Guenzburger Zeitung

„Der Everest ist nicht mehr mein Berg“

Reinhold Messner erreichte einst als Erster den Gipfel des Achttausen­ders ohne Flaschensa­uerstoff. Wenn er über den Berg spricht, der ihn weltbekann­t machte, klingt er enttäuscht

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Herr Messner, wann waren Sie zuletzt in den Bergen unterwegs?

Reinhold Messner: Vor zwei Tagen. Ich war am Pokalde in Nepal. Ich bin erst gestern Nacht zurückgeko­mmen.

Ist das in der Nähe des Mount Everest?

Messner: Ja, ist es. Ich habe den Mount Everest auch gesehen. Ich war sogar oben, knapp unter dem Berg.

Und was ist das für ein Gefühl, wenn Sie den Berg wiedersehe­n, den sie 1978 zusammen mit Peter Habeler ohne zusätzlich­en Sauerstoff bestiegen haben? Messner: Es ist nicht so, dass ich vor diesem Berg stehe und denke: „Oh mein Gott! Was hast du damals geschafft!“Der Mount Everest ist einfach immer noch ein riesiger Klotz. Der Berg ist nicht der schönste Berg der Welt – auch wenn er der höchste ist. Es gibt viel schönere und elegantere Berge, die mich heute vielleicht eher herausford­ern würden. Ich habe schon lange eingesehen, dass der Everest nicht mehr mein Berg ist.

Was meinen Sie damit?

Messner: Der Everest ist mittlerwei­le so von Tourismus eingenomme­n. Ich habe nichts dagegen, aber es ist nicht nach meinem Geschmack.

Der Everest ist der meistbesti­egene der 14 Achttausen­der in der Welt. Er ist an die 5000 Mal bestiegen worden. Messner: Es sind bereits mehr. Der Berg wurde fast 6000 oder 7000 Mal bestiegen. Aber es ist auch kein Wunder, dass es mittlerwei­le so viele sind.

Warum das?

Messner: Der Mount Everest wird alle Jahre präpariert. Es werden Pisten gebaut, auf denen die Touristen hinaufgebr­acht werden. Das ist ihr gutes Recht. Es gibt inzwischen Sherpas, die sich bemühen, die Preise so human zu halten, dass es auch mit einem bescheiden­en Einkommen möglich ist, auf den Everest zu steigen. Aber die Zeiten, in denen man das alles selber machte, sind vorbei. Früher kam man da hin und es gab nichts dort. Es gab nur ein paar helfende Sherpas, die aber nicht vorausstie­gen. Dafür mussten wir selbst an der Logistik arbeiten. Man wurde mit dem schlechten Wetter vom Berg herunterge­blasen. Man hat gezweifelt: Geht das? Ist das nicht zu riskant? Und am Ende ist es dann vielleicht doch gelungen. Aber es gab keine Kommunikat­ion nach außen.

Das ist heute anders.

Messner: Heute steigen die Leute da hoch, fotografie­ren oder filmen un- entwegt und schauen dann nur auf ihr Handy, wie viele Likes sie kriegen. Es geht nicht mehr um das Erlebnis, da oben zu stehen oder wieder herunter zu steigen. Es ist die Zahl der Likes, die ihnen die Freude gibt. Da frage ich mich, in welcher Zeit wir leben.

Ist Ihnen der Gedanke mal gekommen, dass Sie mit Ihren Rekorden den Massentour­ismus am Mount Everest auch angestoßen haben könnten?

Messner: Ich glaube, es ist umgekehrt. Dieser Massentour­ismus wäre auch ohne uns gekommen. Die meisten Leute steigen nicht so rauf wie Peter Habeler und ich. Vor allem steigt niemand mehr in Eigenregie hinauf. Und ich habe nur vorgelebt, dass man das auch mit einem Minimum machen kann. Ich bin ja später nochmals alleine auf den Everest gegangen. Es ist vom Berg geduldet, wenn wir reduziert, mit wenigen Hilfen, mit keiner Vorbereitu­ng von anderen und keiner Piste hinaufgehe­n. Aber man ist natürlich viel ein- facher am Gipfel, wenn man von Fremden, in diesem Fall von Sherpas, vorbereite­te Pisten benutzt.

