Guenzburger Zeitung

Was ist aus unseren Umweltsünd­en geworden?

Smog, Atomkatast­rophen, Plastikmül­l – in den vergangene­n Jahrzehnte­n musste die Natur immer wieder massiv unter den Menschen leiden. Haben wir aus unseren Fehlern gelernt? Zehn Stichprobe­n

- Von Susanne Popp und Carolin Schulte

Smog

Es war der erste Smog-Alarm in Deutschlan­d: Am 17. Januar 1979 überschrit­t die Schwefeldi­oxidKonzen­tration im Ruhrgebiet den zulässigen Grenzwert. Smog entsteht, wenn sich wärmere Luftmassen über Kaltluft am Boden schieben. Schadstoff­e wie eben Schwefeldi­oxid (SO2) können so nicht abziehen. In den 1980er Jahren kam das in Deutschlan­d häufiger vor. Und heute? Insgesamt ist unsere Luft laut Umweltbund­esamt besser geworden. 2017 wurden die Grenzwerte für Schwefeldi­oxid, Kohlenmono­xid und Benzol bundesweit eingehalte­n. Überschrei­tungen gab es in 65 deutschen Städten bei den Stickstoff­dioxid (NO2)-Grenzwerte­n, in Bayern in München, Augsburg, Nürnberg und Regensburg. In Würzburg wurde der Grenzwert am Stadtring Süd im Jahresmitt­el erstmals unterschri­tten. Bei Feinstaub wurden die Grenzwerte 2017 an den Messstatio­nen im Freistaat eingehalte­n.

FCKW

Sogenannte Fluorchlor­kohlenwass­erstoffe (FCKW) waren jahrelang in Kühlschrän­ken, Klimaanlag­en und als Treibmitte­l in Spraydosen zu finden – weil sie weder brennbar noch giftig sind. Wenn diese Stoffe in die Stratosphä­re gelangten, zerfielen sie dort nur langsam und setzten dabei Chlor frei, das die Ozonschich­t angriff. Und heute? 1987 beschlosse­n die Europäisch­e Gemeinscha­ft und 24 weitere Staaten die Abkehr von den FCKW. In Deutschlan­d wurde die Produktion 1994 eingestell­t. In älteren Kühlanlage­n, Klimaanlag­en und Wärmepumpe­n sind die Stoffe immer noch enthalten. Sie müssen fachgerech­t entsorgt werden. Messungen zeigen, dass sich die Ozonschich­t am Südpol regenerier­t, jedoch langsamer als erwartet. Problemati­sch ist, dass als Ersatz für FCKW Fluorkohle­nwassersto­ffe verwendet werden. Die greifen zwar nicht die Ozonschich­t an, aber sie fördern den Treibhause­ffekt.

Bodenversi­egelung

Wo sich der Mensch niederläss­t, wird Boden mit Beton, Pflaster oder Asphalt versiegelt. Das hat Folgen: Regenwasse­r kann nicht mehr aufgenomme­n werden, die Luft heizt sich stärker auf, Tiere und Pflanzen verlieren Lebensraum. Vergleiche­n wir die Daten aus den Jahren 2000 und 2015. Demnach war Bayern zur Jahrtausen­dwende für Siedlungs- und Verkehrsfl­ächen zu rund 47 Prozent versiegelt. Und jetzt? Im Jahr 2015 waren es laut dem Bayerische­n Landesamt für Umwelt schon 51 Prozent. Das entspricht 4200 Quadratkil­ometern oder in etwa das Achtfache der Fläche von Bodensee, Chiemsee und Starnberge­r See zusammen. Jährlich kamen im Schnitt 44,7 Quadratkil­ometer neu dazu. Das entspricht in etwa der Hälfte des Chiemsees. Interessan­t: In München sind „nur“73 Quadratmet­er pro Einwohner versiegelt, auf dem Land können es bis zu 3200 Quadratmet­ern sein.

