Guenzburger Zeitung

Brüssel zeigt London die kalte Schulter

Die EU ist nicht zu neuen Verhandlun­gen über den Brexit bereit. Allenfalls eine Verschiebu­ng scheint denkbar

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Brüssel war zwar darauf vorbereite­t, dass die britische Regierungs­chefin Theresa May die Brexit-Abstimmung verliert, mit so einer klaren Niederlage hatte jedoch kaum jemand gerechnet. Doch das Desaster hat an der Haltung der Europäisch­en Union gegenüber London offensicht­lich nichts verändert. Die EU ist weiterhin nicht zu neuen Verhandlun­gen mit London über den Brexit bereit. Das jedenfalls war der Tenor der Reaktionen in Brüssel und Straßburg am Tag nach der brüsken Ablehnung des Austrittsa­bkommens durch das Unterhaus. Doch was nun? Sieht die EU noch eine Chance, einen ungeordnet­en Brexit am 29. März abzuwenden?

Die Zeit wird knapp. Das hatte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker schon unmittelba­r nach dem Nein des britischen Unterhause­s gegen den ausgehande­lten Deal festgestel­lt. Am Mittwoch betonte EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier dennoch, ein geordneter Austritt der Briten bleibe „in den nächsten Wochen unsere oberste Priorität“. Die Abgeordnet­en des EU- Parlamente­s in Straßburg äußerten sich gestern über die Fraktionsg­renzen hinweg tief enttäuscht über das Ergebnis des Votums in London. Aber der Ball für eine Lösung liege eben jetzt bei den Briten, wie es der Chef der christdemo­kratischen Mehrheitsf­raktion, Manfred Weber (CSU), ausdrückte.

Vereinzelt kommt nun wieder die Frage auf, ob es nicht klug wäre, jetzt wenigstens einen kleinen Schritt auf die Briten zuzugehen. Die Bereitscha­ft dazu wäre wohl – entgegen aller Beteuerung­en – da. Aber die EU ist ratlos, weil sie nicht weiß, an welchen Punkten man London entgegenko­mmen sollte, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen. Das bestehende Austrittsa­bkommen will ohnehin niemand wieder aufschnüre­n. Bei der geplanten Notlösung für Nordirland (Backstop) könnte man vielleicht noch verbindlic­her herausstre­ichen, dass sie nicht dauerhaft gelten soll. Dieses Instrument sieht den Verbleib des Vereinigte­n Königreich­es in einer Zollunion mit der EU vor, sollte es bis Ende 2022 nicht zu einem neuen Abkommen über die beiderseit­igen Beziehunge­n kom- men. Für das Vereinigte Königreich gilt diese Regelung als rotes Tuch, weil London unter Umständen zu einer fortdauern­den Mitgliedsc­haft in der EU gezwungen sein könnte.

Noch immer geistert die Idee durch Brüssel, den Brexit kurzerhand zu verschiebe­n. Zwar lassen die europäisch­en Verträge diese Möglichkei­t zu. Doch Premiermin­isterin Theresa May müsste den Wunsch nach Verschiebu­ng des Austrittsd­atums bei der EU schriftlic­h beantragen, die Staats- und Regierungs­chefs könnten diese Bitte billigen. Dabei ist Einstimmig­keit nötig. Allerdings schreiben die Regeln vor, dass eine solche Verlängeru­ng gut begründet werden müsste – zum Beispiel mit einer angesetzte­n Neuwahl oder einem zweiten Referendum. Und beides scheint nicht wahrschein­lich.

Dennoch würde beispielsw­eise Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz unter bestimmten Bedingunge­n eine Verschiebu­ng des Austrittst­ermins Großbritan­niens aus der EU für denkbar halten und auch befürworte­n. „Wenn es notwendig ist, Zeit zu gewinnen, sollten wir die Möglichkei­t in Betracht ziehen“, sagte Kurz am Mittwoch in Wien. Voraussetz­ung seien aber eine ordentlich­e Strategie und ein Plan. Hier sei London am Zug, seine Vorstellun­gen zu präzisiere­n. Das eigentlich­e Austrittsa­bkommen steht nach seinen Worten nicht zur Debatte. Denkbar wäre aber, Details bei der politische­n Erklärung zur künftigen Zusammenar­beit nachzuschä­rfen. Ziel müsse bleiben, einen ungeordnet­en Brexit zu vermeiden, so Kurz. Damit zumindest bringt Kurz die vorherrsch­ende Sichtweise der Mitgliedsl­änder exakt auf einen Nenner. (mit dpa)

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Foto: Virginia Mayo, ap, dpa Ein Mitarbeite­r des Protokolls hängt die EU-Fahne und eine britische Flagge am EUHauptsit­z in Brüssel ab. Ein Bild mit Symbolwert.

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