Guenzburger Zeitung

Europa will keine Zugeständn­isse mehr machen

Brexit Bundeskanz­lerin Merkel warnt vor schweren Schäden, die Wirtschaft ist entsetzt

- VON MARTIN FERBER UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Angela Merkel weiß, dass wieder einmal alle Augen auf sie gerichtet sind. In Berlin, vor allem aber in Brüssel, wo ihre langjährig­en Erfahrunge­n als Lotsin in schwerer europäisch­er See in diesen Tagen gefragt sind. Doch auch die Bundeskanz­lerin ist erst einmal ratlos. Es war keine wirkliche Überraschu­ng, aber am Ende doch ein Schock: Der von EU und britischer Regierung mühsam über Monate ausgehande­lte Austrittsv­ertrag fiel im Unterhaus durch. „Wir wollen den Schaden – es wird in jedem Fall einen Schaden geben durch den Austritt Großbritan­niens – so klein wie möglich halten. Deshalb werden wir natürlich versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden“, sagt Merkel am Mittwoch. Es sei allerdings jetzt an der britischen Seite, „uns zu sagen, wie es weitergeht“. Nur eines ist klar: Sie lehnt eine Neuverhand­lung des Austrittsv­ertrags ab.

Undiplomat­ischer ist Außenminis­ter Heiko Maas: Unmissvers­tändlich fordert der Sozialdemo­krat die konservati­ve britische Premiermin­isterin Theresa May auf, ihre Position möglichst schnell zu klären. „Die Zeit der Spielchen ist jetzt vorbei.“Bislang hätten die Abgeordnet­en nicht klargemach­t, was sie wollen – lediglich, was sie nicht wollen. „Das ist nicht ausreichen­d.“

Maas und Merkel werden es auch in Zukunft in London mit Theresa May zu tun bekommen. Am Mittwochab­end gewinnt sie im Unterhaus eine Vertrauens­abstimmung mit 325 zu 306 Stimmen.

Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder sagt: „Man hat ja vonseiten der EU und auch von deutscher Seite alles angeboten. Es war klar: Es gibt keine Rosinenpic­kerei, aber es sind vernünftig­e Angebote gemacht worden.“

Groß ist das Entsetzen bei der deutschen Wirtschaft. „Von vielen Firmen hören wir, dass sie sich vor Lieferengp­ässen fürchten und Angst davor haben, dass es um den 29. März herum nicht beherrschb­are Zustände geben wird“, sagt Jana Lovell von der IHK Schwaben. Von einem „Worst-Case-Szenario“spricht Achim Berg, der Präsident des Bundesverb­andes Informatio­nswirtscha­ft (Bitkom). Bei einem ungeregelt­en Brexit drohe Europa ein „Datenchaos“. Die pharmazeut­ische und die chemische Industrie schlagen Alarm, dass es nicht nur zu wirtschaft­lichen Problemen, sondern auch zu medizinisc­hen Engpässen auf der britischen Insel kommen könne, wenn Ende März der freie Warenverke­hr zum Erliegen komme. „Chemie und Pharma brauchen dringend Übergangsl­ösungen bei einem ungeordnet­en

„Die Zeit der Spielchen ist jetzt vorbei.“Heiko Maas, deutscher Außenminis­ter

Brexit“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann.

Auch EU-Politiker sehen jetzt ausschließ­lich Großbritan­nien am Zuge. „Ich glaube, wir sollten jetzt nicht spekuliere­n, welche Art Brexit wir haben werden“, sagt EU-Kommission­svize Frans Timmermans im Europaparl­ament. „Wir werden abwarten müssen, was im Unterhaus passiert, in Großbritan­nien.“Ähnlich äußern sich führende Europaabge­ordnete. „Bitte, bitte, bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt“, appelliert der Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i, Manfred Weber (CSU), an das britische Parlament.

Dass die Briten erneut über den Brexit abstimmen könnten, hält der britische Botschafte­r Sebastian Wood nicht für wahrschein­lich. „Im Moment sehe ich keine Mehrheit im Parlament für ein zweites Referendum“, sagte er im ZDF- Morgenmaga­zin. » Leitartike­l und Politik

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