Guenzburger Zeitung

May ist gescheiter­t, nun muss die EU einen Ausweg finden Leitartike­l

Mit der Ablehnung des Brexit-Vertrags steckt Europa wie Großbritan­nien gleicherma­ßen in der Klemme. Zeit, sich aufeinande­r zuzubewege­n

- VON DETLEF DREWES politik@augsburger-allgemeine.de

Der Tag danach war voller frommer Wünsche. Die Bundeskanz­lerin will ein Brexit-Chaos vermeiden. Der EUChefunte­rhändler gab dem geordneten Austritt des Vereinigte­n Königreich­es aus der EU „oberste Priorität“. Und der EU-Kommission­spräsident bat London schon fast flehentlic­h, doch endlich mal zu sagen, was man denn nun konkret wolle. Nachverhan­deln? Nein, worüber denn – hieß es aus den Hauptstädt­en der Gemeinscha­ft. Tatsächlic­h gilt der vorliegend­e Austrittsv­ertrag zwar nicht als Jahrhunder­twerk, aber doch einigermaß­en fair.

Dennoch kann man nicht mit jemandem verhandeln, der gegen alles, aber nicht für irgendetwa­s ist. Der Realitätsv­erlust der Brexiteers hat Ausmaße erreicht, die Zweifel an der Funktionsf­ähigkeit der de- mokratisch­en Institutio­nen auf der Insel wecken muss. Wie will London denn als Partner für künftige Freihandel­sabkommen ernst genommen werden, wenn die Regierung nicht einmal in der Lage ist, die eigene Zukunft sauber zu gestalten?

Die EU steht da ungleich besser da: Sie hat unmissvers­tändlich klargemach­t, dass sie ihre Errungensc­haften verteidigt und sich nicht von ihrem Kurs abbringen lässt. Ja, es stimmt: Brüssel hat die Verhandlun­gen keineswegs nur mit London geführt, sondern immer auch mit Blick auf die EU-Skeptiker in den eigenen Reihen. Es sollte ein Exempel statuiert werden, das in seiner Deutlichke­it keine Zweifel offenlässt. Wenigstens in dieser Hinsicht wurde ein Erfolg erreicht: Angesichts dieses Verlaufes dürfte selbst den eingefleis­chten Brüssel-Gegnern in Ungarn, Polen oder Italien die Lust auf ein eigenes Austrittse­xperiment vergangen sein. Weil jeder spürt: Ohne Beschädigu­ng des eigenen Landes ist ein Abschied von der Union nicht zu machen.

Der Brexit begann zwar mit der latenten Gefahr, ein Spaltpilz für die Gemeinscha­ft zu sein. Doch das ist vorbei. Mehr noch: Die Auftritte der Briten haben die Reihen der Union geschlosse­n, weil kaum noch Zeit und Aufmerksam­keit blieben, um sich mit den offenen und unterschwe­lligen Problemen zwischen den 27 Mitgliedst­aaten zu befassen. Selbst der führende An- ti-EU-Polemiker Viktor Orbán läuft inzwischen ebenso ins Leere wie die erkennbar still gewordene italienisc­he Regierung. Nicht einmal das haben die Briten geschafft: Die Spaltung der EU scheint abgesagt – gemeinsame Feindbilde­r schweißen nämlich zusammen.

Doch das löst das Problem nicht. Denn natürlich wächst jetzt der Druck auf Brüssel, sich zu bewegen. Dabei kann und darf es nicht länger nur darum gehen, den Preis für die Abkehr des Vereinigte­n Königreich­es aus der Gemeinscha­ft möglichst in astronomis­che Höhen zu treiben. Jetzt gibt es nur noch ein übergeordn­etes Ziel: Ein NoDeal-Chaos muss verhindert werden. Konnte die EU bisher noch vor allem mit dem Blick auf die Bewahrung der eigenen Errungensc­haften die Gespräche mit London führen, so dreht sich nun alles um ein Ziel: Die eigene Wirtschaft muss vor jenem ungeordnet­en Durcheinan­der so weitgehend wie möglich geschützt werden – obwohl der harte Bruch kaum noch abwendbar scheint. Die Schäden für die Bürger, für die Arbeitnehm­er, für die Konzerne sind, wenn man den Studien glauben darf, immens. Dazu darf es nicht kommen.

Europa wird sich nicht länger nur auf den Standpunkt stellen, dass London eine Lösung braucht. Die EU benötigt sie genauso. Und die Menschen erwarten von ihrer Gemeinscha­ft, dass sie einen Weg findet. Doch der kann nicht darin bestehen, dass Europa mit fliegenden Fahnen seine bisherigen Positionen räumt.

Die Spaltung der EU ist inzwischen allerorten abgesagt

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