Einmal Augsburg und zurück nach Berlin
Fast zwei Jahrzehnte nach den „Manns“ist Heinrich Breloer zurück mit einem Dokudrama über einen weiteren Jahrhundertliteraten: Bertolt Brecht. Dessen Denkformen und Widersprüchen kommt er dabei ziemlich nahe
Gerade erst rauschte Bertolt Brecht in Joachim Langs „Mackie Messer“über die Leinwand, schon folgt Heinrich Breloers „Brecht“hinterdrein. Beschränkte Lang sich mit der „Dreigroschenoper“-Episode noch auf einen schmalen Ausschnitt aus der Dichter-Vita, so zielt Breloer nun aufs Ganze und versucht, den gebürtigen Augsburger in möglichst vielen Aspekten einzufangen. Wie schon bei zwei anderen Jahrhundertliteraten, bei den „Manns“(2001), tut Breloer das mithilfe der von ihm zur Meisterschaft entwickelten Form des Dokudramas, worin Spielszenen und dokumentarisches Material zueinanderfinden.
Die Wurzeln von Person und Dichter liegen für Breloer in Brechts Augsburger Zeit. Hier, schon als Gymnasiast, entwickelt er ein Bewusstsein gegen blinde Gefolgschaft, als der Freund Caspar Neher im Ersten Weltkrieg gerade noch mit dem Leben davonkommt. Hier kompensiert Brecht seine wiederkehrenden Herzattacken dadurch, dass er sich emotionale Härte antrainiert gegen die Verwundbarkeit. Und hier auch bildet sich sein komplexes Verhältnis gegenüber den Frauen heraus, die er umschwärmt und mit denen er parallele Verhältnisse unterhält, denen er aber keineswegs solch weitgehende Freiheiten zugestehen will wie sich selbst. Marianne, seine erste Ehefrau, beschimpft er als „Hure“in dem Moment, als sie ein Kind vom ihm verliert.
Tom Schilling spielt diesen jungen Brecht als einen kühl charmanten Egomanen, der zwischen all seinen Freunden und Frauen nie das Ziel aus den Augen verliert, ein berühmter Dichter zu werden. Das gelingt im Berlin der zwanziger Jahre, wo die Schauspielerin Helene Weigel seine zweite Frau und Elisabeth Hauptmann seine kongeniale Mitarbeiterin werden und sich mit der „Dreigroschenoper“endlich der große Theatererfolg einstellt.
Mit „Brecht“– einer ARD-Produktion, die jetzt für eine Woche in ausgewählte Kinos u. a. ins Augsburger Mephisto kommt, bevor sie Ende März im Fernsehen läuft – beabsichtigt Heinrich Breloer keineswegs, den historischen Brecht fürs 21. Jahrhundert „neu zu erfinden“, gar als hippe Identifikationsfigur. Breloer will Brecht verstehen, in seiner privaten Chamäleonhaftigkeit wie in seinen dichterischen Konzepten, und die Methode dazu ist ihm die biografische und philologische Genauigkeit. Doku eben statt kühner cineastischer Entwurf.
Faszinierend ist das vor allem, wenn Breloer auf den älter gewordenen Brecht blickt, der aus dem Exil zurückkehrt und sich in Ostberlin niederlässt. Das Bild des griesgrämig in Arbeiterkluft herumstapfeneinmal den Klassenkämpfers wird hier aufgebrochen zugunsten eines Künstlers, der mit seinem Theater Bewegung in die Verhältnisse bringen will. Wem Brechts Dramatik immer nur Theorie war, der begegnet hier zentralen Brecht’schen Denkkategorien in aufregender Stichhaltigkeit. Dass dieser geistige Transport gelingt – selten genug im Film – , ist maßgeblich mit ein Verdienst von Burghart Klaußner, der dem älteren Brecht, der da schmallippig sein Berliner Ensemble kommandiert, eine geradezu alttestamentarische Überzeugungskraft mitzugeben vermag. Dass sich an der Seite dieses Arbeitstiers private Dramen abspielen, zeigen Adele Neuhauser als die ältere Weigel und Trine Dyrholm als Brechts Ex-Geliebte Ruth Berlau eindrucksvoll. Und die dokumentarischen Wortmeldungen, die Breloer noch von den letzten lebenden Mitarbeitern Brechts eingeholt und zwischen die Spielszenen montiert hat, sind bewegende Zeitzeugnisse.