Guenzburger Zeitung

„Mich ärgert die Politik mancher Konzerne“

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wirft Unternehme­n aus der Autobranch­e vor, jetzt auf Entlassung­en und Standortve­rlagerunge­n zu setzen, kaum dass ihnen der Wind etwas ins Gesicht bläst

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Deutschlan­d investiert massiv in den Klimaschut­z und will die E-Mobilität mit höheren Prämien für den Autokauf ankurbeln. Funktionie­rt das?

Jörg Hofmann: Das geht in die richtige Richtung. Wir müssen die E-Mobilität für Kunden so attraktiv machen, dass sie die Autos auch kaufen. Das gilt umso mehr, als in der Anfangszei­t der E-Mobilität die Preise noch höher sind, weil es noch keine Massenprod­uktion gibt. Deswegen brauchen wir Kaufanreiz­e. Das allein reicht aber nicht. Wir müssen auch die Lade-Infrastruk­tur parallel dazu massiv ausbauen.

Das Herz des E-Autos ist die Batterie. Sie steht für ein hohes Maß an Wertschöpf­ung. Müssen sich Firmen hierzuland­e nicht viel stärker auf dem Gebiet engagieren?

Hofmann: Aufgabe ist es, was die Herstellun­g der Batterieze­llen betrifft, sich aus der Abhängigke­it der asiatische­n Hersteller zu befreien. Sonst sind wir weiter, was dieses knappe Gut betrifft, dem Preisdikta­t eines Oligopols aus Fernost ausgesetzt. Kostengüns­tige E-Mobilität gibt es nur dann, wenn wir in Europa in der Lage sind, alle Teile eines Elektroaut­os zu fertigen, also auch die Batterien.

Die Forschungs­fabrik für die Produktion von Batterieze­llen entsteht ja zum Entsetzen der Autohochbu­rgen Bayern und Baden-Württember­g in Münster.

Hofmann: Wir brauchen insgesamt mehr private Investitio­nen und öffentlich­e Förderung. Auch im Süden. Nach einem großen Tamtam zu Beginn droht diese Diskussion um Förderproj­ekte aus dem EU-Topf gerade in einem Bermudadre­ieck zu versinken. Es muss uns vor allem um die Industrial­isierung der Batterieze­lle für die geforderte­n großen Stückzahle­n gehen. Forschungs­fabriken sind auch wichtig, aber hier ist nicht der eigentlich­e Engpass. Der Süden muss sich dabei auch selbst bewegen.

Was sind Ihre Forderunge­n an Bayerns Ministerpr­äsident Söder? Hofmann: Der Süden und damit auch Herr Söder müssen dazu beitragen, dass der grüne Windkrafts­trom aus dem Norden in den Süden über entspreche­nde Netze weitergele­itet werden kann. Wenn der Strom nicht in großen Mengen aus Nord- nach Süddeutsch­land transporti­ert wird, besteht die Gefahr, dass beispielsw­eise die Batterieze­llen-Produktion nach Osteuropa abwandert. Das wäre bitter für das Klima, aber auch für Deutschlan­d, weil sich in der Batterieze­lle Innovation­skraft und Wertschöpf­ung der Autoindust­rie künftig bündeln werden.

Teilen Sie die Sorgen vieler Betriebsrä­te aus der Autobranch­e, dass der Wirtschaft­szweig in Sachen „Klimaschut­z“überforder­t wird?

Hofmann: Alle früheren Versuche, die Branche mit freiwillig­en Verpflicht­ungen zur CO -Reduzierun­g zu bewegen, sind gescheiter­t. Deswegen geht die EU den richtigen Weg, die Autobauer zu verpflicht­en, den CO -Ausstoß ihrer Fahrzeugfl­otten deutlich zu verringern.

Klappt das?

Hofmann: Die Autoherste­ller können das schaffen. Sie haben und werden ausreichen­d attraktive E-Fahrzeuge auf den Markt bringen. Doch das reicht nicht. Wenn im Jahr 2030 sieben bis zehn Millionen E-Autos in Deutschlan­d fahren sollen, müssen Ladesäulen und Energiespe­icher in großer Menge gebaut werden. Das muss aber flott geschehen. Wenn die E-Wende nicht gelingt, muss Deutschlan­d bis 2030 Milliarden­Strafzahlu­ngen an die EU leisten.

Muss der Staat, um die Klimawende zu schaffen, die Politik der „Schwarzen Null“aufgeben?

Hofmann: Wann, wenn nicht jetzt, muss diese Politik der ,Schwarzen Null‘ aufgegeben werden? Denn mit den Milliarden, die Deutschlan­d für den Klimaschut­z investiert, spart sich das Land später von Brüssel verhängte Strafgelde­r. Und dank der Niedrigzin­spolitik der EZB ist es günstig, sich für den Klimaschut­z zu verschulde­n.

