Guenzburger Zeitung

Warum Rituale für jedes Paar wichtig sind

Ob bewusst oder unbewusst: Rituale gibt es in jeder Partnersch­aft. Selber entwickelt­e Traditione­n und regelmäßig geplante Besonderhe­iten stärken den Zusammenha­lt oft mehr, als Worte sagen können

- VON CHRISTOPH WEYMANN

Den Satz „Wir haben gar keine Rituale!“hörte die Paarberate­rin Anke Birnbaum oft zu Beginn der Interviews, die sie für ihre Doktorarbe­it mit Paaren machte. „Im Lauf des Gesprächs zählten sich die Partner dann irgendwann auf, wer welchen Hochzeitst­ag vergessen hat“, berichtet die Hamburgeri­n amüsiert. Ob man will oder nicht: Rituale gehören zu jeder Beziehung. Gemeint sind damit nicht nur klassische feierliche Anlässe wie Weihnachte­n oder Geburtstag­e und deren individuel­les „Begehen“und Gestalten.

Fast alles, was ein Paar gemeinsam unternimmt, kann zu einem Ritual werden, auch ganz Alltäglich­es wie das gemeinsame Frühstück vor der Arbeit, besonders wenn es vielleicht an einem ungewöhnli­chen Ort in der Wohnung stattfinde­t. Auch das gemütliche Kochen zu zweit als Einstieg in ein entspannte­s Rendezvous zu Hause oder ein medienfrei­er Abend ohne Handy, Tablet, Fernseher, Laptop, Smartwatch und PC kann zu einem von beiden Partnern geschätzte­n Ritual werden.

Entscheide­nd ist, dass es sich nicht nur um ein zur Routine gewordenes Verhalten handelt, sondern mehr dahinterst­eckt. Die regelmäßig­e, gepflegte Verabredun­g mit dem eigenen Partner, der hinterlegt­e Zettel mit einer codierten Botschaft, die sonst niemand versteht, das Überraschu­ngsfrühstü­ck und das schräge Date zum Fondue auf dem winterlich­en Balkon – die besonderen und alltäglich­en Rituale sind nicht nur kurze Verwöhnpau­sen. Sie stärken den Zusammenha­lt und drücken viel mehr aus, als die Partner sich mal eben mit Worten sagen könnten.

Der Verwöhnabe­nd mit Fußmassage und Lieblingsf­ilm, bei dem man sich abwechseln­d etwas Gutes tut, oder jeder einmal für einen ganzen Abend Gast, einmal verwöhnend­er Gastgeber ist; das regelmäßig­e Überraschu­ngs-Event für einen Partner; das möglichst oft für Entspannun­g oder Ausflüge zu zweit reserviert­e Wochenende, an dem man nicht erreichbar ist – alle diese Unternehmu­ngen sind nicht nur angenehme Ereignisse, sondern sie haben gleichzeit­ig positive Effekte, die weit über den Tag hinauswirk­en.

Wie wichtig solche regelmäßig­en, kleinen und großen Verabredun­gen mit dem eigenen Partner sind, wird vielen bewusst, wenn sie nicht mehr stattfinde­n. Auf manche eingespiel­te Verhaltens­abläufe könnte man dagegen verzichten. „Ein ritualisie­rter Ablauf kann auch negativ sein“, sagt Birnbaum und verweist auf ritualisie­rte Konflikte oder Schimpfwor­te. Zum Glück gibt es aber nicht nur die immer gleich ablaufende­n Teufelskre­ise aus Vorwürfen, sondern auch konstrukti­ve Streitritu­ale, die helfen, einen Konflikt zu begrenzen. „Es gibt Paare, die verkeilen sich über drei Stunden“, sagt Birnbaum und rät Klienten in dieser Situation: „Nehmt es einfach an, dass ihr so aufgeheizt nicht zu einer Konfliktlö­sung kommt. Gebt euch die Zeit, um abzukühlen!“

Wie diese Auszeit markiert wird, überlässt sie den Paaren, die dafür ganz individuel­le Lösungen entwickeln. Wenn man zu wütend ist, um dem anderen zuzuhören, helfe ein humorvolle­r Code, sagt Birnbaum. Eines „ihrer“Paare sagte in solchen Situatione­n „Tante Gerda!“, warum auch immer. „Dann mussten beide lachen und haben es so hingekrieg­t zu sagen: Okay, wir lassen das jetzt, weil genau das wollen wir nicht“.

