Was es braucht für eine bessere Zukunft
Am Schluss gibt’s „11 Merksätze zum neuen Realismus“. „1. ‚Die fetten Jahre sind vorbei‘ kann als frohe Botschaft verstanden werden.“zu „2. Es ist alles schon da, nur falsch zusammengesetzt.“über „8. Heimat ist dort, wo nicht egal ist.“bis zu „10. Morgen Mittag beginnt das Neue.“
Es ist der große Wurf des ohnehin mit seinem alternativen Denken sehr gefragten Soziologen Harald Welzer. Denn das neue Werk heißt nicht einfach nur „Alles könnte anders sein“– es bündelt sein aufklärerisches Denken aus so vielen anderen Büchern zuvor („Selbst denken“, „Die smarte Diktatur“, „Wir sind die Mehrheit“) in eine „Gesellschaftsutopie für freie Menschen“. Die Grundidee: Wir haben wie beim Lego eigentlich alle Bausteine für eine bessere Gesellschaft zur Verfügung – wir müssen nur auch wieder lernen, mit Fantasie und Zuversicht auf die Wirklichkeit zu blicken. Statt belastet von Angst und Überforderung. Das Buch ist mindestens darin eine gute Übung, aber auch in der Kunst der Unterscheidung. Etwa zwischen Share Economy und Teilhabe. Utopien haben ja gerade Konjunktur (siehe etwa Sina Trinkwalders „Die Zukunft ist ein guter Ort“). Dies hier ist eine, die das Notwendige mit dem Wünschenswerten verbindet. Wolfgang Schütz Harald Welzer: Alles könnte anders sein
S. Fischer, 320 Seiten, 22 Euro
Auweia. Eine Frau, die nicht Mutter sein will, die ihre evolutionäre Bestimmung nicht erfüllt und ihre Fruchtbarkeit nicht nutzt – wer sich bisher als solche äußerte, musste sich, bestenfalls, auf erstaunte Gesichter, oder, schlimmstenfalls, auf Anfeindungen im Internet gefasst machen. Die hingebungsvolle Mutterschaft als Ideal einer Frau – mit diesem Mythos wird nun über 300 Seiten aufgeräumt.
Die kanadische Autorin Sheila Heti befasst sich in ihrem neuen Buch „Mutterschaft“auf sehr kluge, kreative und auch facettenreiche Art mit der grundsätzlichen Frage „Will ich Mutter überhaupt sein?“. Und liefert damit interessanterweise Munition für beide Fronten der jüngst entfachten hitzigen Anti-Natalismus-Debatte. Zudem hebt sich der Text durch seine ungewöhnliche Erzählweise und durch das Spiel mit der Sprache von anderen Veröffentlichungen zum gleichen Thema ab: Etwa von Ora Donaths „Regretting Motherhood“, in dem isrealische Mütter ihr Muttersein bereuen. Auch von Antonia Baums Selbsterfahrungsbericht „Stillleben“, in dem sie das Muttersein komplett ohne rosarote Brille betrachtet. Und auch von dem jüngst erschienenen Manifest „Kinderfrei statt kinderlos“, in dem Verena Brunschweiger aus ökologischen Gründen vom Kinderkriegen absieht. In „Mutterschaft“aber werden nicht bloß interessante Gedanken serviert, sie sind auch noch kunstvoll, wenn auch nicht immer leicht verdaulich, angerichtet.
Sieben Jahre lang hat Sheila Heti, die 2010 mit ihrem Selbstfindungsroman „Wie sollten wir sein“für Aufsehen sorgte und laut New York Times eine der 15 einflussreichsten Autorinnen unserer Zeit ist, an „Mutterschaft“gearbeitet. Darin spielt sie wieder mit Realität und Fiktion, verbindet wie auf einer großen Patchworkdecke ihre Tagebucheinträge, Episoden ihrer Familiengeschichte, Gespräche mit Freunden und private Bilder mit fiktionalen Texten. Herausgekommen ist eine persönliche Geschichte, die als Sachbuch ein Seelenstriptease wäre, als Roman aber den Leser immer im Unklaren lässt, wann nun die reale und wann die fiktive Sheila spricht. Durch diesen stilistischen Kunstgriff beleuchtet Sheila Heti das Thema noch virtuoser, überraschender und zuweilen sogar witzig.
Autorin und Protagonistin sind sich ziemlich ähnlich. Die Parallelen: Schriftstellerin, um die 40, Nachkomme jüdisch-ungarischer Holocaustüberlebender, wohnhaft in Toronto, Strafverteidiger als Freund. Im Gegensatz zur ihrer Romanfigur sei der Autorin jedoch schon immer klar gewesen, dass sie keine Kinder haben möchte, weil sie sich voll und ganz dem Schreiben widmen möchte, sagt sie in Interviews.