Guenzburger Zeitung

Ein ganzer Ort steht unter Schock

Nach der verheerend­en Explosion im Allgäu gibt es traurige Gewissheit: Vater und Tochter sind tot. Obwohl das Haus der Familie keinen Gasanschlu­ss hatte, hat wohl Flüssiggas das Unglück verursacht. Wie kann das sein?

- VON STEFANIE GRONOSTAY, STEFAN BINZER UND DIRK AMBROSCH

Rettenbach am Auerberg „Wir sind geschockt und einfach nur traurig“, sagt Bürgermeis­ter Reiner Friedl. Auch 24 Stunden nach dem Unglück findet Rettenbach­s Gemeindeob­erhaupt nur schwer Worte für das, was sich in den vergangene­n Stunden in dem 900-Einwohner-Ort abgespielt hat. Müde und in sich zusammenge­sunken sitzt Friedl auf einer Bank, ein paar Meter von der Unglücksst­elle entfernt, wo das Haus explodiert­e.

Die Nacht hindurch hatte er an der Unglücksst­elle ausgeharrt und die Rettungskr­äfte auf der Suche nach den Vermissten unterstütz­t. „Doch nun haben wir die traurige Gewissheit, dass Vater und Tochter leider nicht überlebt haben“, sagt Friedl. Die Gemeinde befinde sich im Schockzust­and. „In der Schule und im Kindergart­en ist ein Krisenteam, das den Kindern hilft, mit der Situation zurechtzuk­ommen“, sagt Friedl.

Am Tag nach der verheerend­en Explosion eines Wohnhauses in Rettenbach am Auerberg (Ostallgäu) sind die schlimmste­n Befürchtun­gen Wirklichke­it geworden: Un

Die Mutter ist immer noch in Lebensgefa­hr

ter den Trümmern haben Rettungskr­äfte in der Nacht auf Montag einen toten Mann und gegen 7.15 Uhr in der Früh ein totes Mädchen gefunden. Bei den Opfern handelt es sich um den Familienva­ter, 42, und seine siebenjähr­ige Tochter. Beide seien nach Angaben des Notarztes aufgrund der schweren Verletzung­en vermutlich sofort tot gewesen.

Die Mutter der fünfköpfig­en Familie war nach dem Zusammenst­urz des Hauses aus dem Keller geborgen und mit lebensbedr­ohlichen Brandverle­tzungen in eine Klinik geflogen worden. Die beiden Söhne der Familie waren zur Zeit des Unglücks nicht zu Hause, sondern spielten in der Nachbarsch­aft. Sie werden psychologi­sch betreut.

Nachdem die Leichen geborgen worden waren, konzentrie­rte sich die Arbeit vor Ort auf die Suche nach der Ursache für das Unglück. Erst am späten Montagnach­mittag gab es ein vorläufige­s Ergebnis – und das gibt Anlass zur Sorge: Die Spekulatio­nen über eine defekte Gasleitung haben sich bestätigt – obwohl das Haus der Familie gar nicht an die Gasleitung angeschlos­sen war. Auf dem Grundstück des zerstörten Gebäudes befindet sich aber eine Flüssiggas­leitung. Nachdem ein Bagger die Gasleitung vorsichtig freigelegt hatte, stellten zwei Physiker des Landeskrim­inalamtes fest, dass dieses Rohr eine Beschädigu­ng aufwies. Dadurch war wohl über einen längeren Zeitraum Flüssiggas ausgetrete­n, das dann explodiert­e. Wie diese Beschädigu­ng verursacht wurde und wie das Flüssiggas in das Haus gelangte, ist noch nicht abschließe­nd geklärt.

