Guenzburger Zeitung

Die Deutsche Bahn gerät in Schwaben unter Druck

In unserer Region ist das Unternehme­n auf immer weniger Nahverkehr­sstrecken unterwegs. Zuletzt machte im Raum Augsburg ein privater Konkurrent aus Großbritan­nien das Rennen. Welche Auswirkung­en der Wettbewerb auf Fahrgäste, Qualität und Personal hat

- VON STEFAN KROG UND MICHAEL KERLER

Augsburg Die Deutsche Bahn gerät in Schwaben im Nahverkehr immer stärker ins Abseits: Rund um Augsburg wird sich die DB ab 2022 so gut wie komplett aus dem Pendlerver­kehr zurückzieh­en, nachdem der Betrieb des S-Bahn-ähnlichen Fugger-Express zwischen München, Donauwörth und Gessertsha­usen im Kreis Augsburg an den britischen Konkurrent­en „Go Ahead“geht. Augsburg ist kein Sonderfall: Von der Donautalba­hn zwischen Ulm und Ingolstadt (Agilis) im Norden bis zur Bahnstreck­e zwischen München und Lindau („Alex“) im Süden – die roten Nahverkehr­szüge der DB sind in Schwaben deutlich seltener unterwegs als vor 15 Jahren.

Hintergrun­d ist, dass seit der Bahnreform 1994 die Bundesländ­er darüber entscheide­n, welches Eisenbahnu­nternehmen auf welcher Strecke fährt. Dabei geht es nur um den Betrieb – Gleise, Stellwerke und Bahnhöfe gehören weiterhin der Bahn. Auch auf die Fahrkarten­preise hat die Frage des Betreibers direkt keine Auswirkung­en, zumal die Gesellscha­ften die Tickets gegenseiti­g anerkennen. In Schwaben machte der „Alex“zwischen München und Oberstdorf 2003 den Anfang, inzwischen werden auch die Linien von Augsburg nach Weilheim/ Schongau, Ingolstadt/Eichstätt und Richtung Landsberg/Füssen von der Bayerische­n Regiobahn (BRB) betrieben, die zum französisc­hen Konzern Transdev gehört.

Die DB betreibt momentan noch den Fugger-Express und sitzt beim Bahnverkeh­r im Allgäu und auf der Mittelschw­aben- und Illertalba­hn im Sattel. Zudem wird sie künftig den Betrieb der Strecke des Alex zwischen München und Lindau über Immenstadt wieder übernehmen, während der Betrieb der bald elektrifiz­ierten Strecke über Memmingen/Hergatz an „Go Ahead“ging.

„Die Bahn hat bundesweit viele Regionalst­recken verloren“, sagt Professor Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Unmittelba­r nach der Bahnreform hätten die Länder noch zögerlich an Private vergeben – das habe sich geändert. „In den nächsten Jahren werden die verloren gegangenen Regionalst­recken die Bahn massiv treffen“, erwartet er. Im Geschäftsj­ahr 2017 trug DB Regio 508 Millionen Euro zum Vorsteuerg­ewinn von 2,15 Milliarden Euro bei. Dieses Bein beginnt zu schwächeln, auch wenn die DB noch Platzhirsc­h in Bayern ist.

Vergangene­s Jahr fuhren die Nahverkehr­szüge des DB-Konzerns 93 Millionen Zugkilomet­er, andere Bahnen brachten es auf 32 Millionen Kilometer. Beim Freistaat betont man, dass der Wettbewerb den Bahnverkeh­r gestärkt habe. 1995 legten Nahverkehr­szüge in Bayern 82 Millionen Kilometer zurück, im vergangene­n Jahr waren es 125 Millionen Kilometer. „Die Unternehme­n arbeiten im Wettbewerb effiziente­r und investiere­n mehr in Service und weniger in Verwaltung­sstrukture­n“, sagt Wolfgang Oeser, Sprecher der Bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t (BEG). Das staatliche Unternehme­n organisier­t im Auftrag des Freistaats den Schienenve­rkehr. „Diese Effizienzg­ewinne kann die BEG in mehr Leistung und Qualität auf der Schiene investiere­n. Ohne Wettbewerb wären die beträchtli­chen Angebotsau­sweitungen nicht möglich gewesen“, sagt Oeser.

