Guenzburger Zeitung

Das Augsburger Jahrhunder­tspiel

Als der FCA im August 1973 gegen die Löwen im Olympiasta­dion antrat, stürmten Fans die Stadiontor­e und sorgten für einen bis heute gültigen Besucherre­kord. Die Euphorie löste ein prominente­r Italien-Rückkehrer aus

- VON HERBERT SCHMOLL

Augsburg 15. August 1973. Ein herrlicher Sommertag. Wie geschaffen, um unter Flutlicht Fußballges­chichte zu schreiben. Helmut Haller kehrte wenige Wochen zuvor aus Italien nach Augsburg zurück, der Weltstar hatte davor mit Juventus Turin noch die italienisc­he Meistersch­aft gefeiert. Der Neuling aus Augsburg war mit einem 6:2-Sieg gegen den VfR Heilbronn ins neue Spieljahr gestartet, nach vielen Jahren der kargen Kickerkost machte sich in Augsburg eine zuvor nicht gekannte Euphorie breit. Daran dachten am Feiertag Mariä Himmelfahr­t auch viele Fans des TSV 1860 München und des FC Augsburg.

Die „Löwen“, die unter Trainer Rudi Gutendorf zurück in die Bundesliga wollten, und der Aufsteiger vom Lech standen sich im Olympiasta­dion am zweiten Spieltag der Regionalli­ga Süd, der damals zweithöchs­ten Spielklass­e, gegenüber. Die Begeisteru­ng unter den FCAFans steigerte sich an diesem Tag beinahe ins Unvorstell­bare, die man unter den eigentlich als zurückhalt­end geltenden Schwaben nie und nimmer vermutet hätte. Die Partie endete 1:1, doch es war ein außergewöh­nliches Spiel, an das sich Tausende auch Jahrzehnte danach noch erinnern. So auch Alwin Fink, am vergangene­n Wochenende 70 Jahre geworden, der seinerzeit die Kapitänsbi­nde trug: „Wir waren eine tolle Mannschaft, auch für uns war das ein Erlebnis, so ein Spiel vergisst man sein Leben lang nicht“, erklärte der quirlige Außenverte­idiger Jahre später.

Auch wir, die Fußballer des SC Biberbach (Kreis Augsburg), wollten das Derby sehen, in der Rosenau waren wir seit der Fusion mit dem TSV Schwaben vier Jahre zuvor Stammgäste. Fußballche­f Hermann Stettberge­r charterte einen Bus in die 70 Kilometer entfernte Landeshaup­tstadt. Für

17.30 Uhr, zweieinhal­b Stunden vor Spielbegin­n, war die Abfahrt geplant. Statt der erwarteten 50 Fans waren aber 70 Personen da. Ein weiterer Bus musste her, die Abfahrt verzögerte sich. Auf der Autobahn merkten wir dann schnell, dass da ein besonderes Ereignis auf uns wartete. Ab Dasing, 50 Kilometer vor dem Ziel, ging es nur im Schritttem­po Richtung München, es war schon wenige Minuten vor 20 Uhr, als wir den Busparkpla­tz erreichten. Im Laufschrit­t eilten wir zum Olympiasta­dion, wir hatten ja keine Karten. Einige von uns, darunter ich, ergatterte­n noch Tribünenti­ckets: 25 Mark, damals ein stolzer Preis. Noch während wir in der langen Schlange standen, drang erstmals ein Torjubel aus der Arena.

Löwen-Verteidige­r Werner Luxi brachte die Gastgeber in Führung. Als der FCA nach elf Minuten durch Klaus Vöhringer zum 1:1 ausglich, gab es für die Massen, die vor dem Stadion standen, kein Halten mehr. Sie rissen die Zäune ein, die Ordner öffneten die Tore. Die Bilanz: 136 Verletzte. Nummeriert­e Plätze gab es noch nicht, ich saß auf den Treppen der Haupttribü­ne und verfolgte fasziniert, wie rund 35 000 Augsburger Anhänger ihre Mannschaft anfeuerten und feierten, das „Hallerluja“wurde an diesem denkwürdig­en Abend und in den Monaten danach in deutschen Stadien zum Hit.

Der damalige Geschäftsf­ührer der Münchner, der mittlerwei­le verstorben­e Manfred Amerell, erzählte mir Jahre später, dass er zunächst nur 50 000 Tickets an die Kassen mitnehmen wollte. Im Vorverkauf waren nur 8000 Billetts über die Theke gegangen. Amerell, später beim FCA auch Geschäftsf­ührer und zudem Bundesliga-Schiedsric­hter, überlegte es sich anders und verkaufte tatsächlic­h 79 000 Karten. Insgesamt dürften weit mehr als 90 000 Besucher im Stadion gewesen sein. Das war und ist noch immer Besucherre­kord im Olympiasta­dion.

An diesem denkwürdig­en Abend ahnte ich nicht, dass ich Jahre später den völlig unkomplizi­erten Helmut Haller näher kennenlern­en durfte und er mir als Sportjourn­alist beruflich manche Tür öffnete. Am Ende der Saison 1973/74 feierte der FCA den Titel in der Regionalli­ga und durfte anschließe­nd in der zweiten Bundesliga kicken. Doch zum Aufstieg in die Bundesliga fehlte ein Punkt. Das Augsburger Fußballwun­der blieb unvollkomm­en, erst 38 Jahre später wurde das Märchen wahr. Der FC Augsburg stieg ins Oberhaus auf.

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Foto: imago Mehr als 90 000 Besucher verfolgten das Regionalli­ga-Duell zwischen dem TSV 1860 München und dem FCA.

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