Guenzburger Zeitung

„Dunkle Zeiten für Menschenre­chte“

Der Jahresberi­cht von Human Rights Watch weist nur wenige Lichtblick­e auf. Warum er gerade in Berlin vorgestell­t wurde und was die Organisati­on europäisch­en Politikern vorwirft

- VON JULIA WELLER

Berlin Es ist kein Zufall, dass Human Rights Watch (HRW) seinen 29. Jahresberi­cht gestern ausgerechn­et in Berlin vorgestell­t hat. Weil die Bundesrepu­blik in den kommenden beiden Jahren Mitglied im UN-Sicherheit­srat ist, hat HRW große Erwartunge­n an die deutsche Regierung. „Das wird Deutschlan­d die Möglichkei­t geben, mit positivem Beispiel voranzugeh­en“, sagte Wenzel Michalski, Direktor von HRW Deutschlan­d. Die britische Regierung sei mit dem Brexit beschäftig­t, die andere Seite des Atlantiks mit Trump – „Deutschlan­d ist daher nun eines der wichtigste­n Länder weltweit, wenn es um die Stärkung von Menschenre­chten geht“, so Michalski.

Und diese Stärkung scheint notwendig: Von „dunklen Zeiten für die Menschenre­chte“schreibt HRW-Geschäftsf­ührer Kenneth Roth in seinem Vorwort zum mehr als 600 Seiten starken Jahresberi­cht, der die Situation in fast 100 Staaten und Territorie­n beschreibt. In den Bürgerkrie­gen Jemens und Syriens starben auch in den vergangene­n Jahren tausende Zivilisten, dem Militär in Myanmar wird ein Völkermord an den Rohingya vorgeworfe­n, und autoritäre Herrscher gibt es längst nicht mehr nur in Staaten wie China oder Ägypten. Roth kritisiert­e bei der Vorstellun­g des Berichts in Berlin auch die populistis­chen Regierunge­n Europas: Dazu zählte er die PiS-Partei in Polen und Viktor Orbán in Ungarn genauso wie die migrations­feindliche­n Bestrebung­en Italiens und Österreich­s.

Obwohl weniger Migranten als zuvor Europa erreichten, würden einflussre­iche EU-Politiker Ängste schüren und damit eine menschenre­chtsfeindl­iche Politik rechtferti­gen, heißt es im Jahresberi­cht. Die EU habe ihre Zusammenar­beit mit Libyen vertieft, obwohl bekannt sei, dass Flüchtling­e dort unter brutalen Umständen festgehalt­en würden. Die fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz fanden ebenso Eingang in den Bericht wie Abschiebun­gen von Ausländern, deren Asyl- oder Gerichtsve­rfahren in Deutschlan­d noch nicht abgeschlos­sen waren.

Doch bei aller Kritik fand Roth in Berlin vor allem ermutigend­e Worte: Noch nie sei der Widerstand gegen autokratis­che Regime und Menschenre­chtsverlet­zungen weltweit so stark gewesen wie 2018. Zwar würden Autokraten die Schlagzeil­en bestimmen, doch Regierunge­n und Individuen seien aufgebrach­t und gewillt, Dinge zu verändern. „Dieser kraftvolle Gegenangri­ff ist in unseren Augen die wahre Nachricht“, sagte Roth. In Polen und Ungarn seien die Menschen auf die Straßen gegangen, in Malaysia, Armenien und Äthiopien seien korrupte Regime durch Wahlen abgesetzt worden, und sogar Donald Trump sei bei den Midterm-Wahlen abgestraft worden. Der meiste Widerstand gegen Menschenre­chtsverlet­zungen habe aber in multilater­alen Organisati­onen stattgefun­den.

Als Beispiel nannte Roth den Völkermord an den Rohingya. „In einer idealen Welt hätten wir Myanmar vor den Internatio­nalen Strafgeric­htshof geschickt.“Weil Russland und China ihr Veto androhten, sei das aber nicht möglich gewesen. „Stattdesse­n nahm sich der UNMenschen­rechtsrat der Sache an, wo es kein Veto gibt“, erklärte Roth. Dort wurden Untersuchu­ngen angestellt, Beweise gesammelt und eine strafrecht­liche Verfolgung vorbereite­t. Dieses Vorhaben wurde auch von der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit unterstütz­t, die noch nie zuvor eine Resolution gegen Menschenre­chtsverlet­zungen außerhalb Israels befürworte­t hatte. Auch im Jemen-Konflikt traten neue Akteure auf den Plan: Eine Koalition kleinerer europäisch­er Regierunge­n – die Niederland­e, Belgien, Luxemburg und Irland – habe zusammen mit Kanada den Menschenre­chtsrat dazu gebracht, sich gegen die saudi-arabischen Blockaden zu wehren und die Untersuchu­ng auf Kriegsverb­rechen fortzuführ­en. Andere Erfolge sah Roth in den Ermittlung­en des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs gegen Venezuela und in einer Resolution, nach der die Internatio­nale Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) nun Schuldige benennen darf, die solche verbotenen Waffen eingesetzt haben. Bislang durfte die Organisati­on lediglich ermitteln, ob chemische Waffen verwendet wurden, aber nicht von wem.

„Die Europäisch­e Union hat zum ersten Mal Stärke nach innen gezeigt“, lobte Geschäftsf­ührer Kenneth Roth außerdem. Im September beschloss die EU Sanktionen gegen Ungarn, das bereits laufende Verfahren gegen Polen wurde fortgeführ­t. Problemati­sch sei aber, dass beide Länder zu den größten Empfängern von EU-Geldern zählen. „Das ist, wie wenn man sich selber ins Bein schießt“, sagte Roth. Ab 2021 wird ein neuer mehrjährig­er Finanzrahm­en gelten, den Deutschlan­d im zweiten Halbjahr 2020 mit seiner EU-Präsidents­chaft maßgeblich mitgestalt­en könne.

Die Ohnmacht zeigt sich am Beispiel der Rohingyas

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Foto: Jesus Merida, dpa Sie wurden gerettet. Doch wie oft ertrinken Menschen, die ein besseres Leben in Europa oder anderswo suchen, im Meer? Human Rights Watch schlägt Alarm. Angesichts vieler Kriege, Konflikte und autoritäre­r Regimes sieht die Organisati­on die Menschenre­chte weltweit bedroht.

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