War er ein Heil-Meyer oder doch nur ein Ich-Meyer?
Medizinhistoriker Florian Steger stellt in Günzburg noch einmal seine Erkenntnisse über Heilmeyer vor
Günzburg Die Günzburger Stadträte schnappten vernehmbar nach Luft. Sie waren sichtlich erschüttert, obwohl die meisten den Vortrag von Florian Steger, Universitätsprofessor und Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm, über Ludwig Heilmeyer schon im vergangenen Jahr gehört hatten. Steger hatte seine Erkenntnisse über den Gründungsrektor der Uni Ulm in einer eigens anberaumten, öffentlichen Sitzung des Hauptausschusses des Günzburger Stadtrats vorgestellt. Auch Ratsmitglieder, die nicht im Ausschuss sitzen, waren dazu ins Rathaus gekommen. Am kommenden Montag soll der Gesamtstadtrat die Entscheidung treffen, ob die nach Heilmeyer benannte Straße umbenannt werden soll, an der neben dem Bezirkskrankenhaus und der Kreisklinik auch Arztpraxen, die Dr.-Georg-Simnacher-Stiftung, die Kitas von Kids&Company, die Günzburger Malteser und eventuell bald das Kreisaltenheim liegen.
Zuvor hatte Oberbürgermeister Gerhard Jauernig an die Geschichte der Günzburger Straßennamen erinnert. Die ersten tauchen 1826 in einem Kataster auf, die meisten Häuser tragen damals Nummern. Erst 100 Jahre später haben alle Günzburger Straßen Namen – „außer einigen Persönlichkeiten der Habsburger-Dynastie gab es damals keine Personen, die Namensgeber von Straßen waren“, so der OB. Das änderte sich ab 1933 dramatisch, als Repräsentanten des Nazi-Unrechtsstaats mit eigenen Straßen geehrt wurden. In seiner ersten Stadtratssitzung nach dem Krieg wurde dies wieder korrigiert. Umbenennungen gab es seitdem meistens durch die Eingemeindung von Stadtteilen, um Dopplungen zu vermeiden. 2015 beschloss der Stadtrat, den Christian-Frank-Weg neu zu bezeichnen, nachdem die Forschung gezeigt hatte, dass der in Günzburg geborene Geistliche als überzeugter Nationalsozialist der Euthanasie geistig den Weg bereitet hatte.
Kann man dem Mediziner Ludwig Heilmeyer ähnliches vorwerfen? War Heilmeyer der „HeilMeyer“, als den ihn ein Journalist in Die Welt 1969 bezeichnete – oder einfach nur der opportunistische und karrierefixierte Ich-Meyer? Florian Steger unterteilte seine Betrachtung auch diesmal in zwei Zeitabschnitte: Zum einen in die Zeit vor 1945, in der Heilmeyer verzweifelt, aber erfolglos versuchte, Mitglied der NSDAP zu werden, um davon berufliche Vorteile zu erhalten. Und zum anderen in die Nachkriegszeit, in der Heilmeyer als Teil eines Männernetzwerks Mediziner des Naziregimes in seiner Freiburger Wirkungsstätte unterschlüpfen ließ, sie protegierte und noch Jahre später öffentlich würdigte. In einem Gutachten über Wilhelm Beiglböck, der im KZ Buchenwald bei Versuchen Sinti und Roma Meerwasser zu trinken gab, äußerte sich Heilmeyer 1949 offen rassistisch.
Steger beschreibt, dass auch Heilmeyer von dem „Männernetzwerk“profitiert. „Wer 1945 einen Ruf an den Lehrstuhl nach Düsseldorf bekommt, erhält ihn nicht von aufgeklärten Demokraten“, stellt der Medizinhistoriker klar. Nirgendwo in Deutschland sei die Elitenkontinuität so groß gewesen wie in BadenWürttemberg. „Vor allem in der Medizin und der Jurisprudenz sind nach 1945 viele Personen im Amt geblieben.“Dabei sei Heilmeyer kein überzeugter Nationalsozialist, sondern ein Opportunist gewesen.
„Er schreckt vor nichts zurück, und das ohne Not“, diese Einschätzung Florian Stegers über Heilmeyer ist für SPD-Stadträtin Martina Haltmayer „der zentrale Satz dieser Ausführungen“.
Für Steger läuft in Sachen der Umbenennung der Straße alles auf eine Frage hinaus: „Haben wir es hier mit jemandem zu tun, der vorbildlich gehandelt hat, der ein Vorbild sein kann für Kinder und Jugendliche, für uns als aufgeklärte Demokraten?“Seine Antwort darauf, die er auch schon im vergangenen Jahr bei seinem Vortrag in Günzburg gegeben hatte, ist klar: „Das ist er nicht. Heilmeyer ist kein Vorbild.“»Kommentar
Die letzte Umbenennung war vor zwei Jahren