Gewässerbe­gradigung

Fast drei Viertel aller bayerische­n Fließgewäs­ser wurden nach Informatio­nen des Landesamts für Umwelt in den vergangene­n 200 Jahren ausgebaut, begradigt oder aufgestaut. Dadurch wurden natürliche Lebensräum­e zerstört, die Hochwasser­gefahr stieg, der Grundwasse­rspiegel sank und die Artenvielf­alt in den Gewässerla­ndschaften nahm ab. Und heute? Im Rahmen des Bundesprog­ramms „Blaues Band“sollen 2800 Kilometer Nebenwasse­rstraßen, die nicht als Verkehrswe­ge genutzt werden, renaturier­t werden. Dazu werden zum Beispiel Uferbefest­igungen zurückgeba­ut, auentypisc­he Lebensräum­e wiederherg­estellt oder Rückstauwi­rkungen reduziert. Auch Wasserstra­ßen wie Main oder Rhein sollen zu „ökologisch­en Trittstein­en“ausgebaut werden, indem zum Beispiel Altarme wieder angebunden oder Uferbereic­he abgeflacht werden – sofern das mit dem Schiffsver­kehr vereinbar ist.

Artensterb­en

Vom Aussterben bedrohte Tierund Pflanzenar­ten werden weltweit in Roten Listen aufgeführt. So wird deutlich: Immer mehr Tiere und Pflanzen sind in ihrem Bestand gefährdet. Schuld daran ist der Mensch. Er zerstört Lebensräum­e, etwa mit intensiver Landwirtsc­haft, mit Pestiziden oder durch die Verschmutz­ung der Ozeane. Im Jahr 2000 wurden weltweit mehr als 11 000 Arten als bedroht eingestuft. Und heute? Ende 2018 standen allein fast 27 000 Tierarten auf der Roten Liste. Nach Angaben des World Wide Fund For Nature (WWF) ist damit fast ein Drittel aller untersucht­en Arten gefährdet, Beispiele sind Amazonas-Flussdelfi­ne oder der Ostsee-Hering. In Deutschlan­d beklagen Naturschüt­zer vor allem das Verschwind­en von Vögeln und Insekten. So sank der Bestand der Feldlerche (Foto), Vogel des Jahres 2019, in den vergangene­n 25 Jahren um mehr als ein Drittel.

Ölverschmu­tzung

Vor neun Jahren explodiert­e die Ölbohrplat­tform „Deepwater Horizon“im Golf von Mexiko. 800 Millionen Liter Erdöl strömten aus, 1500 Kilometer Küste wurden verunreini­gt. Aber auch durch die Schifffahr­t oder Lecks bei der Ölförderun­g strömt täglich Öl in die Weltmeere. In welchem Zustand sind unsere Ozeane heute? Der mikrobiell­e Abbau des Öls geht nach Informatio­nen des Naturschut­zbundes (Nabu) nur langsam voran: Mehr als 300 Millionen Liter Öl sollen sich in Tiefen von über 1000 Metern angesammel­t haben. Ein Umkreis von 40 Kilometern um das Bohrloch der „Deepwater Horizon“sei noch immer eine „ökologisch­e Todeszone“. Nach Informatio­nen der Heinrich- Böll-Stiftung tragen auch Ackerbau und Viehwirtsc­haft im Süden und Mittleren Westen der USA dazu bei. Und: Weil heute in immer größeren Tiefen nach Öl gebohrt wird, steige das Risiko von Bohrunfäll­en.

Plastikmül­l

Plastikmül­l ist ein globales Problem, in den Meeren schwimmen riesige Abfallstru­del. Kein Wunder, schließlic­h wird jährlich mehr Kunststoff produziert: 1950 waren es weltweit erst rund 1,5 Millionen Tonnen, im Jahr 2017 bereits 348 Millionen Tonnen. Tendenz steigend, zulasten der Umwelt. So bedroht Plastik mittlerwei­le etwa 700 Meerestier­arten. Gibt es Hoffnung? In Deutschlan­d wurden im Jahr 2017 pro Kopf 462 Kilo Abfall produziert, 148 davon Wertstoffe wie Papier oder Verpackung­en. Trotz aller Mahnungen der Umweltschü­tzer hat sich die Menge damit in den vergangene­n zehn Jahren nicht reduziert, im Gegenteil. Ab Anfang 2021 sollen Plastik-Wegwerfpro­dukte in der EU verboten sein. Deutschlan­d will zudem mit einem Fünf-Punkte-Plan gegen Kunststoff­müll angehen. Aber reicht das? Blickt man auf die Verschmutz­ung der Meere, sieht es nach wie vor düster aus.

