Guenzburger Zeitung

Wo steckt Julen?

Der zweijährig­e Junge soll in ein mehr als hundert Meter tiefes und sehr enges Brunnenloc­h in der Nähe Málagas gestürzt sein. Ganz Spanien fiebert mit den Einsatzkrä­ften

- VON RALPH SCHULZE

Totalán Fernando Onega ist ein gestandene­r Fernsehjou­rnalist und hat schon viel gesehen. Doch auch er kämpft in einer Livesendun­g mit den Tränen. Onega berichtet von einer der schwierigs­ten Rettungsak­tionen in der spanischen Geschichte – und das ganze Land fiebert mit, bis hin zu Ministerpr­äsident Pedro Sánchez und Königin Letizia: Ein zweijährig­er Junge soll in ein etwa 110 Meter tiefes und sehr enges Brunnenloc­h in der Nähe der Stadt Málaga gestürzt sein. Seit Sonntag versuchen Rettungsma­nnschaften, das Kind zu befreien, das in dem nur etwa 25 bis 30 Zentimeter breiten Schacht vermutet wird.

Ein Lebenszeic­hen des Jungen, der Julen heißt, gab es bis zum Dienstagna­chmittag nicht. Es ist nicht einmal zweifelsfr­ei klar, ob er überhaupt in das Loch gestürzt ist. Die Polizei räumte am Montag ein, dass man „noch keinen physischen Beweis“dafür habe. Aufgrund der Angaben der Eltern schließe man Maria Gamez, Sprecherin der Einsatzzen­trale

aber andere Möglichkei­ten – etwa, dass er herausgekl­ettert sei und sich verlaufen habe – vorerst aus.

Mit einer Kamera war am Montag in etwa 80 Metern Tiefe eine Bonbontüte entdeckt worden, die Julen gehört haben könnte. Bis zum Boden des Lochs konnten die Einsatzkrä­fte mit einer ferngesteu­erten Kamera noch nicht vordringen. Dort, wo die Bonbontüte gefunden wurde, verstopfte­n Erde und Steine den Schacht.

Der mutmaßlich­e Unglücksor­t liegt im Hinterland der Urlaubsküs­te Costa del Sol rund 20 Kilometer nordöstlic­h Málagas. Im Hügelland des Dorfes Totalán soll Julen am Sonntagmit­tag während eines Spaziergan­gs mit seiner Familie in den schmalen Brunnensch­acht gefallen sein. So berichtete­n es Julens Eltern den Rettungskr­äften. Eine Tante habe den Sturz aus einiger Ferne gesehen und laut um Hilfe gerufen, schrieben die Zeitung La Vanguardia und andere Medien. In den ersten Minuten sei noch ein Wimmern aus dem Loch gedrungen, dann habe man nichts mehr gehört.

Das Loch soll ein Landgutbes­itzer erst vor kurzem gebohrt haben, um nach Wasser zu suchen. Abgesicher­t war der Schacht nicht. Offen- bar hatte der Finca-Besitzer ohne Erlaubnis der Behörden nach Wasser gebohrt. Ein bekanntes Problem im ländlichen Teil Spaniens, wo es zehntausen­de solcher illegaler Brunnen gibt.

„Wir tun alles, was in unserer Macht steht“, sagte María Gámez, die Sprecherin der Einsatzzen­trale. Die inzwischen mehr als hundert Retter würden Tag und Nacht arbeiten. Wenn sich der Kleine wirklich in der Tiefe befinde, dann sei die Rettungsak­tion ein Wettlauf mit der Zeit. Am Dienstag wurden zudem erfahrene Minenarbei­ter der nördlichen Kohleregio­n Asturien zu Hilfe gerufen. Mit einem Spezialger­ät versuchte die Feuerwehr jene Geröllschi­cht im Brunnen, unter der sich Julen befinden könnte, abzusaugen. Doch die Helfer kommen nur langsam voran, da sie sehr vorsichtig vorgehen mussten, um in dem unbefestig­ten Schacht keinen neuen Erdrutsch auszulösen.

Am Dienstag begannen Experten zudem einen Rettungstu­nnel zu graben, der schräg zur Brunnensoh­le führen soll – in ihn soll dann erst einmal eine Kamera gelassen werden. Ein Experte erklärte im Fernsehen, der Bau eines solchen Tunnels werde zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen, und das auch nur, falls keine Probleme auftauchte­n. Sollte Julen tatsächlic­h entdeckt werden, soll der Tunnel so schnell wie möglich erweitert werden, damit ein Retter hindurchpa­sst und ihn heraushole­n kann.

„Wir geben die Hoffnung nicht auf, Julen lebend zu finden“, sagte ein Feuerwehrm­ann. Zwar könnten sich auch Gase oder Schlamm unten an der Brunnensoh­le befinden, was die Überlebens­chancen verringere. Aber es sei auch möglich, dass sich eine Sauerstoff­blase gebildet habe. „Nach Erdbeben hat man auch schon nach fünf oder sechs Tagen Überlebend­e gefunden.“

Die Eltern von Julen, der arbeitslos­e Marktverkä­ufer José und die Fast-Food-Bedienung Victoria, waren bereits im Mai 2017 vom Schicksal hart getroffen worden. Bei einem Strandspaz­iergang starb damals Julens älterer Bruder Oliver mit drei Jahren an einem Herzversag­en. José und Victoria wollten die Unfallstel­le nicht für eine Minute verlassen. Die Nachbarn der Familie aus dem armen Málaga-Vorort El Palo sind ebenfalls nicht zu trösten. „Der Kleine war hier immer mit seinem grünen Dreirad rauf und runter unterwegs. Mir fehlen die Worte“, sagte eine ältere Frau und weinte dabei. (mit dpa)

„Wir tun alles, was in unserer Macht steht.“

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Fotos: Bomberos De Málaga, Europa Press; Gregorio Marrero, dpa Tag und Nacht suchen mehr als hundert Rettungskr­äfte nach Julen. Der Junge soll am Sonntag beim Spielen in den Hügeln des Dorfes Totalán in diesen schmalen Brunnensch­acht gefallen sein.

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