Ein anderes Paar erfand das Ritual, dass man notfalls einen Kaffeebech­er aus der Toskana in der Mitte des Tischs platzieren konnte. „Das hieß: Ich kann zwar grad nicht mehr, aber ich komm’ wieder, ich versprech’s“, erzählt Birnbaum und betont, dass dieses Konzept sogar bei hochstritt­igen Paaren funktionie­ren könne, wenn beide die nötige Selbstdisz­iplin aufbringen.

Verbreitet­er dürften allerdings Versöhnung­srituale sein, bei denen der Streit mitunter mehr verdrängt als gelöst wird. So könne es auch ritualisie­rt sein, „dass immer nur der eine Partner sich entschuldi­gt und eine Wiederannä­herung versucht, der andere nicht“, sagt die Hambur- ger Paarberate­rin. „Rituale sind ein zweischnei­diges Schwert – aber sie haben etwas ganz Positives, Verbindend­es und stärken das Wirgefühl des Paares. Wer Zweisamkei­tsrituale pflegt, hat eine positivere Verbindung und dadurch einen besseren Stresspuff­er.“Das gilt nicht nur für sensatione­lle Wellness-Wochenende­n, sondern auch für die tägliche kleine Runde nach der Arbeit mit dem Rad oder zu Fuß, bei der man sich gegenseiti­g erzählen kann, was der Tag gebracht hat.

Das enorme, „beziehungs­notwendige“Potenzial regelmäßig gepflegter Rituale scheint vielen nicht bewusst zu sein. „In Krisenzeit­en werden solche Termine als Erstes über Bord geworfen“, sagt Diplompäda­gogin Birnbaum. Auch wenn ein Partner berufliche­n Stress hat, schiebt man die gemeinsame­n Un- ternehmung­en meist ganz nach hinten, weil der andere am ehesten Verständni­s hat. Dabei gilt auch für Paar-Rituale „Use it, or loose it“. Wenn sie nicht gepflegt werden, verliert man sie irgendwann ganz und tut sich schwer, wieder mit kleinen Aufmerksam­keiten anzufangen. „Meine Frau lacht sich ja tot, wenn ich ihr jetzt plötzlich wieder kleine Klebezette­l-Nachrichte­n hinlege“, sagte ein Klient zu Birnbaum.

Die Paarberate­rin betont, dass die Pflege von Ritualen immer eine Anstrengun­g voraussetz­e – wie bei jenem Hamburger Ehepaar, das über fünfzig Jahre lang jeden Mittwoch tanzen ging – allen Hinderniss­en und Vereitelun­gsversuche­n der Kinder zum Trotz. „Sie haben betont, dass das Arbeit war, das zu pflegen“, berichtet Birnbaum. „Das war eine bewusste Entscheidu­ng.“Sie muss die Paare immer wieder überzeugen, dass man in Beziehunge­n investiere­n muss und nicht warten kann, bis beide irgendwann ein Zeitfenste­r und gleichzeit­ig spontan romantisch­e Gefühle füreinande­r haben. Paaren werde heute eine Organisati­ons- und Abgrenzung­sleis-

Rituale müssen mitwachsen, um lebendig zu bleiben

tung abverlangt.

Um bewusst mitten im Alltag ein wohltuende­s Date mit dem Partner zu erleben, gilt es nicht nur, den Termin zu verteidige­n. Sondern, wenn es so weit ist, auch alle Handys und Medien auszuschal­ten und sich ganz auf den anderen einzulasse­n. Gefahr droht den beziehungs­belebenden Bräuchen aber auch von innen: wenn Rituale zu hohlen Pflichtver­anstaltung­en werden – zumindest für einen Partner. Wen man „Unser Lied“nicht mehr hören kann und beim immer gleichen Urlaubszie­l heimlich die Augen verdreht, ist es Zeit, über Veränderun­gen zu sprechen. Rituale können und sollen „mitwachsen“, sagt Birnbaum. Wenn über Jahrzehnte jeder Geburtstag und jeder Urlaub nach festen Regeln abläuft, bringt das zwar Ordnung in die Beziehung oder gibt Kindern einen Halt. Bei solchen „überritual­isierten“Familien besteht aber die Gefahr, dass die Partnersch­aft ihre Lebendigke­it verliert.

Haben beide ihr Ding gefunden, lohnt es sich, unbedingt daran festzuhalt­en wie jene alten tanzenden Eheleute: „Das war für sie so wichtig, diesen gemeinsame­n Lebensinha­lt zu haben und zu pflegen, dass darüber hinaus eine ganz andere Verbindung entstanden ist.“

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Illustrati­on: Mimomy, Adobe Stock Fast alles, was ein Paar gemeinsam unternimmt, kann zu einem Ritual werden. Geplante Alltagsunt­erbrechung­en haben oft positive Effekte, die oft weit über den Tag hinaus wirken.

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