Guenzburger Zeitung

Hier ist Berlin!

Dieter Thomas Heck hauchte dem deutschen Schlager neues Leben ein. Als er vor 50 Jahren zum ersten Mal die moderierte, war die Show noch etwas gewöhnungs­bedürftig

- VON RUPERT HUBER

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Spiel 77: 03722 3 7

Klasse 1: unbesetzt (377777,00 Euro) (Ohne Gewähr) Augsburg Da braucht man sich nichts vorzumache­n. Ein Leben ohne Hitparaden ist – frei nach Loriot – möglich, macht aber wenig Sinn. In der Regel beginnt die Sucht im zarten Grundschul­alter, und eine Heilung ist vor dem 70. Geburtstag nicht vorstellba­r. Bestes Beispiel ist die „ZDF-Hitparade“, die mit ihrer ersten Sendung am 18. Januar 1969, also genau vor 50 Jahren, dem deutschen Schlager neues Leben einhauchte. Nachdem es so aussah, als hätten neue Rockbands wie Deep Purple und Led Zeppelin das teutonisch­e Tralala ins Jenseits befördert.

Der im vergangene­n Jahr im Alter von 80 Jahren gestorbene Dieter Thomas Heck und das ZDF haben das Aus erfolgreic­h verhindert. Sie packten Zuschauer in ein nüchternes Studio, sodass sie aussahen, als würden sie zu einstudier­tem Mitklatsch­en ein Hallenhand­ballspiel verfolgen. Der besondere Gag: Mittendrin saßen meist jüngere Menschen, von denen einige aufstanden und im Halb-Playback singend zur Bühne drängten. Darunter war der namhafte Roy Black, der mit „Ich denk an Dich“am Ende als Sieger von dannen zog.

„Hier ist Berlin!“, rief der ehe- Autoverkäu­fer Heck an besagtem 18. Januar 1969 ins Publikum. Mit einer Mischung aus Jahrmarkts­chreierei und Zählappell wurde er bis 1985 zum wichtigste­n Verkäufer deutschen Liedguts im Fernsehen. Bei der Premiere brüllte der Schnellspr­echer Titel und Interprete­n mit ausgebreit­eten Armen förmlich aus sich raus. Zugegeben, mit den Jahren ließ es Heck dann ruhiger angehen.

Unsereiner, der die Gnade der frühen Geburt hatte und den Schlager noch als Folie für Italien-Sehnsüchte und Gastland für trällernde skandinavi­sche Sängerinne­n geschätzt hatte, war längst zum „BeatClub“der ARD übergelauf­en. Und zitterte vor dem Radio, wenn der Süddeutsch­e Rundfunk die Top Ten aus England und den USA spielte, und ärgerte sich, wenn nach einer Woche Eric Burdon und die Animals aus den Charts flogen.

Jener 18. Januar aber machte deutlich, dass große Teile der Nation sich heimisches Liedgut nicht nehmen lassen wollten. Zugegeben, die Mischung war seltsam: Der Veteran Gerhard Wendland versuchte es noch mal mit „Liebst Du mich?“, Rex Gildo flötete „Dondolo“und die Schwedin Anna-Lena stimmte mit „Rot ist die Liebe“schon den Schwanenge­sang für die Mädels aus dem Norden an.

Mochte auch der Abstimmung­smodus variieren, eines blieb: Die Plattenfir­men schickten ihre Interprete­n in Legionsstä­rke in die Sendung. Mit der Folge, dass man ihnen nicht auskam: Roland Kaiser – er war mit 67 Auftritten Spitzenrei­ter – Jürgen Marcus, Chris Roberts, Cindy & Bert, Costa Cordalis, Heino, Vicky Leandros, Michael Holm, Bernd Clüver, Nicole, Bernhard Brink, Mireille Mathieu und wie sie alle hießen. Die Liste ist schier endlos. In den angesagten Pilskneipe­n der 70er hörte man plötzlich Graham Bonney und Marianne Rosenberg genauso oft wie The Sweet oder Middle Of The Road.

Bis Mitte der 80er Jahre ein Knick erfolgte. Immer häufiger fanden Bands nach dem Ende der kommerzial­isierten Neuen Deutschen Welle und echte Schlagerst­ars den ZDF-Oldie als spießig. Dazu kam, dass man den Nachfolge-Moderatore­n Viktor Worms und am Schluss Uwe Hübner nicht die große Begeisteru­ng für das Genre abnahm. Ein Heck wäre noch für seinen geliebten deutschen Schlager über mehr als sieben Brücken gegangen.

Im Jahr 2000 war Schluss. „Eine Hitparade ohne Stars ist nicht diejemalig­e nige, die die Zuschauer in Erinnerung haben“, begründete das ZDF die Entscheidu­ng. Mochte auch der offenbar in einem nebulösen Schlagerhi­mmel schwebende Karel Gott klagen, die Einstellun­g der Sendung sei so, als würde die „Tagesschau“abgeschaff­t.

Ende April gönnt Mainz der „Hitparade“noch eine verspätete Jubiläumss­how. Moderator wird Rockmusik-Fan Thomas Gottschalk sein, dessen Liebe zum deutschen Schlager ebenso überrascht wie neuerdings seine Kenntnis deutscher Literatur. Ein Comeback der „Hitparade“ist jedoch unwahrsche­inlich in einer Zeit der Helenisier­ung, in der Florian Silbereise­n ständig Schlagerfe­ste feiert und jeder Fan seine persönlich­en Charts selbst zusammenst­reamen kann.

Was bleibt, ist ein Stück Fernsehges­chichte. Das „Rainer, fahr ab“, wenn Heck den Tonmann zum Abspann auffordert­e. Und keiner liest ja mehr vom Blatt ab, wer denn zuständig war für Produktion­sleitung, Szenenbild, Ton und Bildschnit­t. Fernsehen wird von Menschen gemacht. Heck wusste das.

Dafür traktiert einen das ZDF ständig mit Trailern, die den Zuschauer am Umschalten hindern sollen. Machen wir trotzdem.

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