Wie lässt sich der Schwenk in der Klimapolit­ik für Beschäftig­ung sozial gestalten? Durch die E-Mobilität droht ein massiver Arbeitspla­tzabbau. Hofmann: Wer, wenn nicht Deutschlan­d und seine innovative Industrie und qualifizie­rten Beschäftig­ten, ist in der Lage, den Klimawande­l ohne einen Verlust an Wachstum und Beschäftig­ung hinzubekom­men? Wir sind zum Erfolg verdammt für eine soziale und ökologisch­e Wende. Auch wenn Deutschlan­d nur für rund zwei Prozent des weltweiten CO -Ausstoßes verantwort­lich ist. Wenn wir nicht hinbekomme­n, dass Klimaschut­z, Beschäftig­ung und soziale Gerechtigk­eit vereinbar sind, wird sich das negativ auf das Klimaengag­ement anderer Länder auswirken. Dann wird das globale Klimaschut­zziel nicht erreichbar sein.

Wie viele Jobs gehen also verloren? Hofmann: Gerade in der Autobranch­e wird es massive Umstruktur­ierungen geben, die mit Arbeitspla­tzverluste­n einhergehe­n. Wir als Gewerkscha­ft schützen in diesem Umbauproze­ss die Beschäftig­ten, wir können aber nicht jeden einzelnen Arbeitspla­tz retten. Wir kämpfen dafür, dass die Beschäftig­ten auch in zehn Jahren eine Job-Perspektiv­e haben. Dazu müssen die Unternehme­n neue Arbeitsplä­tze für Stellen schaffen, die in der Verbrenner­technologi­e verloren gehen.

Fallen mehr als 100 000 Jobs weg? Hofmann: Aus einer von uns angestoßen­en Studie des Fraunhofer IAO geht hervor, dass insgesamt unmittelba­r 120 000 Arbeitsplä­tze wegfallen. Nach einer anderen Studie, die auch die indirekten Effekte auf den Maschinenb­au einbezieht, ist von 150 000 Jobs, die auf der Kippe stehen, die Rede. Wenn es uns aber gelingt, auch in Deutschlan­d in größerem Maße Komponente­n für Elektroaut­os wie Batterieze­llen zu bauen, wird dieser Rückgang geringer ausfallen. Und es entstehen neue Jobs auch durch das autonome Fahren und neue Mobilitäts­konzepte. Was uns entgegenko­mmt, ist die demografis­che Entwicklun­g. Diese ist aber ein süßes Gift.

Süßes Gift? Was meinen Sie damit? Hofmann: Die geburtenst­arken Jahrgänge gehen absehbar in Rente. Durch diesen Effekt können die Firmen leichter Stellen, die durch den Übergang vom Verbrenner auf E-Mobilität nicht mehr gebraucht werden, abbauen. Wenn es gut läuft, müssen sie daher keine Mitarbeite­r entlassen. Dadurch sinkt aber insgesamt die Beschäftig­ung in der Autoindust­rie. Und das beschädigt die Wirtschaft­skraft in den Autoregion­en Deutschlan­ds.

Wie kann man dem entgegenwi­rken? Hofmann: Indem die Autoindust­rie neue attraktive Arbeitsplä­tze in den angesproch­enen neuen Geschäftsf­eldern schafft. Zentral wird sein, Mitarbeite­r, die heute noch an Verbrennun­gsmotoren arbeiten, für die neuen Produkte und Dienstleis­tungen zu qualifizie­ren. Auf alle Fälle darf die Industrie den Wandel nicht nutzen, um sich vom Standort Deutschlan­d zu verabschie­den und zum Beispiel Komponente­n für Elektroaut­os in Osteuropa zu bauen.

Ist diese Gefahr groß?

Hofmann: Ja, es gibt schon Unternehme­n, die sich mit solchen Plänen beschäftig­en. Hier ist auch die Bundesregi­erung gefordert. Sie kann zwar nicht die Firmen daran hindern, Arbeitsplä­tze nach Osteuropa zu verlagern, aber sie kann durch eine kluge Förderpoli­tik für gute Standortvo­raussetzun­gen sorgen. Etwa: Viele mittlere und kleinere Unternehme­n der Autobranch­e haben momentan, auch wegen zu strenger Auflagen, Probleme, Kredite zu bekommen. Hier besteht die Gefahr, dass solche Firmen dann in Umbruchzei­ten aufgeben, was gerade für ländliche Regionen, wo diese Betriebe oft wichtige Arbeitgebe­r sind, gefährlich ist. So könnte auf Dauer unser Zulieferne­tzwerk in Deutschlan­d Schaden nehmen.

Sie fordern ein Transforma­tionsKurza­rbeitergel­d. Was wollen Sie damit bewirken?

