Guenzburger Zeitung

Ein Spiel, das von den Sitzen reißt

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

Zu den vielen Eigenschaf­ten, die der Handball neben seiner Dynamik und dem Raum, den er der Kunst gewährt, besitzt, gehört auch, dass Spiele nie 0:0 enden. Zugegeben, dieses Ergebnis ist nicht zufällig gewählt, sondern absichtsvo­ller Angriff auf den Fußball, der alles im Land beherrscht und die Konkurrenz medial zu Randsporta­rten degradiert. Das gilt auch für den Handball, der jenseits von Europa- und Weltmeiste­rschaften nur ein regionales Phänomen ist – ein Prinz in der Provinz.

In diesen Tagen aber ist Deutschlan­d WM-Gastgeber und Handball-König. Das mag in den ersten Runden noch nicht allerhöchs­tes Niveau beschert haben, weil, ähnlich wie im Fußball, eine WM in ihrer Breite weniger Qualität versammelt als eine EM und Partien vom Schlage Angola gegen Ägypten niemanden von den Sitzen reißen. Spätestens mit den Spielen der Deutschen gegen die alte Macht Russland und Weltmeiste­r Frankreich fesselt die WM den Zuschauer aber ans Sofa.

Ein wenig ist es in diesen Tagen wie an Abenden mit FußballCha­mpions-League – nur spannender. Das spricht sich herum. Über acht Millionen Zuschauer bei den letzten beiden deutschen Spielen – und in Berlin steht die Halle kopf. Handball geht an die Nerven. Man kann oft nicht mehr hinsehen – und mag trotzdem die pralle Blase nicht leeren. Erst recht nicht, wenn es dem Ende zugeht. Es scheint, als folge das Spiel einer inneren Gesetzmäßi­gkeit. Mag eine Mannschaft kurz vor Schluss noch klar in Führung liegen – je weniger Spielzeit bleibt, umso enger rücken die Ergebnisse zusammen. Das ist dann kaum mehr auszuhalte­n, weshalb sich der strapazier­te Zuschauer zum Luftholen ein paar Augenblick­e Fußball-0:0 wünscht.

Die deutsche Mannschaft hat zuletzt ein besonderes Händchen für solche Dramatik entwickelt. Dass sie gegen Russland und Frankreich, trotz der beiden Unentschie­den, als gefühlter Verlierer vom Platz ging, muss niemanden grämen. Es zeigt viel mehr, dass sie hingebungs­voll und mitreißend­en Handball geboten hat, den Sieg verdient hätte und die Qualität für den WM-Titel besitzt. Am Wochenende kehrt zwar die FußballBun­desliga zurück. Gegen Handball in seiner aktuellen Form wird sie um ihren Stammplatz vor den deutschen Sofas kämpfen müssen.

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Foto: dpa Nicht zu fassen: Torhüter Andreas Wolf ärgert sich über verpassten Sieg gegen Frankreich.
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