Ein ganzer Ort steht unter Schock
Nach der verheerenden Explosion im Allgäu gibt es traurige Gewissheit: Vater und Tochter sind tot. Obwohl das Haus der Familie keinen Gasanschluss hatte, hat wohl Flüssiggas das Unglück verursacht. Wie kann das sein?
Rettenbach am Auerberg „Wir sind geschockt und einfach nur traurig“, sagt Bürgermeister Reiner Friedl. Auch 24 Stunden nach dem Unglück findet Rettenbachs Gemeindeoberhaupt nur schwer Worte für das, was sich in den vergangenen Stunden in dem 900-Einwohner-Ort abgespielt hat. Müde und in sich zusammengesunken sitzt Friedl auf einer Bank, ein paar Meter von der Unglücksstelle entfernt, wo das Haus explodierte.
Die Nacht hindurch hatte er an der Unglücksstelle ausgeharrt und die Rettungskräfte auf der Suche nach den Vermissten unterstützt. „Doch nun haben wir die traurige Gewissheit, dass Vater und Tochter leider nicht überlebt haben“, sagt Friedl. Die Gemeinde befinde sich im Schockzustand. „In der Schule und im Kindergarten ist ein Krisenteam, das den Kindern hilft, mit der Situation zurechtzukommen“, sagt Friedl.
Am Tag nach der verheerenden Explosion eines Wohnhauses in Rettenbach am Auerberg (Ostallgäu) sind die schlimmsten Befürchtungen Wirklichkeit geworden: Un
Die Mutter ist immer noch in Lebensgefahr
ter den Trümmern haben Rettungskräfte in der Nacht auf Montag einen toten Mann und gegen 7.15 Uhr in der Früh ein totes Mädchen gefunden. Bei den Opfern handelt es sich um den Familienvater, 42, und seine siebenjährige Tochter. Beide seien nach Angaben des Notarztes aufgrund der schweren Verletzungen vermutlich sofort tot gewesen.
Die Mutter der fünfköpfigen Familie war nach dem Zusammensturz des Hauses aus dem Keller geborgen und mit lebensbedrohlichen Brandverletzungen in eine Klinik geflogen worden. Die beiden Söhne der Familie waren zur Zeit des Unglücks nicht zu Hause, sondern spielten in der Nachbarschaft. Sie werden psychologisch betreut.
Nachdem die Leichen geborgen worden waren, konzentrierte sich die Arbeit vor Ort auf die Suche nach der Ursache für das Unglück. Erst am späten Montagnachmittag gab es ein vorläufiges Ergebnis – und das gibt Anlass zur Sorge: Die Spekulationen über eine defekte Gasleitung haben sich bestätigt – obwohl das Haus der Familie gar nicht an die Gasleitung angeschlossen war. Auf dem Grundstück des zerstörten Gebäudes befindet sich aber eine Flüssiggasleitung. Nachdem ein Bagger die Gasleitung vorsichtig freigelegt hatte, stellten zwei Physiker des Landeskriminalamtes fest, dass dieses Rohr eine Beschädigung aufwies. Dadurch war wohl über einen längeren Zeitraum Flüssiggas ausgetreten, das dann explodierte. Wie diese Beschädigung verursacht wurde und wie das Flüssiggas in das Haus gelangte, ist noch nicht abschließend geklärt.
Manchmal liegen Schicksal und Glück ganz nah beinander. Hier ein Trümmerfeld, dort nicht einmal Spuren eines Schadens. Das vielleicht fünf Meter oberhalb der Unglücksstelle liegende Nachbarhaus blieb völlig unbeschädigt. „Wir hatten wirklich einen Schutzengel. Nicht mal ein Gartenstuhl ist bei uns umgefallen“, sagt der Hausbesitzer. Dagegen ist das Gebäude gegenüber der Explosionsstelle stark beschädigt. Und das hangabwärts liegende Nachbargebäude sieht aus, „als wäre es mit einem Panzer beschossen worden“, sagt der Nachbar. Er vermutet, dass sich die Druckwelle der Detonation fächerförmig bergab verbreitete. Nach ersten Schätzungen der Kriminalpolizei beläuft sich der Sachschaden auf mindestens 1,5 Millionen Euro. Eine Baufirma hat am Montag begonnen, mit einem Bagger das eingestürzte Dach abzutragen und die Trümmer zu beseitigen.
Zeitweise waren 350 Kräfte der Polizei, Feuerwehr, des Technischen Hilfswerks und Roten Kreuzes, der Bergwacht und des Kriseninterventionsdienstes im Einsatz. Unter anderem ist mithilfe von mehr als zehn Spürhunden nach den beiden Vermissten gesucht worden. Auch ein Erdbebenexperte aus München wurde angefordert. Um die Retter bei ihrer Arbeit nicht zu gefährden, mussten die zusammengebrochenen Geschoßdecken mit Stützpfeilern gesichert werden. An manchen Stellen konnten die Einsatzkräfte die Trümmer nur per Hand beseitigen.
In Rettenbach ist die Betroffenheit riesig. Die Familie war ein fester Bestandteil der Gemeinde. Bürgermeister Friedl steckt der Schock in den Gliedern: „Die Detonation konnte man im ganzen Ort hören und spüren. Die Druckwelle war gewaltig“, sagt er. Fenster zerbarsten, Autoscheiben sprangen in Stücke und Schuttteile wurden meterweit geschleudert. 15 Menschen hatten ihre Wohnungen in der Umgebung verlassen müssen.
Die Hilfsbereitschaft im Dorf sei aber großartig gewesen, berichtet Friedl: „Alle Betroffenen wurden von Mitbürgern im Ort aufgenommen. An Angeboten mangelte es nicht.“Auch der Dorfladen öffnete extra am Sonntag und versorgte die Rettungskräfte mit Essen und Getränken. „Es wurde alles mobilisiert, was möglich war“, sagt Friedl, der selbst bis vier Uhr morgens Brötchen schmierte.
Kraft und Halt finden die Rettenbacher im Gebet. Bereits Sonntagabend wurde eine Andacht organisiert, sagt Messner Rupert Büchele. Eine WhatsApp-Einladung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die Anteilnahme war riesig. „Die Kirche war voll“, sagt Büchele und holt einen Flyer aus seiner Tasche. „Auch an diesem Abend wollen wir für die Familie beten“, sagt er. Ein großes schwarzes Bild ist auf der Einladung zu sehen – Dunkelheit, die nur durch eine leuchtende Kerze erhellt wird. „Die Hoffnung, dass es der Mutter bald wieder besser geht“, sagt Friedl.
Der Allgäuer Hilfsfonds unter Federführung der Ostallgäuer Landrätin Maria Rita Zinnecker bittet um Spenden für die betroffenen Familien.
OSpenden unter dem Verwendungszweck „Rettenbach“werden auf folgenden Konten entgegengenommen: Sparkasse Allgäu,
DE94 7335 0000 0000 0028 57 oder Raiffeisenbank Kempten Oberallgäu, DE04 7336 9920 0000 8848 80