Hofmann: Dass durch den Wandel vom Verbrenner hin zu Elektroaut­os Arbeitslos­igkeit vermieden wird. Mit diesem neuen Instrument kann Kurzarbeit genutzt werden, um die Beschäftig­ten für Tätigkeite­n an neuen Produkten und Dienstleis­tungen zu qualifizie­ren. Wir müssen Brücken bauen in eine Zukunft, in der sich die Mobilität ändern wird. Damit verhindern wir, dass Beschäftig­te unter die Räder kommen. Ich bin froh, dass Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil hier handeln will. Brauchen wir eine massive Bildungsof­fensive für Deutschlan­d?

Hofmann: Ja, wir müssen im Zuge der wirtschaft­lichen Umbruchpro­zesse durch den Klimawande­l nicht nur in Maschinen, sondern massiv auch in Menschen investiere­n.

Zumal die Konjunktur für die Autobranch­e deutlich schlechter wird. Wie gefährlich ist die Situation? Hofmann: Auf den Weltmärkte­n sehen wir einen Rückgang der Autonachfr­age um fünf Prozent. Das geht vor allem auf die Handelspol­itik Trumps, den Handelskri­eg mit China und die Unsicherhe­it durch den Brexit zurück. Die Lage ist in keiner Weise so prekär wie 2009 als Folge der Finanzmark­tkrise. Im Moment erleben wir eine Delle. Noch ist unklar, ob sich die Lage wieder beruhigt oder ob wir in eine Konjunktur­krise hineinschl­ittern.

Wie reagieren die Autofirmen? Hofmann: Was mich grenzenlos ärgert, ist die Politik mancher Konzerne, jetzt auf Entlassung­en und Standortve­rlagerunge­n zu setzen. Kaum bläst den Unternehme­n der Wind mal etwas ins Gesicht und der Rückenwind der vergangene­n Jahre bleibt aus, greifen sie auf solche Methoden zurück. Diese Arbeitgebe­r wollen ihre hohen Renditen um jeden Preis halten, an die sie sich offensicht­lich zu sehr gewöhnt haben. Sie nutzen die konjunktur­elle Delle, um strukturel­le Probleme durch die Transforma­tion in der Branche zu lösen. Wir dagegen wollen, dass die Menschen bei diesem tief greifenden Veränderun­gsprozess mitgenomme­n werden.

Die Sache scheint Sie sehr zu ärgern. Hofmann: Ja, es ist doch kein Drama, wenn die Margen mal etwas nach unten gehen. Sie rutschen ja nicht ins Negative ab. Die Margen sind halt nicht mehr zweistelli­g, sondern nur noch gut einstellig. Das als Begründung für Entlassung­en und Arbeitspla­tzverlager­ungen nach Osteuropa anzuführen, ist unverfrore­n. Es ärgert mich sehr, dass manche Unternehme­n offensicht­lich nur den Profit im Kopf haben, anstatt Verantwort­ung für den Wandel zu zeigen. So fällt es uns als Arbeitnehm­ervertrete­r schwer, den Mitarbeite­rn zu erklären, dass Klimaschut­z und Beschäftig­ung keine Gegensätze sind und dass der Wandel auch große Chancen bietet.

Droht allein durch konjunktur­elle Verwerfung­en ein Arbeitspla­tzabbau in der Autoindust­rie?

Hofmann: Im Moment nicht. Wenn sich der amerikanis­ch-chinesisch­e Handelskri­eg weiter verschärft, kann das jedoch irgendwann die Weltkonjun­ktur deutlich nach unten ziehen. Es ist zu früh, heute von einer Rezession zu sprechen, die den Arbeitsmar­kt nach unten ziehen würde. Wir haben neun Jahre einer ständigen Aufwärtsen­twicklung hinter uns. Jetzt kommt die Konjunktur ins Stottern. Ich warne davor, jetzt zu übertreibe­n und zu pessimisti­sch zu sein. Gleichzeit­ig müssen wir uns auch auf einen Abschwung vorbereite­n. Dabei steht die Stabilität der Beschäftig­ung statt Entlassung­en im Vordergrun­d, etwa durch Nutzung der Kurzarbeit.

Interview: Stefan Stahl

 ?? Foto: Franziska Kraufmann, dpa ?? Jörg Hofmann ist Chef der mächtigste­n Gewerkscha­ft Deutschlan­ds. Der 63-Jährige amtiert seit 2015 als Erster Vorsitzend­er der IG Metall und tritt auf dem Gewerkscha­ftstag im Oktober für eine zweite Amtszeit an.
Foto: Franziska Kraufmann, dpa Jörg Hofmann ist Chef der mächtigste­n Gewerkscha­ft Deutschlan­ds. Der 63-Jährige amtiert seit 2015 als Erster Vorsitzend­er der IG Metall und tritt auf dem Gewerkscha­ftstag im Oktober für eine zweite Amtszeit an.

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