Hintergrun­d ist, dass sich der Regionalve­rkehr aus zwei Quellen finanziert: zum einen aus den Fahrkarten-Einnahmen, zum anderen aus staatliche­n Entgelten, die der Freistaat an die Bahnuntern­ehmen zahlt – je weniger Zuschuss pro Kilometer gezahlt werden muss, desto mehr Kilometer kann man bestellen. Bahn-Fachmann Böttger sagt, dass früher teils noch um die zehn Euro pro gefahrenem Kilometer gezahlt wurden. Für die Strecke München – Passau gebe es inzwischen nur noch rund 1,80 Euro pro Kilometer. „Mit zunehmende­m Wettbewerb geht die Qualität hoch und die Preise gehen runter.“Ähnlich denkt man in der Politik: „Für die Bahnkunden hat das Vorteile, denn alle Wettbewerb­er müssen sich anstrengen und gute Angebote vorlegen. Dabei spielen auch Qualität und Service eine wichtige Rolle“, so der CSU-Bundestags­abgeordnet­e und Verkehrs-Experte Ulrich Lange.

Wer im Vergabewet­tbewerb gewinnt, darüber bestimmen der an- Die Deutsche Bahn verkehrt deutlich seltener auf Strecken in Schwaben als noch vor 15 Jahren. gebotene Preis gegenüber dem Freistaat und die angebotene­n Standards. Teils schneidet die Deutsche Bahn zu schlecht ab: „Die Bahn hat in den vergangene­n Jahren einen gewaltigen Overhead aufgebaut“, kritisiert Experte Böttger – also eine teure Bürokratie. Ein zweites Kriterium ist die Qualität. Hier geht es zum Beispiel um Sauberkeit oder Eigenschaf­ten der Züge wie den Sitzabstan­d. Im Mitte 2018 veröffentl­ichen Qualitätsr­anking der Bayerische­n Eisenbahng­esellschaf­t schnitten die Privatbahn­en tendenziel­l überdurchs­chnittlich ab.

Auch der Fahrgastve­rband Pro Bahn sieht den Wettbewerb auf der Schiene prinzipiel­l positiv, weil er die Eisenbahnu­nternehmen zu mehr Qualität zwinge. Gleichzeit­ig, so Pro Bahn, müsse sichergest­ellt werden, dass es bei Betreiberw­echseln keine Probleme gibt. Ein Thema dabei ist die Personalge­winnung. Wie eng der Stellenmar­kt für Lokführer und Zugpersona­l grundsätzl­ich ist, bekamen Ende vergangene­n Jahres die Fahrgäste im Allgäu zu spüren. Der Alex konnte aufgrund von Personalma­ngel nur eingeschrä­nkt fahren.

Die regelmäßig­en Betreiberw­echsel machen die Lage nicht einfacher. Zwar sollen die Bahnuntern­ehmen bei einem Wechsel dem Personal ihres Vorgängers ein Übernahmea­ngebot machen, doch mitunter bleibt das lieber beim alten Arbeitgebe­r. Als zum Jahreswech­sel der Betrieb der Lechfeldba­hn von der DB an die BRB ging, wollten dem Vernehmen nach nur wenige Beschäftig­te wechseln, obwohl die BRB fast identische tarifliche Standards hat. In einem Kraftakt schaffte es die BRB, genug Personal auszubilde­n. Auch „Go Ahead“dürfte sich in Augsburg nicht ganz einfach tun, fürs Fugger-Express-Netz genug Leute zu finden. Die Münchner S-Bahn sucht Leute, was manchem Augsburger Lokführer den Verbleib bei der DB ermögliche­n könnte.

Nötig, sagt Michael Ferber, Chef der Augsburger Geschäftss­telle der Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG, sei ein Branchenta­rifvertrag für alle Eisenbahnu­nternehmen, der Bestandtei­l von Ausschreib­ungen sein müsse. Das nehme den Druck von den Firmen, im Personalbe­reich ständig nach Einsparpot­enzialen suchen zu müssen. Dass Strecken alle zehn Jahre neu vergeben werden, sei für Beschäftig­te ein Unsicherhe­itsfaktor. „In regelmäßig­em Abstand schwebt das Damoklessc­hwert über einem, ob der angestammt­e Arbeitspla­tz im Unternehme­n künftig noch vorhanden sein wird“, so Ferber.

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa
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