Guenzburger Zeitung

Bei Anruf Betrug: Callcenter bereiten der Polizei Sorgen

Die Machenscha­ften von Callcenter­n machen der Polizei derzeit große Sorgen. Im Bereich des Kemptener Präsidiums erbeuteten die Betrüger im Vorjahr 470000 Euro. Wo die Täter sitzen und wie sich Bürger schützen können

- VON REBEKKA JAKOB

1340-mal haben Betrüger 2018 in der Region versucht, per Telefon Geld zu ergaunern. So können sich Bürger schützen.

Kempten Diesen Montag hat es wieder mal geklappt. Betrüger haben bei einem Opfer in Süd-Westschwab­en eine fünfstelli­ge Summe ergaunert – ganz einfach über das Telefon. Als Polizeiprä­sident Werner Strößner am Dienstag in Kempten Journalist­en die Zahlen der Kriminalst­atistik für das Jahr 2018 präsentier­t, hat er auch schon alarmieren­de Zahlen aus dem laufenden Jahr parat: „Wir verzeichne­n bei diesen Betrugsanr­ufen schon jetzt eine Steigerung um mehr als 100 Prozent. Allein in den vergangene­n 24 Stunden haben wir sechs solcher Anrufe im Präsidiums­bereich registrier­t. Einer davon war erfolgreic­h.“

Die Masche der Betrüger wandelt sich dabei – vor einigen Jahren war es vor allem der „Enkeltrick“, bei dem die Täter sich am Telefon den meist älteren Opfern gegenüber als Verwandter ausgaben, der dringend Bargeld benötige. Dieser Trick schien zwar ausgestorb­en, trete aber in letzter Zeit immer wieder auf, berichtet Leitender Kriminaldi­rektor Albert Müller. Häufiger jedoch geben sich die Betrüger mittlerwei­le als Polizeibea­mte, Mitarbeite­r der Staatsanwa­ltschaft oder des Finanzamts aus, die sogar scheinbar von der Notrufnumm­er 110 oder einer Nummer des Polizeiprä­sidiums aus anrufen. Als Ursprungso­rt der Anrufe hat die Polizei die Türkei ausgemacht. Dort arbeiten offenbar Menschen, die akzentfrei­es Deutsch sprechen, vorrangig kurze Telefonnum­mern und Anschlüsse von Menschen anrufen, die keine modernen Vornamen tragen, und gaukeln ihnen den Anruf einer Behörde vor. Das Ziel: die Opfer dazu bewegen, eine möglichst große Summe Bargeld, aber auch Schmuck oder andere Wertsachen, an einen Mittelsman­n zu übergeben. Weil die Adresse angeblich bei einer Einbrecher­bande gefunden worden sei, die eigene Hausbank als Aufbewahru­ngsort nicht sicher wäre oder ein Strafverfa­hren im Ausland drohe. Die Fantasie der Täter kennt dabei offenbar ebenso wenig Grenzen wie ihr Handlungsb­ereich. Der erstreckt sich nicht nur auf den deutschspr­achigen Raum, auch andere europäisch­e Länder verzeichne­n solche Taten.

der Region nimmt die Zahl derartiger Anrufe dramatisch zu: 1340 waren es im vergangene­n Jahr im gesamten Präsidiums­bereich, davon allein 370 im Landkreis NeuUlm und 164 im Landkreis Günzburg. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 registrier­te die Polizei 243 Anrufe im gesamten Zuständigk­eitsbereic­h des Präsidiums, davon 42 im Landkreis Neu-Ulm und zwölf im Landkreis Günzburg. Die Täter werden dadurch allerdings kaum erfolgreic­her: 2017 funktionie­rte die Betrugsmas­che in 14 Fällen, im vergangene­n Jahr waren es 16 Menschen, die auf die Betrüger hereingefa­llen sind. Der Schaden: insgesamt mehr als 470 000 Euro. „In einem Fall lag der Beuteschad­en allein bei 165000 Euro“, sagt Albert Müller. „Das ist meistens alles an Geld, das die Leute für ihren Lebensaben­d aufgespart haben. Teilweise ist es wirklich der letzte Groschen, den die Täter ihnen abnehmen. So etwas wie Mitleid oder Rücksicht gibt es da nicht.“

Die Polizei setzt verstärkt auf Prävention, um potenziell­e Opfer zu warnen. Dass trotz der explodiert­en Fallzahlen kaum mehr Menschen auf die Masche hereinfall­en als vorher, wertet Polizeiprä­sident Strößner auch als Erfolg unter anderem der häufigen Medienberi­chte zu diesem Thema. An die Urheber kommen die Ermittler aber nur selten heran – ein Callcenter in der Türkei sei im vergangene­n Jahr mithilfe von Beamten der Münchner Polizei ausgehoben worden, sagt Strößner. Doch schon wenige Wochen später sei es mit den Anrufen weiter gegangen. Bisweilen schafft es die Polizei auch, die Mittelsmän­ner abzufanIn gen, die zu den Opfern geschickt werden, um als vermeintli­che „Polizisten“Bargeld und Wertsachen abzuholen. Eine solche Festnahme sei beispielsw­eise im Raum Neu-Ulm gelungen, auch in Kaufbeuren nahm die Polizei zwei Männer fest, die mittlerwei­le in erster Instanz verurteilt wurden.

Dass nicht jeder, der sich am Telefon als Beamter der Polizei ausgibt, auch einer ist, haben durch die vielen Berichte über die Machenscha­ften der Callcenter-Betrüger inzwischen auch viele ältere Menschen mitbekomme­n. Doch für die echte Polizei ist das wachsende Misstrauen bisweilen ebenfalls ein Problem, räumt Strößner ein: „Das Vertrauen in die echte Polizei beginnt durch solche Taten zu bröckeln.“Diese Tipps hat die Polizei zusammenge­stellt: ● Die Polizei selbst ruft niemals unter der Telefonnum­mer 110 an.

● Keine Behörde fordert telefonisc­h Wertgegens­tände, Bargeld oder Überweisun­gen.

● Gesundes Misstrauen ist keine Unhöflichk­eit – genau hinterfrag­en, skeptisch sein und sich nicht unter Zeitdruck bringen lassen.

● Mit der Familie oder einer Vertrauens­person über den Anruf sprechen.

● Nicht die Rückruffun­ktion nutzen oder von vorgetäusc­hten Freizeiche­n täuschen lassen. Auflegen und den Notruf „110“, am besten mit einem anderen Telefon (Mobiltelef­on oder Apparat des Nachbarn etc.) wählen.

● Bei wiederholt­en Anrufen die eigene Telefonnum­mer ändern und einen Telefonbuc­h- oder Internetei­ntrag unterlasse­n. »Kommentar

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Mehr als 1340 betrügeris­che Callcenter-Anrufe verzeichne­te das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West im vergangene­n Jahr, mehr als fünfmal so viele wie noch 2017. Zwar fallen nicht wesentlich mehr Menschen auf die Täter herein – trotzdem konnten Betrüger auf diese Weise mehr als 470000 Euro erbeuten.
Symbolfoto: Alexander Kaya Mehr als 1340 betrügeris­che Callcenter-Anrufe verzeichne­te das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West im vergangene­n Jahr, mehr als fünfmal so viele wie noch 2017. Zwar fallen nicht wesentlich mehr Menschen auf die Täter herein – trotzdem konnten Betrüger auf diese Weise mehr als 470000 Euro erbeuten.

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