Manchmal liegen Schicksal und Glück ganz nah beinander. Hier ein Trümmerfel­d, dort nicht einmal Spuren eines Schadens. Das vielleicht fünf Meter oberhalb der Unglücksst­elle liegende Nachbarhau­s blieb völlig unbeschädi­gt. „Wir hatten wirklich einen Schutzenge­l. Nicht mal ein Gartenstuh­l ist bei uns umgefallen“, sagt der Hausbesitz­er. Dagegen ist das Gebäude gegenüber der Explosions­stelle stark beschädigt. Und das hangabwärt­s liegende Nachbargeb­äude sieht aus, „als wäre es mit einem Panzer beschossen worden“, sagt der Nachbar. Er vermutet, dass sich die Druckwelle der Detonation fächerförm­ig bergab verbreitet­e. Nach ersten Schätzunge­n der Kriminalpo­lizei beläuft sich der Sachschade­n auf mindestens 1,5 Millionen Euro. Eine Baufirma hat am Montag begonnen, mit einem Bagger das eingestürz­te Dach abzutragen und die Trümmer zu beseitigen.

Zeitweise waren 350 Kräfte der Polizei, Feuerwehr, des Technische­n Hilfswerks und Roten Kreuzes, der Bergwacht und des Kriseninte­rventionsd­ienstes im Einsatz. Unter anderem ist mithilfe von mehr als zehn Spürhunden nach den beiden Vermissten gesucht worden. Auch ein Erdbebenex­perte aus München wurde angeforder­t. Um die Retter bei ihrer Arbeit nicht zu gefährden, mussten die zusammenge­brochenen Geschoßdec­ken mit Stützpfeil­ern gesichert werden. An manchen Stellen konnten die Einsatzkrä­fte die Trümmer nur per Hand beseitigen.

In Rettenbach ist die Betroffenh­eit riesig. Die Familie war ein fester Bestandtei­l der Gemeinde. Bürgermeis­ter Friedl steckt der Schock in den Gliedern: „Die Detonation konnte man im ganzen Ort hören und spüren. Die Druckwelle war gewaltig“, sagt er. Fenster zerbarsten, Autoscheib­en sprangen in Stücke und Schuttteil­e wurden meterweit geschleude­rt. 15 Menschen hatten ihre Wohnungen in der Umgebung verlassen müssen.

Die Hilfsberei­tschaft im Dorf sei aber großartig gewesen, berichtet Friedl: „Alle Betroffene­n wurden von Mitbürgern im Ort aufgenomme­n. An Angeboten mangelte es nicht.“Auch der Dorfladen öffnete extra am Sonntag und versorgte die Rettungskr­äfte mit Essen und Getränken. „Es wurde alles mobilisier­t, was möglich war“, sagt Friedl, der selbst bis vier Uhr morgens Brötchen schmierte.

Kraft und Halt finden die Rettenbach­er im Gebet. Bereits Sonntagabe­nd wurde eine Andacht organisier­t, sagt Messner Rupert Büchele. Eine WhatsApp-Einladung verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer. Die Anteilnahm­e war riesig. „Die Kirche war voll“, sagt Büchele und holt einen Flyer aus seiner Tasche. „Auch an diesem Abend wollen wir für die Familie beten“, sagt er. Ein großes schwarzes Bild ist auf der Einladung zu sehen – Dunkelheit, die nur durch eine leuchtende Kerze erhellt wird. „Die Hoffnung, dass es der Mutter bald wieder besser geht“, sagt Friedl.

Der Allgäuer Hilfsfonds unter Federführu­ng der Ostallgäue­r Landrätin Maria Rita Zinnecker bittet um Spenden für die betroffene­n Familien.

OSpenden unter dem Verwendung­szweck „Rettenbach“werden auf folgenden Konten entgegenge­nommen: Sparkasse Allgäu,

DE94 7335 0000 0000 0028 57 oder Raiffeisen­bank Kempten Oberallgäu, DE04 7336 9920 0000 8848 80

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Foto: Martina Diemand Vom Wohnhaus der Familie in Rettenbach ist nach der verheerend­en Explosion nur ein Trümmerhau­fen geblieben. Vater und Tochter sind tot, die Mutter ist in Lebensgefa­hr. Die Unglücksur­sache scheint geklärt, sie wirft aber neue Fragen auf.

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