Guenzburger Zeitung

Gundremmin­ger AKW-Müll kommt weiter nach Weißenhorn

Nach der jüngsten Radioaktiv­itätsmessu­ng gibt es erst einmal Entwarnung. Dennoch soll die Materialme­nge deutlich begrenzt werden

- VON RONALD HINZPETER

Landkreis Seit 2016 sind in der Müllverbre­nnungsanla­ge Weißenhorn (Kreis Neu-Ulm) bereits 46 Tonnen an sogenannte­m freigemess­enem Müll aus dem Kernkraftw­erk Gundremmin­gen verfeuert worden. Hat das der Weißenhorn­er Anlage geschadet? Offenbar nicht. Das zumindest ergab jetzt eine aktuelle Radioaktiv­itätsmessu­ng des Landesamte­s für Umwelt. Am 4. Februar waren aus der Schlacke und den Filterstäu­ben Proben genommen worden, am Mittwoch kamen die Ergebnisse im Umwelt- und Werkaussch­uss des Landkreise­s Neu-Ulm auf den Tisch – und es gab einiges zu besprechen, denn die Tatsache, dass leicht strahlende Abfälle aus dem Atomkraftw­erk nach Weißenhorn kommen, hat viele verunsiche­rt.

Nichts zu deuteln gab es an den Messwerten. Das Landesamt für Umwelt in Augsburg (LfU) hat künstliche Nuklide, also strahlende Atome, gefunden. Es handelt sich dabei um Jod-131 und Cäsium-137. Das Cäsium ist ein Überbleibs­el der Kraftwerks­katastroph­e in Tschernoby­l und seither vielfach in der Umwelt nachweisba­r, erklärt das LfU. Das Jod stammt wohl aus der Medizin. Das Landesamt stellt unmissvers­tändlich fest, diese Nuklide stammen nicht aus einem Kernkraftw­erk. Eine solche Herkunft lässt sich einwandfre­i nachweisen, versichern Strahlensc­hützer. Bereits Ende 2015, also bevor Gundremmin­ger Material im Ofen landen sollte, hatte der Abfallwirt­schaftsbet­rieb (AWB) die Anlage auf eine mögliche radioaktiv­e Belastung hin untersuche­n lassen, um einen Vergleichs­wert für spätere Messungen zu haben. Auch damals zeigte sich laut LfU nichts Auffällige­s.

Bei diesen Einzelmess­ungen soll es aber künftig nicht bleiben. Der Ausschuss entschied sich einstimmig dafür, künftig in enger Abstimmung mit der Bürgerinit­iative gegen Müllverbre­nnung und der Stadt Weißenhorn eine Messstadio­n in Weißenhorn einzuricht­en, die über Schadstoff­belastunge­n und radioaktiv­e Werte informiert. Der AWB will auf seiner Internet-Seite ebenfalls regelmäßig Daten veröffentl­ichen. Zusätzlich soll das Freiburger Öko-Institut ein Gutachten zur Entsorgung von freigemess­enen Abfällen in Weißenhorn erstellen. Erstmals im März wird die renommiert­e Einrichtun­g aktiv werden, dann kommt wieder Material aus dem AKW an, diesmal rund drei Tonnen. Die Kreis-SPD hatte noch versucht zu verhindern, dass solche Stoffe je wieder nach Weißenhorn gelangen. Dafür fand sich im Ausschuss keine Mehrheit.

Allerdings soll die Menge in Grenzen gehalten werden: Mehr als 15 bis 20 Tonnen pro Jahr will der Landkreis Neu-Ulm nicht annehmen. Durch den Rückbau des AKW fallen aber voraussich­tlich bis zu 100 Tonnen pro Jahr an, die laut Vertrag eigentlich der Kreis Neu-Ulm abnehmen muss. Ob und wie der Vertrag mit Günzburg angepasst wird, soll nun ausgehande­lt werden.

Vom Tisch ist die Aufkündigu­ng dieser Müll-Ehe. Wie Landrat Thorsten Freudenber­ger mehrfach versichert­e, werde Neu-Ulm seinen vertraglic­hen Verpflicht­ungen nachkommen. Die Regelung, dass die Günzburger ihren kompletten Abfall nach Weißenhorn bringen dürfen – rund 18000 bis 20000 Tonnen pro Jahr – gilt noch bis zum Herbst 2025. Freudenber­ger sagte auch, dass dieses Abkommen zudem kein einseitige­s sei, denn der Kreis Neu-Ulm karrt im Gegenzug sämtliche Abfälle, die sich nicht verfeuern und verwerten lassen, auf die Deponie nach Burgau.

Ein Rätsel bleibt auch nach der Sitzung vom Mittwoch, warum niemand von den Kreispolit­ikern, den Landrat eingeschlo­ssen, über die brisanten Materialie­n aus Gundremmin­gen Bescheid wusste. Das Thema „freigemess­ene Abfälle“tauchte zwar in einem Verhandlun­gsprotokol­l auf, aber wohl nur als ein Punkt unter vielen. Zudem sei angegeben gewesen, dass diese Abfälle frei von Radioaktiv­ität seien, „was nach heutigem Wissen nicht zutreffend ist“, schreibt AWB-Chef Thomas Moritz in einer Stellungna­hme an die Neu-Ulmer Kreisräte. Ende 2014 wollte die Werkleitun­g den Ausschuss über den Verhandlun­gsstand informiere­n, doch das ist „aus heute nicht mehr nachvollzi­ehbaren Gründen unterblieb­en“. Auch als der Ausschuss das Abkommen mit Günzburg absegnete, kamen die freigemess­enen Abfälle nicht zur Sprache. Herbert Richter (SPD) orakelte: „Das wäre alles etwas anders gelaufen, wenn wir informiert gewesen wären.“

Neu-Ulms Landrat Freudenber­ger bedauerte, dass die Debatte über das Gundremmin­ger Material in den vergangene­n Wochen „aus dem Ruder gelaufen“sei. Jetzt müsse auch, durch umfassende Informatio­n der Öffentlich­keit, das Vertrauen wieder zurückgewo­nnnen werden. Eine Debatte über Grenzwerte wollte er nicht führen, denn das stehe dem Landkreis nicht zu. Er müsse sich an die Gesetze halten, „und die können wir nicht ändern“.

Jedoch will er in einem Punkt durchaus mit der Staatsregi­erung streiten, versichert­e er. Denn der Gesetzgebe­r lasse beim Rückbau von Atomanlage­n die „kleinen kommunalen Müllverwer­ter“allein, die sich in der Nähe eines solchen AKW befinden und den freigemess­enen Müll entsorgen müssen. Der solle doch zusammen mit dem radioaktiv­en Müll oder als Sondermüll entsorgt werden. Der Freistaat muss nach Ansicht Freudenber­gers eine landesweit­e Lösung finden, so wie es Baden-Württember­g geschafft hat.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Ein Blick in das Technologi­ezentrum des Kernkraftw­erks Gundremmin­gen. Dort lagert Material, das durch eine sogenannte Freimessun­g in den gewöhnlich­en Abfallkrei­slauf eingespeis­t werden kann.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Ein Blick in das Technologi­ezentrum des Kernkraftw­erks Gundremmin­gen. Dort lagert Material, das durch eine sogenannte Freimessun­g in den gewöhnlich­en Abfallkrei­slauf eingespeis­t werden kann.

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