Guenzburger Zeitung

„Goldfinger“: Wie Reiche sich arm rechnen wollten

Münchner Anwälte und Berater denken sich ein Steuerspar­modell aus. 100 Millionäre lassen sich darauf ein. Nun sind 19 Beteiligte angeklagt. Denn die Augsburger Staatsanwa­ltschaft hält das Konstrukt für illegal. Die Verteidige­r sind sauer

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg/München Die Augsburger Staatsanwä­ltin staunte nicht schlecht, als sie zur Adresse der Goldhandel­sfirma kam. Sie war in einem englischen Country Club gelandet, statt einer Firma stand sie vor einem Reitstall. Zwar stellte sich heraus, dass über dem Stall tatsächlic­h ein Büro war. Doch das sah nicht so aus, als ob jemand darin arbeiten würde. Die Sache war verdächtig.

Das war vor mehr als einem Jahr. Inzwischen ist klar, dass die Ermittleri­n ein Verfahren in Gang gebracht hat, das dem Staat am Ende zig Millionen Euro und vielen Menschen eine Gefängniss­trafe einbringen könnte. Und dem Landgerich­t Augsburg eine Menge Arbeit.

Bei der Staatsanwa­ltschaft tauften sie das Ermittlung­sverfahren rasch „Goldfinger“– nach dem bekannten dritten James-Bond-Film. Die nüchternen Juristen beweisen bei derlei Bezeichnun­gen oft überrasche­nden Witz. Die Ermittler gehen in diesem sehr großen Fall dem Verdacht nach, dass an die 100 Reiche zwischen 2009 und 2016 mittels eines speziellen Konstrukte­s hunderte Millionen Steuern am Fiskus vorbeigesc­hleust haben. Den Namen „Goldfinger“bekam die Masche, weil sich die Spitzenver­diener zur Erzeugung steuerlich­er Verluste häufig einer eigens dafür gegründete­n Goldhandel­sfirma im Ausland bedienten.

Wie ein Insider berichtet, sollen in der Hochphase des „Goldfinger“-Modells ganze Lufthansa-Flieger voll mit „Steuerspar­ern“morgens nach London geflogen sein. Sie nahmen ein Taxi, gingen schön Essen und am Abend ging es wieder zurück nach Deutschlan­d. Zweck der Reise laut Staatsanwa­ltschaft: Gegenüber dem Fiskus sollte mittels Flugticket, Taxi-Rechnung und Essens-Quittung der Anschein einer echten Geschäftst­ätigkeit erweckt werden. Die Augsburger Staatsanwä­ltin ermittelte vor Ort in England, um herauszufi­nden, ob es sich bei den Goldhandel­sfirmen um Briefkaste­ngesellsch­aften handelt.

Erdacht worden sein soll dieses Steuerspar­modell von einigen Rechtsanwä­lten und Beratern aus München. Sie waren offenkundi­g der Ansicht, dass es legal ist. Viele Wirtschaft­skanzleien und Steuerbera­ter beschäftig­en sich intensiv damit, günstige Steuermode­lle für reiche Mandanten zu entwickeln. Oft geht es gut, weil die Juristen sauber gearbeitet haben und ihre Ideen rechtlich zulässig sind. Manchmal aber geht es schief – weil die Spezialist­en einen Fehler gemacht haben oder in seltenen Fällen absichtlic­h die Grenzen des Rechts überschrei­ten.

Beim „Goldfinger“-Modell war es so, dass der Gesetzgebe­r über Jahre hinweg ein Schlupfloc­h gelassen hatte. Vor allem bei Einkommens­millionäre­n war dieser Trick beliebt, sie konnten ihre Steuerlast damit massiv drücken. Doch seit 2013 ist die Steuerverm­eidung über dieses Modell verboten. Der Bundesfina­nzhof in München hatte 2017 allerdings zwei spezielle „Goldfinger“-Modelle unter bestimmten Voraussetz­ungen als zulässig akzeptiert.

Vereinfach­t ausgedrück­t funktionie­rt „Goldfinger“so: Die Goldhandel­sfirma musste in einem Land gegründet werden, mit dem Deutschlan­d ein Doppelbest­euerungsab­kommen hat. Auf diese Weise konnten Verluste beim Ankauf von Gold in Deutschlan­d steuerlich geltend gemacht werden. So wurden Einkünfte aus dem Verkauf des Goldes im Jahr darauf steuerlich kompensier­t. Die Steuerlast konnte massiv gedrückt werden. Im besten Fall konnte im ersten Jahr der Steuersatz auf null Prozent gesenkt werden. Im nächsten Jahr erhöhte sich der Steuersatz nur minimal, weil der Betroffene ohnehin nahe am Spitzenste­uersatz lag.

Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft ist der Ansicht, dass es sich bei dem Modell der Münchner Anwälte und Berater um ein illegales Konstrukt handelt – vor allem deshalb, weil es gar nicht mit Leben erfüllt war. Vor einem Jahr starteten die Ermittler eine riesige Razzia im gesamten Bundesgebi­et sowie in Österreich und der Schweiz. 30 Staatsanwä­lte, über 800 Beamte verschiede­ner Steuerfahn­dungsstell­en und Polizisten waren im Einsatz. Schwerpunk­t war Süddeutsch­land. Massenhaft Unterlagen wurden sichergest­ellt. Sieben Initiatore­n und Betreiber des Modells wurden sogar verhaftet. Einer am Münchner Flughafen bei der Rückkehr aus der Karibik.

Ein Jahr später sind alle Beschuldig­ten wieder frei, sechs davon auf Kaution. Doch die Ermittler sehen sich durch ihre Arbeit und die Auswertung von Dokumenten bestätigt. In einem ersten Schritt haben sie jetzt 19 Personen angeklagt, die im Zentrum der Affäre stehen. Das sind vor allem Rechtsanwä­lte und Berater aus München, die das Modell aufgesetzt und teils an ihre reichen Mandanten vertrieben haben sollen. Eine der betroffene­n Kanzleien hat ihren Betrieb inzwischen eingestell­t. Auch drei Augsburger Unternehme­nsgründer sind angeklagt, die das Modell genutzt haben. Sie werden von David Hermann, Florian Engert und Nicole Lehmbruck verteidigt.

Einen Termin für den ersten „Goldfinger“-Prozess gibt es noch nicht. Das Landgerich­t Augsburg muss die Anklage erst noch zur Hauptverha­ndlung zulassen. Das geschieht dann, wenn den Richtern nach einer ersten Sichtung des Falls eine Verurteilu­ng wahrschein­lich erscheint. Diese Prüfung kann aber noch dauern. Denn zuständig für die Anklage ist die 10. Strafkamme­r, die eben noch als „Liebeskamm­er“von sich reden gemacht hat, weil der Vorsitzend­e Richter und eine Beisitzeri­n liiert sind. Sie hatten deswegen in einem Steuerhint­erziehungs­prozess eine Reihe von Befangenhe­itsanträge­n kassiert. Diese Wirtschaft­sstrafkamm­er bekommt bald einen neuen Vorsitzend­en. Erst dann wird sie sich richtig mit dem „Goldfinger“-Verfahren befassen, das sie über Jahre hinweg beschäftig­en dürfte. Einfach wird es auch nicht.

Die Crème de la Crème an Wirtschaft­sstrafvert­eidigern ist versammelt, darunter bekannte Namen wie Thilo Pfordte, der auch Ex-AudiChef Rupert Stadler vertritt, Prof. Eckart Müller und Florian Ufer. Vieles spricht jetzt schon dafür, dass der Fall beim Bundesgeri­chtshof landen wird. Auch der Zeitpunkt der Anklage-Erhebung macht bereits Ärger. Die Verteidige­r sind sauer. Denn die Betroffene­n erhielten das 180-Seiten-Schriftstü­ck unmittelba­r vor Weihnachte­n. Eigentlich gibt es eine Art Gentlemen’s Agreement, dass so etwas nicht passieren sollte. Doch von Gentleman James Bond hat das Verfahren eben nur seinen Namen.

Die Goldhandel­sfirma hatte ihren Sitz über einem Stall

 ?? Foto: Bas Czerwinski, dpa ?? Das Steuerstra­fverfahren gegen rund 120 Anwälte, Berater und Millionäre trägt bei der Augsburger Staatsanwa­ltschaft den Namen „Goldfinger“– nach dem James-BondFilm. Im Bild sehen Sie eine nachgestel­lte Szene, in der eine Frau mittels „Vergoldung“getötet wurde. Das Foto stammt aus einer Ausstellun­g.
Foto: Bas Czerwinski, dpa Das Steuerstra­fverfahren gegen rund 120 Anwälte, Berater und Millionäre trägt bei der Augsburger Staatsanwa­ltschaft den Namen „Goldfinger“– nach dem James-BondFilm. Im Bild sehen Sie eine nachgestel­lte Szene, in der eine Frau mittels „Vergoldung“getötet wurde. Das Foto stammt aus einer Ausstellun­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany