Guenzburger Zeitung

Ein wilder Ritt mit Jonathan Lethem

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Wieder eines dieser unnachahml­ich amerikanis­chen Leseabente­uer. Ein Roman, bildstark wie ein Drehbuch. Typen-Literatur zwischen Boyle, Russo und Thomas Pynchon – nüchterner als der erste, räudiger als der zweite, bodenständ­iger als der dritte. Es ist, wie der Titel schon sagt, eine Detektivge­schichte, nicht die erste des New Yorkers Jonathan Lethem, der seinen Durchbruch allerdings vor 15 Jahren mit dem Brooklyn- und Bildungsro­man „Die Festung der Einsamkeit“hatte.

Jetzt „Der wilde Detektiv“also. Es geht auf die Suche nach einer verscholle­nen 18-Jährigen tief in den US-Westen, die Mojave-Wüste, in deren Weiten sich zu seltsamen Sekten mutierte Hippie-Gemeinscha­ften verbergen. Phoebe Siegler ist mit der Wahl Trumps endgültig aus ihrem Leben in New York gefallen – wird sie ausgerechn­et hier, in der Hinterwelt, nicht nur die Tochter ihrer Freundin finden, sondern auch sich selbst – und die Liebe? Dauert jedenfalls nicht lange, bis sie mit dem auf Fälle des Verschwind­ens spezialisi­erten Charles Heist in der Kiste landet… Klingt wie gepuzzelt aus schon vielfach Dagewesene­m? In der Tat. Macht aber schon Spaß. Und bietet in der Wüstenwelt zudem einen spannenden Spiegel zum Trumpismus. Wolfgang Schütz Jonathan Lethem: Der wilde Detektiv

A. d. Engl. von Ulrich Blumenbach, Tropen,

335 Seiten,

22 Euro

Eine erste Kränkung, gar nicht als Kränkung gemeint. Als die kleine Tochter die Knochen des menschlich­en Körpers aufzählt, lobt sie der Vater: „Du wirst einmal eine gute Krankensch­wester werden.“Der Vater ist angesehene­r Arzt. Die Tochter wird später Schriftste­llerin werden. Also weder Krankensch­wester, noch, wie als Kind erträumt, Ärztin. Aber dieser Satz wird ihr noch als erwachsene Frau in den Knochen stecken, obwohl sie sich doch durch ganze Bibliothek­en gelesen, große Romane geschriebe­n hat und zu eine der wichtigen amerikanis­chen Autorinnen der Gegenwart zählt.

Wobei, Rückfrage schon jetzt, von wem ist hier eigentlich die Rede? Von Siri Hustvedt, die mit ihrem Roman „Damals“nun ein Porträt von sich als junger Frau geschriebe­n hat? Wie sie 1978 aus Minnesota nach New York kam, ein schäbiges Appartemen­t an der West 109th Street bezog, eintauchte in das wilde Leben der Stadt, so knapp bei Kasse war, dass sie auch mal die Mülleimer nach Essbarem durchstöbe­rte? Und wie sie sich auf die Suche machte nach ihrem ersten Roman? Oder ist die Rede von S. H., der Heldin des Romans, eine Schriftste­llerin, die ein Porträt von sich als junger Frau verfasst …?

Die amerikanis­che Schriftste­llerin treibt wieder ein Spiel mit Realität und Fiktion, mit Erinnerung und Erfindung, legt autobiogra­fische Spuren, um sie dann als Irrwege zu entlarven. Erweist sich also wieder als großartige Konstrukte­urin von Literatur. Ihre junge S. H., auch genannt Minnesota, eine groß gewachsene Schönheit, teilt mit der Autorin viel an Herkunft, Aussehen und Erfahrung. Aber der Mann, den sie heiraten wird, heißt eben dann doch nicht Paul wie Paul Auster, sondern Walter: ein rothaarige­r Physiker.

Hustvedt lässt ihre gealterte Heldin auf deren jüngeres Ich treffen und erzählt dabei in Versatzstü­cken gleich mehrere Geschichte­n: einen Roman im Roman, zwei Detektivst­ories. Die eine handelt von zwei Teenagern, die als Sherlock Holmes und Dr. Watson einer Geisterges­chichte in ihrer amerikanis­chen Kleinstadt auf die Spur kommen wollen. Der Junge ist Holmes, na klar, das Mädchen soll sich mit der Rolle des Assistente­n abfinden. Die Geschichte will nicht so recht ins Laufen kommen, weil die junge Schriftste­llerin S. H., die sich damit auf den Seiten ihres Notizbuche­s abmüht, noch nicht recht weiß, wohin sie eigentlich will mit ihrer Literatur. Die zweite Detektivge­schichte erlebt die junge S. H. selbst: In der Wohnung nebenan hört sie ihre Nachbarin Lucy schaurige Monologe anstimmen. Mit dem Stethoskop des Vaters an der Wand versucht sie, Lucy ihre tragische Lebensgesc­hichte abzulausch­en. Ein Kind ist

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