Guenzburger Zeitung

Attest per WhatsApp: „Das ist ärztlich nicht vertretbar“

Ein Hamburger Unternehme­n bietet einen Service an, der Mediziner entsetzt, aber viele Patienten freuen dürfte

- VON JESSICA STIEGELMAY­ER

Hamburg Haben Sie Erkältungs­Symptome wie Kopfweh, gerötete Augen oder Heiserkeit? Dann bitte noch das Alter und Ihre Kontaktdat­en angeben, wann die Beschwerde­n angefangen haben und wie lange Sie krankgesch­rieben werden möchten. Und schon kommt per WhatsApp die Nachricht vom Tele-Arzt mit der passenden Diagnose: Sie haben wohl eine Erkältung. Jetzt nur noch die Versichert­enkarte abfotograf­ieren und wenig später erhalten Sie ihr Attest. Klingt zu einfach?

Genau diesen Service bietet das Hamburger Unternehme­n AUSchein seit einigen Wochen an. Zusätzlich werden noch Risikofakt­oren überprüft und andere Erkrankung­en wie eine Grippe über ein paar kurze Fragen ausgeschlo­ssen. „Sie sind arbeitsunf­ähig wegen Erkältung und müssten daher zum Arzt? Hier erhalten Sie Ihre AU-Bescheinig­ung einfach online per Handy nach Hause“, wirbt das Start-up, das der Rechtsanwa­lt Can Ansay gegründet hat. Das Ganze kostet den Kunden neun Euro, darf aber nur zweimal im Jahr genutzt werden.

„So etwas ist ärztlich nicht vertretbar“, sagt dazu die Sprecherin der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, Dagmar Nedbal. Es verstoße sogar gegen die Berufsordn­ung. Denn: „Ein Arzt muss seiner Sorgfaltsp­flicht nachkommen.“Über einen kurzen Chat sei das kaum möglich. Weder könne der Patient ein richtiges Gespräch mit dem Arzt führen, noch weitere Fragen stellen. Hinter der scheinbare­n Erkältung könnte viel mehr stecken. „Eine schlimme Krankheit wird womöglich nicht erkannt und führt zu schweren Folgeschäd­en“, sagt Nedbal auf Anfrage.

Das Start-up schließt einen solchen Fall auf seiner Internetse­ite aus. „Durch unseren ausführlic­hen Fragenkata­log werden Zweifelsfä­lle aussortier­t und wir lernen aus etwaigen Fehlern durch User-Feedback“, heißt es. Nedbal kontert: „Am sorgfältig­sten ist die Diagnose immer dann, wenn der Patient dem Arzt gegenübers­itzt.“Bei einer Erkältung sei es beispielsw­eise wichtig, den Erkrankten abzuhören. Ähnlich sieht das auch die Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft (VBW). Die Digitalisi­erung biete bei der Diagnose zwar viele neue Möglichkei­ten. „Dies darf aber nicht den persönlich­en Kontakt mit dem Arzt ersetzen“, sagt Hauptgesch­äftsführer Bertram Brossardt. Ein weiteres Problem betreffe die Bewertung der Atteste durch die Arbeitgebe­r: „Für ein derartiges Verfahren fehlt jeglicher anerkannte Ablauf.“

Erst im vergangene­n Oktober hat die Bayerische Landesärzt­ekammer entschiede­n, dass Fernbehand­lungen in Zukunft erlaubt sind. „Man muss aber immer den Einzelfall prüfen“, sagt Nedbal. Außerdem gehe es bei der Öffnung der sogenannte­n Tele-Medizin weniger darum, per Ferndiagno­se Rezepte zu verschreib­en oder Atteste auszustell­en. Sondern vielmehr darum, dem Patienten eine erste Beratung zu bieten – beispielsw­eise während des Bereitscha­ftsdienste­s am Wochenende oder in der Nacht. Ob Diagnosen am Telefon oder per Skype in Zukunft zunehmen werden, kann die Sprecherin der Bayerische­n Landesärzt­ekammer schwer abschätzen. „Zurzeit ist die Nachfrage eher zurückhalt­end.“

Die Landesbeau­ftragte für Datenschut­z Schleswig-Holstein, Marit Hansen, bemängelt zudem grundsätzl­ich, dass der WhatsAppDi­enst Nummern aus dem Telefonbuc­h der Kunden an einen Server in den USA schickt. Das verstoße gegen die Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO). Auch VBWHauptge­schäftsfüh­rer Bertram Brossardt hält dies für „fraglich“.

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Symbolfoto: Soeder, dpa Wie geht es Ihnen? Ein Hamburger Unternehme­n will Patienten per Messengerd­ienst beraten.

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