Guenzburger Zeitung

Erste Hilfe für die Seele

In einem Kurs der Malteser lernen Menschen, wie man bei psychische­n Akutsituat­ionen eingreifen kann. Dabei ist der wichtigste Rat eigentlich der einfachste

- VON WALTER KAISER

In einem Kurs der Malteser in Günzburg lernen Menschen, wie man bei psychische­n Akutsituat­ionen eingreifen kann.

Günzburg Die Hemmschwel­len sind aus vielerlei Gründen hoch. Denn die Frage ist ja nicht leicht zu beantworte­n: Wie als Laie umgehen mit Verwandten, Freunden oder Fremden, die Signale einer psychische­n Erkrankung, etwa einer Depression, aussenden? Diese Hemmschwel­len zu senken, war eines von mehreren Anliegen von Erna Pleyer. Die psychologi­sche Beraterin des MalteserHi­lfsdienste­s hatte zusammen mit Ausbildung­sleiterin Evi Siegmann am Samstag in Günzburg zu einem Seminar mit dem Titel „Erste Hilfe in psychische­n Notsituati­onen“geladen. Ein Fazit der dreistündi­gen Veranstalt­ung: „Viel kann man nicht falsch machen. Es sei denn, man schaut weg.“

Irgendetwa­s hat sich verändert. Der einst lebensfroh­e und aktive Verwandte, Freund oder Arbeitskol­lege ist apathisch, antriebslo­s, ständig erschöpft, lässt sich gehen, zieht sich immer mehr zurück oder spricht von der Sinnlosigk­eit des Lebens. Selbst schlichtes­te Handgriffe des Alltags sind nicht mehr möglich. Eine vorübergeh­ende Schwächeph­ase oder doch das Signal einer ernsthafte­n Krise, einer Erkrankung?

„Hinschauen, nicht wegschauen“, lautet der eindringli­che Appell von Erna Pleyer an die Teilnehmer des Seminars – es sind ausschließ­lich Frauen. Hinschauen, offen und ehrlich auf die Betroffene­n zugehen und die zugewandte Frage stellen: „Ich sehe, es geht Dir nicht gut. Kann ich Dir helfen?“. Das muss nicht unbedingt der Nächste sein. Auch die zufällige Begegnung und ein empathisch­es Gespräch mit einem Unbekannte­n auf der Parkbank könne zu einem Akt der womöglich lebensrett­enden Hilfe werden. „Kranke öffnen sich Fremden gegenüber meist leichter als gegenüber Nahestehen­den.“

Meist bedürfe es nur wenig, um Erkrankten eine Stütze zu sein, betont die Referentin. Oft reiche schon eine halbe Stunde des aktiven Zuhörens, in der sich Kranke den Druck von der Seele reden können. Also: Sich Zeit nehmen und Geduld haben, dabei keine schlauen und wohlfeilen Ratschläge („Das wird schon wieder“) geben, sondern die Empfindung­en des Gegenübers ernst nehmen und nicht bagatellis­ieren. Das alles unter Maßgabe von Artikel 1 des Grundgeset­zes: „Die Würde des Menschen ist unantastba­r.“

Noch immer würden psychische Erkrankung­en stigmatisi­ert. Dabei könnten und müssten etwa Depression­en, Schizophre­nie oder Wahnvorste­llungen ebenso behandelt werden wie Herzinfark­t, Schlaganfa­ll oder Knochenbru­ch. Erna Pleyer: „Der seelische Schmerz ist so groß wie das körperlich­e Leiden.“

Mit dem Zuhören, dem einfühlsa- men Gespräch ist es freilich nicht immer getan. Oft schon bald kann der Punkt erreicht sein, an dem Hinweise auf profession­elle Hilfe angezeigt sind. Dann sei es richtig, aktiv Verantwort­ung zu übernehmen und auf die vielfältig­en Betreuungs­möglichkei­ten hinzuweise­n, etwa in einer psychiatri­schen Klinik. Bei akuter Gefahr für Leib und Leben müsse die Polizei gerufen werden – im Interesse aller. Die Referentin: „Laien sollten nicht über ihre eigenen Grenzen hinausgehe­n.“

In den vergangene­n 20 Jahren hat sich die Zahl der Suizide durch eine depressive Erkrankung auf etwa 10000 Tote pro Jahr halbiert. Die Referentin: „Die Gesellscha­ft ist auf einem guten Weg.“Aber: Das sind jährlich immer noch mehr Tote als durch Verkehrsun­fälle, Drogen und AIDS zusammen. Bedrückend vor allem: Auf einen vollendete­n Suizid kommen schätzungs­weise 15 bis 20 Versuche, vor allem bei Mädchen und jungen Frauen. Falsch sei die Ansicht, jene, die vom Suizid reden, meinten das nicht ernst. Richtig sei vielmehr: „Rund 80 Prozent derer, die sich wegen einer Depression das Leben nehmen, haben vorher entspreche­nde Hilferufe ausgesandt.“Erna Pleyer: „Das muss man in jedem Fall ernst nehmen.“

Schon bei kleineren Anzeichen. Die wenigsten würden sich das Leben nehmen, wenn ihnen Auswege aus der Krise und der Krankheit aufgezeigt würden. Schlusspun­kt der Referentin: „Man kann helfen, wenn man will.“»Kommentar

 ?? Foto: Victoria Bonn-Meuser/dpa ?? Wie bei körperlich­en Notfällen brauchen auch Menschen mit seelischen Erkrankung­en erste Hilfe und sollen mit ihren Problemen nicht alleine gelassen werden. Wie man mit einer solchen Situation umgehen kann, vermittelt ein Seminar, das die Günzburger Malteser jetzt anbieten.
Foto: Victoria Bonn-Meuser/dpa Wie bei körperlich­en Notfällen brauchen auch Menschen mit seelischen Erkrankung­en erste Hilfe und sollen mit ihren Problemen nicht alleine gelassen werden. Wie man mit einer solchen Situation umgehen kann, vermittelt ein Seminar, das die Günzburger Malteser jetzt anbieten.

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