIR

Vöhringen „Instrument­e für Talente“– dieses Motto hat Rolf Eckstein aus Unterelchi­ngen im Landkreis Neu-Ulm seiner Stiftung gegeben. Er verleiht Geigen, Bratschen, Celli an junge Musiker, die sich kein teures Streichins­trument leisten könnten. Als Stipendiat­en können sie ein solches ein Jahr oder auch länger nutzen. So spielen die Neu-Ulmerin Jessica Triebelhor­n eine Violine von Mathias Thir aus dem Jahr 1777, die junge Argentinie­rin Andrea Cativa eine Bratsche von Stefano Scarampell­a, Mathis Merkle aus Aalen ein Cello des Mailänders Ferdinando Garimberti, der Augsburger Niko Franz, der bei Senta Kraemer am Leopold-Mozart-Zentrum studiert, eine wertvolle Leihviolin­e von Antonio Pasta. Begabten Nachwuchsk­ünstlern will Rolf Eckstein damit ihre Karriere erleichter­n und er tut es im Gedenken an seinen Vater.

Nach ihm, Albert Eckstein, hat er seine Stiftung benannt, und von ihm stammt ein Gutteil der Instrument­e. Albert Eckstein, 1913 geboren, war selbst Geiger, ein hochbegabt­er, der zwar keine Noten lesen, aber alles an Tanzmusik, Klassik und Jazz nach dem Gehör spielen konnte. In den 1930er Jahren trat er mit seiner Kapelle in ganz Schwaben auf und damals nannte man ihn einen „Zigeunerge­iger“. Albert Eckstein war Sinto, so, wie es sein Sohn Rolf ist, und als Angehörige­r dieser kulturelle­n Minderheit wurde er nach 1933 von den Nationalso­zialisten genauso verfolgt wie die Juden, die politische­n Regimegegn­er, die Homosexuel­len und andere Minderheit­en.

Er erhielt keine Wandererla­ubnis mehr, um mit seiner Musikgrupp­e zu gastieren und den bei Sinti traditione­llen Pferdehand­el auszuüben. Obwohl er Gefreiter der Wehrmacht war, wurde er als „wehrunwürd­ig“entlassen, verlor seine Bürgerrech­te und musste beim Rüstungsbe­trieb Wieland in Vöhringen Zwangsarbe­it leisten. Dabei hatte Albert Eckstein noch Glück. Mit seiner Frau und den beiden Kindern Helga und Rolf konnte er in seinem Wohnort Vöhringen bleiben, wurde nicht deportiert und überlebte die Schikanen. Nach Kriegsende 1945 setzten die amerikanis­chen Befreier ihn kurzzeitig als Bürgermeis­ter ein, bevor er wieder mit Pferden handelte, Musik machte und Musikinstr­umente sammelte. Schlimmer erging es seinen Verwandten: 17 Mitglieder der großen Sinti-Familie Eckstein verloren durch die Verfolgung des Nazi-Regimes ihr Leben, wurden in den Konzentrat­ionslagern Lemberg und Sachsenhau­sen sowie im Vernichtun­gslager Auschwitz ermordet. „Ja, es gibt nicht mehr viele von uns“, sagt Rolf Eckstein traurig. Er habe lange nichts Genaues von den Schicksale­n seiner Familie gewusst, denn sein Vater habe mit ihm darüber nicht sprechen wollen. Erst nach und nach erfuhr der heute 74-Jährige die grausame Wahrheit; mit seinem Sohn Andrew hat er viel darüber gesprochen, denn er will, dass der besser informiert ist, als er selbst es war. Mit ihm war er, auf Einladung des ehemaligen französisc­hen Präsidente­n Hollande, in der KZ-Gedenkstät­te Natzweiler­Struthof, um seines Onkels Adalbert zu gedenken. In Vöhringen, dem Heimatort der Familie, erinnern inzwischen Stolperste­ine an die Opfer. Und seit kurzem gibt es ein Buch, das ihre Lebens- und Leidensges­chichte erzählt: Der Ulmer Gedenkfors­cher Walter Wuttke hat die „Lebensschi­cksale einer MusikerSin­ti-Familie“recherchie­rt.

Rolf Eckstein freut es, dass sich heute so viele Menschen in seiner Heimat für das Schicksal seiner Familie interessie­ren. Gleichwohl ist es ihm weiter Verpflicht­ung, an deren Verfolgung zu erinnern, vor allem, da rechtspopu­listische Kräfte wieder die Politik mitbestimm­en. „Es ist doch wie damals, 1933, es wird wieder mit falschen Behauptung­en Propaganda gegen Fremde und Andersdenk­ende gemacht.“Er mache sich große Sorgen und wolle für die Erinnerung und eine menschenfr­eundliche Welt tun, was er könne.

Und was er kann, das ist für Rolf Eckstein eben die Musik – sein Ulmer Geigenbaua­telier, in dem er viele internatio­nale Kontakte pflegt, und die Albert-Eckstein-Stiftung, mit der er junge Künstler aus der ganzen Welt unterstütz­t. Dafür wurde er bereits mit dem Bundesverd­ienstkreuz am Bande ausgezeich­net. Denn Musik kann Menschen verbinden und auch Bewusstsei­n für Geschichte schaffen, da ist Rolf Eckstein sicher. Die Geigen, Bratschen und Celli, die noch sein Vater, der Überlebend­e der NaziVerfol­gung, sammelte, erzählen schließlic­h unüberhörb­ar von deutscher Geschichte.

OWalter Wuttke: Familie Eckstein. Lebensschi­cksale einer Musiker-SintiFamil­ie, Konrad-Verlag Weißenhorn, 112 Seiten, 14,95 Euro.

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Foto: Verband Deutscher Sinti und Roma Eine der wenigen Aufnahmen, die es von der Musikerfam­ilie Eckstein noch gibt.

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