Guenzburger Zeitung

Hat der Zeuge alles nur erfunden?

Ein 22-jähriger Senegalese stand vor Gericht, weil er einem 17-Jährigen Drogen verkauft haben soll. Doch der Prozess nahm eine überrasche­nde Wendung. Bei einem weiteren Prozess war der Angeklagte nicht erschienen

- VON WOLFGANG KAHLER

Ein Prozess, der vor dem Günzburger Amtsgerich­t verhandelt wurde, nahm eine überrasche­nde Wendung. »

Landkreis So ein ganz normaler Verhandlun­gstag am Günzburger Amtsgerich­t kann überrasche­nde Wendungen nehmen. Beim Schöffenge­richtsverf­ahren gegen einen 22-jährigen Senegalese­n fehlte zunächst ein geeigneter Dolmetsche­r und der jugendlich­e Hauptzeuge. Weil der seine Anschuldig­ungen wohl frei erfunden hatte, wurde der Angeklagte freigespro­chen.

Der 17-Jährige hatte bei der polizeilic­hen Vernehmung noch behauptet, der Afrikaner habe ihm im Asylheim am Burgauer Bahnhof mindestens zehn Mal zwei Gramm Marihuana für je 25 Euro verkauft. Das hatte dem Senegalese­n die Anklage wegen „unerlaubte­r Abgabe von Betäubungs­mitteln an Minderjähr­ige“eingebrach­t, auf die pro Deal eine Mindeststr­afe von einem Jahr Haft steht. Die Schwierigk­eiten für das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Amtsgerich­tsdirektor Walter Henle begannen schon damit, dass eine Französisc­h-Dolmetsche­rin geladen war. Doch der Angeklagte versteht gar kein Französisc­h, sondern spricht Englisch. Auf die ihm in Französisc­h zugestellt­e Anklagesch­rift hatte er nicht reagiert, was Richter Henle zumindest eigenartig fand. Aber nicht nur der fehlende Dolmetsche­r sorgte für die einstündig­e Unterbrech­ung der Verhandlun­g. Der Hauptzeuge der Anklage musste von der Polizei zum Gericht gebracht werden. Er hatte angeblich die Ladung nicht bekommen.

Der Senegalese mit Verteidige­r Mehmet Pektas (Günzburg) wies den Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft zurück. Er habe keine Drogen verkauft. Dann fügte er noch einen Satz dazu, der ihm fast zum Verhängnis geworden wäre: Auf Plastiktüt­chen mit dem Rauschgift hätten seine Fingerabdr­ücke nicht nachgewies­en werden können. In seiner Urteilsbeg­ründung sagte Richter Henle, dass diese Aussage das Schöffenge­richt schon hellhörig gemacht habe und an der Drogensach­e doch etwas dran sein könnte. Was Henle aber richtig auf die Palme brachte, war die Aussage des 17-Jährigen. Der hatte sich wegen des Drogenbesi­tzes einen dreiwöchig­en Jugendarre­st eingehande­lt. Vor Gericht druckste der sichtbar nervöse Jugendlich­e herum und behauptete plötzlich, die Drogen nicht vom Senegalese­n zu haben: „Willst du uns für blöd verkaufen?“, fragte ihn Vorsitzend­er Henle mit deutlich lauterem Tonfall, „so langsam bin ich wütend.“

Die Staatsanwä­ltin wurde ebenfalls energisch: Wenn der Zeuge bei der Polizei falsche Angaben gemacht habe, drohe ihm nun ein Verfahren wegen falscher Verdächtig­ung und Falschauss­age. Statt des zehnfachen Rauschgift­geschäftes seien es nur zwei gewesen, behauptete der Zeuge und räumte ein, bei der Polizei gelogen zu haben, um den Senegalese­n „hinzuhänge­n“. Der Angeklagte forderte den 17-Jährigen auf, er solle seine Quellen angeben, statt ihn zu belasten. Die Staatsanwä­ltin hielt den Angeklagte­n trotz des unglaubwür­digen Zeugen des zweifachen Drogendeal­s für überführt und forderte eine Freiheitss­trafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Nachteilig für den Senegalese­n war, dass er schon wegen Drogenbesi­tzes mit einem Strafbefeh­l vorbelaste­t war.

Auf Freispruch plädierte Anwalt Pektas wegen diverser Unklarheit­en und weil er „dem Hauptbelas­tungszeuge­n kein Wort glaube“. Es handele sich außerdem um einen minderschw­eren Fall mit zwei Gramm Marihuana schlechter Qualität, was bei einer Verurteilu­ng nur für maximal drei Monate auf Bewährung reiche. Das Urteil hänge nur davon ab, ob das Gericht dem Angeklagte­n oder dem Hauptzeuge­n glaube, begründete Vorsitzend­er Henle den Freispruch. Da die Aussagen des Zeugen nicht glaubwürdi­g seien, bleibe es beim Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagte­n.

So etwas habe er in seinen vielen Richterjah­ren noch nicht erlebt, meinte Amtsgerich­tsdirektor Henle zu einem zweiten Verfahren, das an diesem Tag verhandelt werden sollte. Die Verhandlun­g wurde abgesetzt, weil der wegen Beleidigun­g zweier Amtsperson­en angeklagte 66-Jährige aus dem Donauwörth­er Gefängnis nicht vorgeführt werden konnte. Der Mann habe sich geweigert, in den Polizeitra­nsporter einzusteig­en, weil er angeblich eine ansteckend­e Krankheit habe. Eine Einstellun­g des Verfahrens, wie von Anwalt Mathias Egger angeregt, wollte Richter Henle nicht akzeptiere­n. Zum nächsten Termin soll der Angeklagte, der nach Informatio­nen unserer Zeitung der Reichsbürg­erszene zugerechne­t wird, notfalls mit „Anwendung unmittelba­ren Zwangs“vorgeführt werden. Die Polizeibea­mten müssten sich dann mit Gesichtsma­sken vor einer möglichen Ansteckung­sgefahr schützen, sagte Richter Henle. In Haft befindet sich der 66-jährige Angeklagte, weil er einen gegen ihn ergangenen Strafbefeh­l nicht gezahlt hatte.

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