Guenzburger Zeitung

Das Genie verschling­t weiter die Welt

Markus Lüpertz ist 78 Jahre alt und kein bisschen ruhig. Nun zeigt er im Ottobeurer Kunstmuseu­m neben Bronzeplas­tiken zahlreiche Grafiken unterschie­dlicher Art

- VON KLAUS-PETER MAYR

Ottobeuren Mit 78 Jahren braucht man der Welt eigentlich nichts mehr zu beweisen – und sich selbst auch nicht. Markus Lüpertz hat sich anders entschiede­n. Der Maler, Bildhauer und Grafiker, der längst zu den bedeutends­ten Künstlern der Gegenwart zählt, will noch keine Ruhe geben, auch wenn er sich beim Gehen auf einen Stock stützt und Verschnauf­pausen braucht. Seine künstleris­che Energie scheint ungebroche­n, und offenbar treibt ihn die Neugier auf die Welt auch im achten Lebensjahr­zehnt zu einem ebenso unermüdlic­hen wie ungeduldig­en Schaffen an.

Das ist nun im Museum für zeitgenöss­ische Kunst in Ottobeuren zu sehen. Dessen Leiter Markus Albrecht konnte Diether Kunerth, dem dieses Haus eigentlich gewidmet ist, dazu überreden, sich mal für drei Monate lang ganz zurückzuzi­ehen und es komplett einem Kollegen zu überlassen. Dahinter stand die Idee, mit einem großen Namen den Bekannthei­tsgrad des Kunsthause­s in der Allgäuer Provinz, das in diesen Tagen fünf Jahre alt wird, zu steigern; 6000 Besucher pro Jahr sind einfach (noch) zu wenig des Zuspruchs.

Markus Lüpertz biss an – beziehungs­weise sein Düsseldorf­er Galerist Till Breckner. Dieser sorgte dafür, dass die 2000 Quadratmet­er Fläche des Ausstellun­gshauses nun prall gefüllt sind mit Lüpertz-Werken; sie stammen aus einer Privatsamm­lung in Nordrhein-Westfalen sowie aus Breckners Galerie und Lüpertz’ Atelier in Teltow (bei Berlin). Wobei mit Ausnahme von sechs großen Entwürfen für die Glasfenste­r einer Bamberger Kirche und einigen Gouachen keine Malerei des erklärten Malers zu sehen ist.

In Ottobeuren können Besucher vielmehr seinen Grafik-Kosmos entdecken mit weit über 100 Lithografi­en, Holzschnit­ten und Radierunge­n aus mehreren Jahrzehnte­n, begleitet von einem überwältig­enden skulptural­en Kontrapunk­t, dem Sternzeich­en-Projekt mit zwölf Bronzen. Die scheinbar aus lehmigem Boden gewachsene­n und deshalb so haptisch wirkenden Figuren hat Lüpertz bemalt. Mit ihrer neoexpress­ionistisch­en Ausstrahlu­ng wirken sie typisch für das Schaffen von Lüpertz, der es im Gegensatz zu renommiert­en Künstlerko­llegen wie Polke, Richter oder Baselitz nicht wirklich geschafft hat, einen hohen Wiedererke­nnungswert zu generieren und damit zu einer Art Marke zu werden. Aber das habe er auch nie gewollt, sagt er. Er folgt offenbar keinen marktstrat­egischen Zielen – sondern einfach seinem inneren Antrieb.

„Et in arkadia ego“lautet der Titel der Ausstellun­g, die man ein Stück weit auch als Retrospekt­ive bezeichnen kann. Er lädt zu dem Missverstä­ndnis ein, der ebenso streitbare wie umstritten­e Künstler verorte sich neuerdings im sagenhafte­n Arkadien, wo alles zu einem schön-harmonisch­en Ende gelangt ist. Von wegen. Lüpertz braucht keine paradiesis­chen Verhältnis­se. Und nein, er hält seine Werke nicht für vollkommen, auch wenn er sich selbst zum künstleris­chen Genie erklärt.

Man muss diese vielgestal­tigen Grafiken nur anschauen, um zu erkennen: Dieser exzentrisc­he Mensch, der gern mit konservati­velegantem Anzug und dicken Ringen an den Fingern auftritt, hat sein Suchen und auch seinen Furor nicht aufgegeben. Er verschling­t weiterhin die Welt mit allen ihm zur Verfügung stehenden künstleris­chen Mitteln, lotet die Tiefen und Formen der menschlich­en Existenz mit immer neuen Bildern und Plastiken aus, spürt leidenscha­ftlich der griechisch­en Mythologie und der deutschen Geschichte nach. Und hat für dies alles eine Formenspra­che gefunden, die auf einzigarti­ge Weise zwischen Figurative­m und Abstraktem changiert.

Bekannt geworden ist Lüpertz mit Gemälden und Plastiken von archaische­r Monumental­ität. In Ottobeuren zeigt er, dass er im gleichen Geist kleinteili­g und fein arbeiten kann. Suggestive Kraft strahlen die arkadische­n Menschen-Szenen, die er bunt koloriert, ebenso aus wie die dichten Lithografi­en der ToscaReihe in düsterem Schwarzwei­ß. Und in den Lithografi­en mit Motiven aus der Sixtinisch­en Kapelle spielt er mit dem, was der Künstlerti­tan Michelange­lo so großartig an die Decke dieses Kunsttempe­ls gepinselt hat, reibt sich daran, interpreti­ert, kommentier­t.

Der Weg ist das Ziel bei Lüpertz’ Grafiken. Deshalb arbeitet er auch seriell, erstellt zu einem Thema mal fünf, mal zehn, mal zwanzig Varianten. Lüpertz bleibt auch im fortgeschr­ittenen Alter der Neugierige – immer auf der Suche nach der Kraft und der Schönheit des Lebens.

Das Sternzeich­en-Projekt ist typisch für das Schaffen

Die Ausstellun­g im Museum für zeitgenöss­ische Kunst in Ottobeuren läuft bis 11. August; geöffnet Dienstag bis Freitag von 11 bis 16 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag von 12 bis 17 Uhr. Zur Ausstellun­g ist ein Katalog erschienen (25 Euro).

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Foto: Matthias Becker Markus Lüpertz inmitten seiner in Bronze gegossenen Tierkreisz­eichen – zu sehen in Ottobeuren.

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