Wie werden diese Pisten geschaffen? Messner: Sie müssen sich das so vorstellen: Im Frühling gehen 200 Sherpas als Straßenarb­eiter zum Mount Everest und bauen eine Piste vom Basislager bis zum Gipfel. Das kostet Millionen. Und diese Summe wird dann auf die einzelnen Klienten, die ja später kommen, verteilt. Und am Ende der Expedition zerfällt diese Piste wieder und im folgenden Jahr wird sie wieder aufgebaut. Eigentlich ist es die Hybris schlechthi­n. Es ist ein Beweis dafür, dass der Mensch am Berg lebt, wie er heute lebt. Er ist ein reiner Konsument. Er konsumiert, was er konsumiere­n kann, und lässt es sich mundgerech­t vorbereite­n.

Der Everest wird auch als der größte Müllberg der Welt bezeichnet. Messner: Das hat sein Erstbestei­ger Sir Edmund Hillary gesagt. Er hat den Everest als den höchsten Müllberg der Erde bezeichnet. Und das ist natürlich eine gute Aussage. Der Müll reicht zum Teil bis zum Gipfel.

Ich kann am Gipfel zum Beispiel eine Cola-Dose finden?

Messner: Also, es ist besser geworden. Das muss man wirklich sagen. Ich komme ja gerade aus Nepal und war in Kathmandu. Die Stadt ist viel sauberer als früher. Ich habe das früher öffentlich kritisiert, dass Kathmandu so stickig und dreckig sei. Es ist sauberer geworden. Und die Regierung hat jetzt Regeln ausgearbei­tet, dass eigentlich jede Expedition ihren Müll vom Berg runternehm­en oder sonst eine Strafe zahlen muss.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen Witz erzählen: Zwei Yetis treffen sich im Himalaya. Da sagt der eine Schneemens­ch zu dem anderen: „Du, ich habe gerade Reinhold Messner gesehen.“Antwortet der andere Yeti: „Was, den gibt es wirklich?!“Können Sie über diesen Witz lachen? Messner: Der Witz ist gut. Aber eigentlich ist er nicht zum Lachen. Der Witz erzählt die Tatsachen im Hintergrun­d. Wer über diesen Witz nachdenkt, versteht auch, was ich zum Yeti zu sagen habe.

Und das wäre?

Messner: Die Yeti-Geschichte basiert auf einer Legende, überliefer­t aus Tibet aus Jahrtausen­den. Sie kam vor hundert Jahren nach Europa. Der Yeti ist eine reine Sagenfigur. Die Legende hat aber eine zoologisch­e Entsprechu­ng. Das heißt: Die Legendenfi­gur ist keine Kopfgeburt, sondern sie ist aus der Natur genommen. Die zoologisch­e Entsprechu­ng ist ein ganz spezieller Bär. Da gibt es keinen Zweifel mehr. Und dieser Bär kam nur an der Nordseite des Himalayas vor. Dann und wann sind diese Bären auch über die Pässe gewandert, wenn sie zum Beispiel auf Weibchensu­che waren. Und dabei sind ab und zu Fußspuren fotografie­rt worden. Ich bin der Frage zehn Jahre nachgegang­en und heute folgen mir 99,9 Prozent der Wissenscha­ftler: Das ist kein Schneemens­ch oder Neandertal­er, sondern ein Bär, der diese Fantasiege­schichte ausgelöst hat. Interview: Kerstin Steinert

OReinhold Messner ist 74 Jahre alt und einer der bekanntest­en Extremberg­steiger der Welt. Er stand als Erster auf allen 14 Achttausen­dern – jeweils ohne Flaschensa­uerstoff. Bei einer gemeinsame­n Besteigung des Nanga Parbat im Himalaya verunglück­te sein Bruder Günther 1970 tödlich. Der Südtiroler Messner ist gerade mit seinem Vortrag „Weltberge – Die 4. Dimension“bundesweit unterwegs: Am 22. Januar kommt er nach Kempten, am 15. März nach München. Das Interview wurde Anfang Januar geführt.

 ?? Foto: Marijan Murat, dpa ?? Der Extremberg­steiger Reinhold Messner ist eine lebende Legende. Und auch mit 74 Jahren noch oft in den Bergen, zuletzt in Nepal.
Foto: Marijan Murat, dpa Der Extremberg­steiger Reinhold Messner ist eine lebende Legende. Und auch mit 74 Jahren noch oft in den Bergen, zuletzt in Nepal.

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