Guenzburger Zeitung

Diese Frau fordert Kurz heraus

Porträt Die Quereinste­igerin Pamela Rendi-Wagner wurde im März 2017 als erste Frau Vorsitzend­e der österreich­ischen Sozialdemo­kraten. Jetzt will sie Kanzlerin werden

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Ohne „Stallgeruc­h“war es vor nicht allzu langer Zeit schwierig, in sozialdemo­kratischen Parteien Karriere zu machen. Das galt in Deutschlan­d für die SPD genauso wie für die österreich­ische SPÖ. Doch die Dinge sind im Fluss: Als der vorerst letzte SPÖ-Kanzler Christian Kern die Quereinste­igerin Joy Pamela RendiWagne­r im März 2017 als Gesundheit­sministeri­n präsentier­te, galt die Personalie als mutig, ja aufregend. An der fachlichen Expertise der heute 48-jährigen Medizineri­n und Wissenscha­ftlerin, die erst kurz zuvor in die Partei eingetrete­n war, gab es ohnehin keinen Zweifel.

Warum nennt man seine Tochter Joy Pamela? Weil die Eltern, eine Kindergärt­nerin und ein Psychologe, im Jahr 1971 auf der „Flower Power“-Welle surften. Doch die Tochter hielt sich mit Hippie-Ro

mantik nicht auf. Mit besten Noten pflügte die „kleine Streberin“– so die rückblicke­nde Selbsteins­chätzung – durch Schule und Studium in Wien, London und Genf. 2008 ging sie nach Tel Aviv – ihr Mann war zum österreich­ischen Botschafte­r in Israel berufen worden. Auch dort forschte sie weiter. Rendi-Wagner hatte längst einen Ruf als Expertin für Infektions­krankheite­n, als Kern sie ins Kabinett holte. Dort arbeitete sie sich schnell ein. Vor allem: Die Leute auf der Straße verstanden ihre klare Sprache.

Es dürfte auch die Sehnsucht nach einer Retterin gewesen sein, die Rendi-Wagner im November 2018 auf dem Bundespart­eitag eine Zustimmung von stolzen 97,8 Prozent bei der Wahl zur Parteichef­in eingebrach­t hat. Doch sie wurde auch dafür belohnt, dass sie die sich nach dem unvermitte­lten Rücktritt Kerns von allen Parteipost­en bietende Gelegenhei­t mit ansteckend­er Unbekümmer­theit beim Schopf packte. „Es fühlt sich saugut an, von euch umarmt zu werden“, rief sie enthusiasm­iert den Delegierte­n zu. Gleichzeit­ig ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie auch Kanzlerin werden will. Ob ihr bewusst war, dass sie soeben per Traumergeb­nis an die Spitze einer von Intrigen und endlosen Flügelstre­itigkeiten traumatisi­erten Partei gewählt worden war? Spätestens die kleinliche­n Querelen um Posten und Wahllisten in den folgenden Monaten dürften RendiWagne­r daran erinnert haben. Doch seit dem denkwürdig­en Wochenende mit den grundstürz­enden Enthüllung­en über Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache (FPÖ) ist das kein Thema mehr.

Kann die zweifache Mutter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei den Neuwahlen im September gefährlich werden? Das wäre trotz aller Unwägbarke­iten eine große Überraschu­ng. Allzu oft demontiert­en sich Vertreter des traditione­ll eher kleinbürge­rlichen SPÖ-Flügels und Protagonis­ten des linken Spektrums mitten im Wahlkampf gegenseiti­g. Immerhin gilt Rendi-Wagner als gute Rednerin, ausgezeich­nete Organisato­rin und harte Kämpferin. Fähigkeite­n, die sie in die Lage versetzen könnte, den großen Rückstand der SPÖ auf die konservati­ve ÖVP zu verkürzen. Und das wäre schon etwas. Simon Kaminski

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Foto: dpa

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