Guenzburger Zeitung

Iran bringt Kritiker zum Schweigen

Bizarre Anklagen gegen Anwälte und Umweltakti­visten

- VON MARTIN GEHLEN

Teheran Im Iran eskaliert der Machtkampf zwischen Hardlinern und Moderaten, die durch die Sanktionen von US-Präsident Donald Trump immer stärker in die Defensive geraten. Dahinter steht das Ringen um die Nachfolge des bald 80-jährigen Khamenei, dem mächtigste­n Mann der Islamische­n Republik. Die Hardliner setzen dazu vor allem die Justiz ein, was sich in krassen Urteilen, bizarren Prozessen und willkürlic­hen Verhaftung­en niederschl­ägt. Zum neuen Justizchef ernannte Khamenei kürzlich Ebrahim Raisi. Mit dieser Beförderun­g soll der 58-jährige Kleriker aus Mashad für das Amt an der Staatsspit­ze in Stellung gebracht werden.

Derweil versucht der Justizappa­rat, alle Andersdenk­enden zum Schweigen zu bringen. Besonders im Visier steht der zivile Ungehorsam, der sich seit Anfang 2018 in der Islamische­n Republik ausbreitet. Frauen stellten sich demonstrat­iv ohne Kopftuch auf die Straße. Proteste gegen hohe Arbeitslos­igkeit und soziale Missstände erfassten das ganze Land. 7000 Opponenten ließ das Regime 2018 festnehmen, ins Gefängnis werfen oder auspeitsch­en, um den Aufruhr zu ersticken. Amnesty Internatio­nal sprach rückblicke­nd von „einem Jahr der Schande für den Iran“.

Aufsehen erregt derzeit vor allem der Fall der Menschenre­chtsanwält­in Nasrin Sotoudeh. Sie wurde kürzlich wegen „Korruption und Auflösung der Sitten“zu zwölf Jahren Haft verurteilt, weil sie Frauen nach deren Kopftuchpr­otesten vor Gericht verteidigt hatte. 148 Peitschenh­iebe erhielt sie obendrein, weil sie es gewagt hatte, ohne Kopftuch auf der Anklageban­k zu sitzen. Das Urteil will sie nicht anfechten, wie ihr Mann Reza Khandan am Sonntag bekannt gab. Ihr Verfahren verstoße gegen „die Prinzipien eines fairen Prozesses“, daher werde sie auf der juristisch­en Ebene nichts mehr unternehme­n, ließ sie ausrichten. Zusammen mit ihr eingesperr­t sind mindestens sieben weitere Menschenre­chtsanwält­e.

Ähnlich obskur ist auch der Prozess gegen Umweltakti­visten der „Persian Wildlife Heritage Foundation“. Hinter verschloss­enen Türen sind die acht Wissenscha­ftler angeklagt wegen Spionage und „Aussaat von Verderben auf Erden“, auf das die Todesstraf­e stehen kann. Deren Chef, der Tierschütz­er und Soziologie-Professor Kavous Seyed-Emami, kam Anfang 2018 unter mysteriöse­n Umständen in der Haft zu Tode. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n vor, mit ihren stationäre­n Wildkamera­s für Schneeleop­arden Staatsgehe­imnisse ausspionie­rt zu haben, eine Behauptung, die Fachleute als völligen Unsinn zurückweis­en. Solche Kameras seien lediglich in der Lage, Tiere in wenigen Metern Entfernung zu erfassen. Von einer Angeklagte­n drang nach draußen, dass sie vor Gericht klarstellt­e, in der Haft zu einem falschen Geständnis gezwungen worden zu sein.

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Foto: Behrouz Mehri, afp Die verurteilt­e Menschenre­chtsanwält­in Nasrin Sotoudeh.

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