Beschädigte Kindheit
Jugendbuchautorin Mirjam Pressler ist tot
Augsburg „Es gibt einfach Situationen, in denen man einem Kind keinen anderen Rat geben kann, als möglichst schnell erwachsen zu werden,“sagte Mirjam Pressler, eine der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen deutscher Sprache. Dieser harte Satz gründete in eigenem Erleben: Als uneheliche Tochter einer Jüdin 1940 in Darmstadt geboren, wuchs sie zunächst in einer Pflegefamilie, dann in einem Kinderheim auf. Scham, Trauer und Leid kannte sie nur zu gut. Frei machen davon konnte sie sich durch das Lesen. „Durch Bücher kann man eine Strategie für sein eigenes Leben aufbauen, vor allem aber lernt man auch, dass man nicht selbst schuld an den Umständen ist“, sagte sie einmal im Gespräch mit dieser Zeitung.
So wurde die „beschädigte Kindheit“, die Selbstbehauptung gegen Lieblosigkeit, Einsamkeit und existenzielle Bedrohung das große Thema der Mirjam Pressler. Schon in ihrem Erstlingswerk „Bitterschokolade“(1980), in dem die dicke Eva ihren Kummer in sich hineinfrisst, fand sie dafür einen eigenen Ton: nah an der Realität, schnörkellos und direkt, dabei unglaublich intensiv und berührend.
Zum Schreiben kam Mirjam Pressler erst mit 40 Jahren, als sie, getrennt von ihrem Ehemann, drei Töchter durchbringen musste. Weil die Einkünfte als Jeansverkäuferin, Taxifahrerin und Bürokraft im teuren München nicht reichten, schrieb sie nachts noch Geschichten. Der mit 10 000 D-Mark dotierte Oldenburger Kinderbuchpreis für „Bitterschokolade“kam da gerade recht. Über 50 Bücher für junge Leser hat Mirjam Pressler in der Folge verfasst, darunter großartige Literatur wie wie „Novemberkatzen“und „Malka Mai“. Viele Preise erhielt sie, allein drei mal wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
In besonderer Weise beschäftigte sie sich mit der im Konzentrationslager umgekommenen Anne Frank. Deren Tagebücher machte sie deutschen Lesern zugänglich (1988) und schrieb auch danach noch oft über das Mädchen und dessen Familie, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nationalsozialisten verstecken musste. Einen Namen machte sich Pressler auch als Übersetzerin von über 400 Kinderund Jugendbüchern sowie von Erwachsenenromanen aus dem Hebräischen, Niederländischen und Englischen. Mit ihrem zweiten Mann lebte sie in Landshut. Nach langer Krankheit ist sie dort am Mittwoch 78-jährig gestorben.