Guenzburger Zeitung

Sie gibt einfach nicht auf

Großbritan­nien Premiermin­isterin Theresa May bleibt auch nach der vernichten­den Niederlage im Amt. Eine Mehrheit im Parlament steht hinter ihr. Aber wie lange noch?

- VON KATRIN PRIBYL

London Theresa May mag an diesem Abend gewonnen haben. Doch allzu groß scheint die Freude bei der britischen Premiermin­isterin nicht zu sein. Sie wirkt müde, als sie im Parlament an das Pult tritt. Zuvor hat der Sprecher verkündet, dass der von Opposition­schef Jeremy Corbyn gestellte Misstrauen­santrag gegen die Regierung gescheiter­t ist. Eine Mehrheit von 325 zu 306 Stimmen der Abgeordnet­en hat May das Vertrauen ausgesproc­hen. Woraufhin die Regierungs­chefin ihre Hand in Richtung Opposition ausstreckt. Am späten Abend lädt sie in einer öffentlich­en Erklärung vor ihrem Amtssitz die anderen Parteien dazu ein, sich mit ihr zu treffen und einen gemeinsame­n Weg zu finden. Sie sehe es als ihre Pflicht an, Großbritan­nien aus der EU zu führen.

Aber tief sitzt noch die Demütigung vom Abend zuvor, als eine unerwartet große Mehrheit der Abgeordnet­en das Brexitabko­mmen abgelehnt hat. Auch der Sieg der Vertrauens­abstimmung kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die britische Regierung in ihrer bislang schwersten aller ohnehin erlebten politische­n Krisen steckt. Dementspre­chend übergießt die britische Presse die Regierung am Mittwoch mit Spott und Häme. „Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen“, fasst der Daily Mirror Mays Debakel auf der Titelseite zusammen. Das Boulevardb­latt The Sun befindet, der Deal sei „so tot wie ein Dodo“und vergleicht das Abkommen damit mit einem ausgestorb­enen Vogel.

71 Tage vor der Scheidung von Brüssel am 29. März weiß niemand auf der Insel, wie es weitergeht. Die Meinungen sind so zerfasert, dass keiner der unzähligen Lösungsvor­schläge im Parlament eine Mehrheit bekommen würde. Und Umfragen zufolge hat die Bevölkerun­g ihre Meinung kaum geändert.

Theresa May liefert am Mittwoch keine Antworten auf die Fragen der Zukunft. „Ist es nicht der Fall, dass jeder andere ehemalige Premiermin­ister, der eine Niederlage solchen Ausmaßes erlebt hätte, zurückgetr­eten wäre?“, fragt Corbyn, der auf eine Neuwahl spekuliert. Da die Regierungs­chefin in gewohnter Standfesti­gkeit nicht plant, freiwillig aus der Downing Street auszuziehe­n, hat der Labour-Chef nach der Schlappe von May keine andere Wahl als ein Misstrauen­svotum ohne eine echte Erfolgscha­nce.

Obwohl rebellisch­e Hinterbänk- ler in den konservati­ven Reihen erst im Dezember versucht haben, ihre Chefin zu stürzen, wollen die Brexit-Hardliner nicht das Risiko eingehen, dass am Ende Labour die Regierungs­geschäfte übernehmen könnte. Der lebenslang­e EU-Skeptiker Corbyn steht derweil unter massivem Druck seiner eigenen Partei, in der die Forderunge­n nach einem zweiten Brexit-Referendum immer lauter werden. Er hat das bislang stets abgelehnt. Einen vernünftig­en Plan für einen Labour-Brexit hat aber auch er nicht, sondern Cor- byn setzt darauf, dass die EU das Abschiedsp­apier nachverhan­deln werde. Was Brüssel schon mehrfach abgelehnt hat.

Die Position von May könnte schwächer nicht sein. Beobachter zeigen sich skeptisch, dass sie die kommenden Tage politisch überlebt. Doch auf die Konservati­ven wurden schon unzählige Abgesänge verfasst. Theresa May hielt durch. Am Montag muss sie dem Parlament einen Plan B präsentier­en. Wie dieser aussehen könnte, bleibt vorerst unklar. Als wahrschein­lich gilt, dass sie versuchen wird, parteiüber­greifend eine Mehrheit für einen Kompromiss zu finden, um dann bei der EU um weitere Zugeständn­isse zu bitten. Dann würde das Abkommen abermals im Parlament landen.

Auch am Mittwoch stehen Brexit-Befürworte­r und -Gegner vor dem Parlament. Es herrscht ohrenbetäu­bender Lärm, blaue EU-Flaggen flattern über ihren Köpfen. „Der Wahnsinn muss gestoppt werden“, sagt die 52-jährige Rose. „Wir ruinieren uns selbst unsere Zukunft.“Sie lebt in der Grafschaft Kent und will das Brexit-Drama nicht länger vom Sofa aus verfolgen. Sie ist wütend. Und gehört damit keineswegs zur Minderheit.

Auf der anderen Seite fühlen sich die Brexit-Anhänger von der Regierung betrogen. „Wir wollten raus aus der EU, aber mit einem Deal wie jenem von May bleiben wir Vasallen von Brüssel“, findet ein Protestier­ender, der sich als Brian vorstellt. „Wir sind eine stolze Nation“, schiebt er wie zur Erklärung nach. Und zeigt zum Parliament Square, wo die Statue von Winston Churchill trotzig gen Westminste­r blickt. Der Ex-Premier könnte als Erinnerung an die große Zeit des Vereinigte­n Königreich­s dienen. Doch auf der Insel regiert längst das Chaos.

Die Brexit-Anhänger fühlen sich betrogen

 ?? Foto: House Of Commons/PA/dpa ?? Am Tag nach der verlorenen Brexit-Abstimmung, die sie verloren hat, muss sich die britische Premiermin­isterin wieder den Fragen der Unterhausa­bgeordnete­n stellen. Was Niederlage jetzt passieren wird, kann sie aber nicht sagen.
Foto: House Of Commons/PA/dpa Am Tag nach der verlorenen Brexit-Abstimmung, die sie verloren hat, muss sich die britische Premiermin­isterin wieder den Fragen der Unterhausa­bgeordnete­n stellen. Was Niederlage jetzt passieren wird, kann sie aber nicht sagen.

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