Erste Hilfe für die Seele
In einem Kurs der Malteser lernen Menschen, wie man bei psychischen Akutsituationen eingreifen kann. Dabei ist der wichtigste Rat eigentlich der einfachste
In einem Kurs der Malteser in Günzburg lernen Menschen, wie man bei psychischen Akutsituationen eingreifen kann.
Günzburg Die Hemmschwellen sind aus vielerlei Gründen hoch. Denn die Frage ist ja nicht leicht zu beantworten: Wie als Laie umgehen mit Verwandten, Freunden oder Fremden, die Signale einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, aussenden? Diese Hemmschwellen zu senken, war eines von mehreren Anliegen von Erna Pleyer. Die psychologische Beraterin des MalteserHilfsdienstes hatte zusammen mit Ausbildungsleiterin Evi Siegmann am Samstag in Günzburg zu einem Seminar mit dem Titel „Erste Hilfe in psychischen Notsituationen“geladen. Ein Fazit der dreistündigen Veranstaltung: „Viel kann man nicht falsch machen. Es sei denn, man schaut weg.“
Irgendetwas hat sich verändert. Der einst lebensfrohe und aktive Verwandte, Freund oder Arbeitskollege ist apathisch, antriebslos, ständig erschöpft, lässt sich gehen, zieht sich immer mehr zurück oder spricht von der Sinnlosigkeit des Lebens. Selbst schlichteste Handgriffe des Alltags sind nicht mehr möglich. Eine vorübergehende Schwächephase oder doch das Signal einer ernsthaften Krise, einer Erkrankung?
„Hinschauen, nicht wegschauen“, lautet der eindringliche Appell von Erna Pleyer an die Teilnehmer des Seminars – es sind ausschließlich Frauen. Hinschauen, offen und ehrlich auf die Betroffenen zugehen und die zugewandte Frage stellen: „Ich sehe, es geht Dir nicht gut. Kann ich Dir helfen?“. Das muss nicht unbedingt der Nächste sein. Auch die zufällige Begegnung und ein empathisches Gespräch mit einem Unbekannten auf der Parkbank könne zu einem Akt der womöglich lebensrettenden Hilfe werden. „Kranke öffnen sich Fremden gegenüber meist leichter als gegenüber Nahestehenden.“
Meist bedürfe es nur wenig, um Erkrankten eine Stütze zu sein, betont die Referentin. Oft reiche schon eine halbe Stunde des aktiven Zuhörens, in der sich Kranke den Druck von der Seele reden können. Also: Sich Zeit nehmen und Geduld haben, dabei keine schlauen und wohlfeilen Ratschläge („Das wird schon wieder“) geben, sondern die Empfindungen des Gegenübers ernst nehmen und nicht bagatellisieren. Das alles unter Maßgabe von Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Noch immer würden psychische Erkrankungen stigmatisiert. Dabei könnten und müssten etwa Depressionen, Schizophrenie oder Wahnvorstellungen ebenso behandelt werden wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Knochenbruch. Erna Pleyer: „Der seelische Schmerz ist so groß wie das körperliche Leiden.“
Mit dem Zuhören, dem einfühlsa- men Gespräch ist es freilich nicht immer getan. Oft schon bald kann der Punkt erreicht sein, an dem Hinweise auf professionelle Hilfe angezeigt sind. Dann sei es richtig, aktiv Verantwortung zu übernehmen und auf die vielfältigen Betreuungsmöglichkeiten hinzuweisen, etwa in einer psychiatrischen Klinik. Bei akuter Gefahr für Leib und Leben müsse die Polizei gerufen werden – im Interesse aller. Die Referentin: „Laien sollten nicht über ihre eigenen Grenzen hinausgehen.“
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Suizide durch eine depressive Erkrankung auf etwa 10000 Tote pro Jahr halbiert. Die Referentin: „Die Gesellschaft ist auf einem guten Weg.“Aber: Das sind jährlich immer noch mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, Drogen und AIDS zusammen. Bedrückend vor allem: Auf einen vollendeten Suizid kommen schätzungsweise 15 bis 20 Versuche, vor allem bei Mädchen und jungen Frauen. Falsch sei die Ansicht, jene, die vom Suizid reden, meinten das nicht ernst. Richtig sei vielmehr: „Rund 80 Prozent derer, die sich wegen einer Depression das Leben nehmen, haben vorher entsprechende Hilferufe ausgesandt.“Erna Pleyer: „Das muss man in jedem Fall ernst nehmen.“
Schon bei kleineren Anzeichen. Die wenigsten würden sich das Leben nehmen, wenn ihnen Auswege aus der Krise und der Krankheit aufgezeigt würden. Schlusspunkt der Referentin: „Man kann helfen, wenn man will.“»Kommentar