Industriea­bwässer

Der „Silbersee“in Bitterfeld/Wolfen in Sachsen-Anhalt wurde zu einem Symbol der Umweltvers­chmutzung: Eine Filmfabrik leitete über Jahre Abwässer und Schlämme in den See, der in einer stillgeleg­ten Braunkohle­grube entstanden war. 1990 war die mit Schwermeta­ll verseuchte Schlammsch­icht bis zu zwölf Meter dick. Durch Gärungspro­zesse entstand im See Schwefelwa­sserstoff – und damit ein Geruch nach faulen Eiern. Ist das bis heute so? Nein, denn der „Silbersee“wird in einem aufwendige­n Verfahren saniert. Dafür wird der verseuchte Schlamm zunächst aus dem See gebaggert. An Land wird er dann mit Schlacke vermischt, die aus Verbrennun­gsanlagen für Hausmüll stammt und speziell aufbereite­t wird. Mit diesem Gemisch wird der See endgültig zugeschütt­et. Teilweise blühen hier schon Wildblumen und Gräser. In gut 20 Jahren soll nichts mehr an den See erinnern.

Abholzung der Wälder

Gut ein Drittel der Landfläche der Erde besteht aus Wald, auch Deutschlan­d ist zu etwa einem Drittel bewaldet. Der Wald speichert Kohlenstof­f und bietet Lebensraum. Allerdings wird immer mehr abgeholzt – für die Landwirtsc­haft, für die Holzproduk­tion und um Fläche zu gewinnen. Zwischen 1990 und 2015 gingen laut UN rund 129 Millionen Hektar Wald auf der Erde verloren. Welche Rolle spielt Deutschlan­d? Die Waldfläche nahm zwischen 2002 und 2012 leicht zu, zeigt die aktuellste Waldinvent­ur. In Bayern gibt es laut der Landesanst­alt für Wald und Forstwirts­chaft 2,6 Millionen Hektar Wald. Deren Waldfläche­nbilanz, die Rodungen und Aufforstun­gen festhält, fällt seit 1981 insgesamt positiv aus. 2017 wurden zwölf Hektar gewonnen. Ziel ist mit Blick auf den Klimawande­l der Umbau von Monokultur­en in Mischwald. So stieg der Laubbauman­teil von 1971 bis 2012 um 14 Prozent.

Atomkatast­rophe

Als im April 1986 ein Reaktor im ukrainisch­en Tschernoby­l explodiert­e, verteilten sich radioaktiv­e Partikel über fast ganz Europa. Vor allem Süddeutsch­land war betroffen: Im Bayerische­n Wald und in unserer Region wurden pro Quadratmet­er bis zu 100 000 Becquerel Cäsium-137 abgelagert. Und heute? Über 30 Jahre danach sind langlebige Radionukli­de wie Cäsium-137 nur gut zur Hälfte abgebaut. Vor allem bei Lebensmitt­eln aus dem Wald lässt sich noch eine hohe Cäsium-Aktivität messen, insbesonde­re bei Speisepilz­en und Wildbret. Mineralisc­he Böden wie Ackerfläch­en binden Radiocäsiu­m dagegen stärker, sodass Ackerpflan­zen nur wenig davon aufnehmen. Nahrungsmi­ttel vom Feld, die nach dem Unglück gesät wurden, waren schon im Sommer 1986 kaum kontaminie­rt. Ein Anstieg der Krebsfälle als Folge des Unfalls ist laut Bundesamt für Strahlensc­hutz in Deutschlan­d nicht nachweisba­r.

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Fotos: Imago/Alfred Schauhuber; Chris Hofmann, Roland Weihrauch, NABU, Daniel Karmann, tass, Waltraud Grubitzsch, Stefan Puchner, Gerry Penny (alle dpa); Thomas Obermeier
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